„Wer braucht schon Pleiten in Deutschland?"
Dr. Rainer Bizenberger (Partner
bei Roland Berger) und und Christopher Seagon (Partner bei Wellensiek) über die Konjunkturlage für Insolvenzverwalter und Sanierungsexperten.
Herr Dr. Bizenberger Die derzeitige Konjunkturlage ist schlecht für die Insolvenzverwalter. Erwarten Sie kurz- oder mittelfristig, dass sich der Wind dreht?
Dr. Rainer Bizenberger: Die gesamte Branche fragt sich zurzeit, ob und wann die große Restrukturierungswelle kommt. Aufgrund der makroökonomischen Verhältnisse und insbesondere der derzeitigen Geldpolitik kann m. E. keine übergreifende und rasch hereineinbrechende Wirtschaftskrise erwartet werden. Stattdessen beobachten wir einige Branchen mit strukturellem Anpassungsbedarf, z. B. in der Energiewirtschaft sowie in Mode- und dem Einzelhandel insgesamt. Nicht zuletzt erfordert die Digitalisierung eine grundlegende Ausrichtung des Geschäftsmodells. Bei überraschend eintretenden fundamentalen Verwerfungen sowie erhöhter Unsicherheit können wir gleichwohl größere Krisenszenarien nicht ausschließen.
Christopher Seagon: Dieser Einschätzung kann ich mich nur anschließen. Neben den bereits erwähnten Bereichen sehe ich im Gesundheitswesen sowie bei mittelständischen Automobilzulieferern Potential für Veränderungsprozesse. Mit einer flächendeckenden Finanzmarktkrise, wie wir sind 2008/2009 erlebt haben, kann man erkennbar momentan nicht rechnen. Volkswirtschaftlich betrachtet, ist es gut so, dass weniger Firmen pleite und weniger Arbeitsplätze verloren gehen. Wer braucht schon Pleiten in Deutschland? Was wir allerdings brauchen, ist eine funktionierende Volkswirtschaft. In diesem Zusammenhang muss man natürlich die Frage stellen dürfen, ob die derzeitige Nullzinspolitik am Ende zu einer gesunden und längerfristig stabilen Markwirtschaft, zu der i.ü. auch Insolvenzen gehören, führt.
Teilen Sie die Auffassung, dass es zurzeit eine Tendenz „weg von der Insolvenz und hin zur konstruktiven Verlagerung und Sanierung vorher" gibt?
Seagon: Das ist eindeutig der Fall. Dafür muss man berücksichtigen, dass der Begriff der Insolvenz in Deutschland nach wie vor nicht positiv besetzt ist. Und dass, obwohl Sanierungen in der Insolvenz in Deutschland sehr gut funktionieren. Jedenfalls dann, wenn man der Weltbank glauben schenken darf. Sie vertritt in ihrem jährlichen Report „Doing Business" die Auffassung, dass wir zu den besten Sanierungsländern auf der Welt gehören.
In dieser Ausgabe gehen wir an verschiedenen Stellen der Frage nach, wie sich die Verwalter- und Beraterszene angesichts tiefgreifender Veränderungsprozesse und rückläufiger Insolvenzzahlen verändert. Welche Meinung vertreten Sie?
Seagon: Für viele Kollegen markierte die Einführung des ESUG bereits eine Soll-Bruchstelle. Vor allem deswegen, weil sich der Automatismus der Zuweisung auskömmlicher Insolvenzverfahren verändert hat. Früher war das eine reine Gerichtssache. Heute bestimmen die Gläubiger bei den größeren Fällen mit, wer Verwalter wird. Darüber hinaus legen die Gläubiger heute großen Wert darauf, dass Verwalter Verantwortung übernehmen, die bereits langjährige Erfahrungen mit Sanierung haben und deshalb in der Lage sind, die Prozesse pro-aktiv zu beeinflussen. In meinen Augen sind diese Entwicklungen verständlich, denn ein anspruchsvoller Sanierungsprozess ist – salopp gesprochen – nichts für einen Halbtagsjob. Man sollte wissen, was man macht. Und das beobachten Gläubiger heute kritischer als noch vor wenigen Jahren.
Zurzeit gibt es rund 2.000 zugelassene Insolvenzverwalter in Deutschland.
Seagon: Und dabei lassen wir einmal außen vor, dass es bei uns eigentlich gar keine förmliche Zulassung zum Verwalterberuf gibt. Wenn es für die Binnenwirtschaft gut ist kann es grundsätzlich nicht schlecht sein, wenn sich auch unsere Branche verändert. Insofern darf es uns auch nicht überraschen, dass bereits heute ein Konsolidierungsdruck zu spüren ist. Ich rechne damit, dass sich der Trend hin zu spezialisierten Einheiten fortsetzen wird. Diese Teams müssen nicht zwangsläufig sehr groß sein. Sie müssen nur gut, schlagkräftig und am Markt akzeptiert sein. Und vor allem müssen sie in der Lage sein, unabhängig zu arbeiten.
Bevor kleinere Verwalterbüros liquidieren, könnten sie doch versuchen, sich verstärkt auf die – in Großkanzleien oft ungeliebten – „Bread-and-Butter"-Verfahren (sprich: Privatinsolvenzen) zu konzentrieren.
Seagon: Grundsätzlich wäre dies denkbar. Ich bitte aber zu bedenken, dass kleine Verwalterbüros schwerlich in der Lage sein werden, in größeren Einheiten und unter Nutzung von Skaleneffekten Verbraucherinsolvenzverfahren zu bearbeiten. Auch diese Tätigkeit kann man professionell nicht als „One-Man-Show" bewerkstelligen. Bei der Verbraucherinsolvenz ist eine gut durchdachte, organisierte und routinierte Ablauforganisation wichtig. Das Gericht, die Gläubiger und der Schuldner müssen sich gut aufgehoben fühlen. Das erklärt auch den Trend zu größeren und schlagkräftigeren Einheiten, wie wir sie mitunter in Süddeutschland vorfinden. Ohnehin entwickelt sich unsere Branche sehr stark in Richtung Benchmark getriebenen Strukturen.
Versuchen Sie mittlerweile auch, das vielerorts unbeliebte „i"-Wort zu vermeiden?
Seagon: Als Verwalter habe ich mit dem Wort Insolvenz überhaupt kein Problem. Wenn man erlebt wie viele konstruktive Sanierungslösungen in der Insolvenz doch noch bewerkstelligt werden, die aus welchen Gründen auch immer vorher nicht geklappt haben bedeutet die Insolvenz häufig die Lösung gordischer Knoten. Genauer betrachtet bedeutet Insolvenz nur eine kleine juristische Zäsur eines Problems, das die Unternehmen in der Regel seit geraumer Zeit haben. Die Einleitung der Insolvenz bedeutet immer, zu schauen, ob die vom Schuldner ausgeübte Tätigkeit noch gut für die Gläubiger ausgehen kann. Insofern sehe ich den Begriff nicht als Problem– der im Übrigen viel positiver besetzt ist als der Begriff Konkurs –. Gleichwohl beobachten wir auch dass Sanierung nicht mehr „Insolvenz“ heißen darf. Das liegt nach meiner Meinung aber v.a. daran, dass die Insolvenz eben immer noch zu spät eingeleitet wird, nämlich dann, wenn die für eine Sanierung erforderliche Substanz verbrannt ist und das in der Insolvenz noch zu erzielende wirtschaftliche Ergebnis niemanden mehr begeistern kann.
Grundsätzlich ist das Insolvenzrecht doch etwas Positives.
Seagon: Richtig angewandt funktioniert das Insolvenzrecht v.a. seit der Einführung des ESUG auch hervorragend. Das Problem besteht aber wie erwähnt darin, dass es nach wie vor weder proaktiv noch früh genug angewendet wird.
In Ihrer mittlerweile vierten gemeinsamen ESUG-Studie sind Sie zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gesetz mittlerweile in der Praxis angekommen ist. 93 % der Befragten bewerten das Gesetz positiv.
Seagon: Dieses Ergebnis hat mich nicht überrascht und ich bin froh, dass wir diese Einschätzungen jetzt auch schwarz auf weiß dokumentiert haben. Wir haben hier eine wirklich breit aufgestellte Studie mit 1.600 befragten Experten aus allen Interessengruppen, die letztendlich ein gutes Abbild der Praxis ermöglicht. Bis auf geringer werdende Stolpersteine, die es hin und wieder noch gibt, ist das ESUG in der Praxis angekommen und wird weitestgehend von allen Marktteilnehmern verstanden und akzeptiert.
Dr. Bizenberger: Auf große Akzeptanz stößt beispielsweise die Gläubigermitwirkung. Stichwort: Vorläufiger Gläubigerausschuss. Die Einbindung der Gläubiger als aktive Träger der Sanierung gehört zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren des ESUG.
Seagon: Heute ist es beispielsweise kaum mehr möglich, eine Eigenverwaltung ausschließlich im Interesse von Gesellschaftern und zu Lasten der Gläubiger durchzuführen. Solche Spielarten hat es am Anfang gegeben und sie wurden auch durchaus propagiert. So funktioniert Insolvenz aber nicht! Auch unter ESUG-Aspekten ist und bleibt die Insolvenz eine Frage der fairen Verteilung. Wenn der Insolvenzplan zum Beispiel vorsieht, dass der Gesellschafter voll ins Geld zurückkommt und dies zu Lasten der Gläubiger erfolgen soll, dann ist das keine faire Verteilung. Mischformen sind aber durchaus möglich und oftmals auch sinnvoll. Das Schöne am Insolvenzplan ist eben, dass man von den ansonsten starren Regeln in Maßen abweichen kann.
Spielt das Thema Friends and Family bei der Besetzung von Gläubigerausschüssen noch eine große Rolle?
Seagon: Mit einer professionellen Vorbereitung und aufmerksamen Richtern gibt es keine Friends and Family-Ausschüsse! § 67, Absatz 2 InsO regelt klar, dass die wichtigsten Vertreter der unterschiedlichen Gläubigergruppen einen Sitz in diesem Gremium haben sollen. Für Family und Friends ist bei richtiger Handhabung also eigentlich kein Platz.
Das setzt voraus, dass man die entsprechenden Beteiligten für die Arbeit im Gläubigerausschuss findet.
Seagon: Fehlt es an den Beteiligten oder deren Bereitschaft, bekommt man diesen Prozess mit moderierenden Profis trotzdem hin. Im Eifer des Gefechtes kann es allerdings schon einmal geschehen, dass eine vordergründig objektiv vorbereitete Ausschuss-Konstellation sich hinterher als Family-and-Friends herausstellt. . Damit sage ich ausdrücklich nicht, dass jede Altgesellschafterlösung schlecht ist. Sonst gäbe es die Bestimmungen der § 162 und 163 InsO nicht. Da steht drin, dass die Gläubiger in toto darüber entscheiden müssen, wenn der Geschäftsbetrieb an einen nahestehenden Dritten bzw. unter Wert, beispielsweise an ein Familienmitglied übertragen werden soll. Über diesen geplanten Schritt müssen alle Gläubiger in, sogenannten Berichtstermin beim Insolvenzgericht– übrigens auch im Eigenverwaltungsverfahren – umfassend informiert werden. Insofern gibt es im Gesetz ein sehr gutes Regulativ.
In einschlägigen Finanztiteln wird von Marktteilnehmern ein Hohelied auf die Debt-Equity-Swaps angestimmt. In Ihrer Studie kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die Umwandlung von Fremd- und Eigenkapital im Rahmen von Restrukturierungsprozessen eher eine Ausnahme darstellt.
Seagon: Mich wundert das Ergebnis nicht, denn die Finanzierungsfolgenverantwortung bei Kreditinstituten ist in Deutschland rechtlich kompliziert und schwierig. Viele Finanzierer, und damit meine ich ausdrücklich nicht nur die Kreditinstitute, verzichten deshalb auf die Möglichkeit, über eine Insolvenz zum Gesellschafter zu werden. Warum bestimmte Medien dieses Instrument trotzdem propagieren, liegt auf der Hand. In einem für die Banken insgesamt schwierigen Umfeld erleben wir häufig, dass Kreditinstitute nicht mehr auf eine Insolvenz warten und notleidende Engagements verkaufen. Käufer sind zunehmend spezialisierte Fonds, die – weniger reguliert – einfacher als Gesellschafter nach einem Debt/Equity Swap sanieren können als dies bei einer Bank der Fall wäre. Das ist durchaus positiv zu sehen, denn ansonsten entstehende Pattsituationen können mithilfe konstruktiv agierender Fonds mitunter aufgelöst werden.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Gläubigergleichbehandlung dadurch ins Wanken gerät?
Seagon: Die Gläubigergleichbehandlung stellt ein wichtiges Element funktionierender Sanierungsprozesse dar. Sie bedeutet für die Beteiligten Verlässlichkeit innerhalb eines Verfahrens. Die besten Sanierungen sind die Fälle in denen eine einfache, angemessene und vor allem auch faire Lastenverteilung aufseiten der Gläubiger stattfindet. Nicht jeder Debt-Equity-Swap durch einen Großgläubiger führt zu einer Besserung des Ergebnisses für die übrigen Gläubiger. Aber jeder Einzelfall muss genau geprüft werden. Wohl dem, der mit zum Swap bereiten Gläubigern zumindest verhandeln kann.
Dr. Bizenberger: Sobald spezialisierte Fonds ins Spiel kommen, kann die sog. "Loan to own"-Strategie eine Rolle spielen. Die Motivlage, während eines Verfahrens oder während einer Sanierung überhaupt in eine Eigentümerstellung zu kommen, ist für die überwiegende Mehrheit der Gläubiger ein absoluter Ausnahmefall.
Eine vorinsolvenzliche Sitzverlagerung ins Ausland ist laut Ihrer Studie ebenfalls eine Randerscheinung.
Seagon: Sitzverlagerungen ins Ausland sind aufwändig und komplex. Nicht für jeden Sanierungsfall kam das bislang infrage. Es gab in der Vergangenheit Protagonisten, die den Weg nach England erfolgreich betrieben haben. Und wenn dann die Sanierung dort gelingt spricht doch vieles dafür den Weg zu gehen, wenn es vor allem ohne Insolvenzdruck, d.h. „deutlich vor der Zeit“ gelingt die wesentlichen Sanierungsbeteiligten auf eine außergerichtliche Sanierung zu verpflichten und die Insolvenz dadurch vermieden wird. Deswegen hat vor allem in größeren Sanierungsfällen öfters einmal den Weg nach England gewählt. Das ist heute nicht mehr so einfach. U. a. auch deshalb, weil der englische High Court die Voraussetzungen an die tatsächliche Sitzverlagerung verschärft hat.
Der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs dürfte mittlerweile auch eine Rolle spielen.
Seagon: Wenn man heute über solche Instrumente spricht, kommt häufig und pauschal der Hinweis von Gläubigerseite, dass man ein solches Vorgehen nach dem Brexit vergessen könne. Vielleicht fragen sich inländische Gläubiger inzwischen aber auch, ob die Saldorechnung bei diesen „Schemes of Arrangement“ immer so positiv gewesen ist.
Dr. Bizenberger: Man muss sich darüber hinaus vergegenwärtigen, für welche deutschen Unternehmen eine Sitzverlagerung ins Ausland überhaupt in Frage kommen würde. Bei dieser Frage wird dann recht schnell klar, dass es sich nur um eine historische Randerscheinung handelt. Das wird auch so bleiben.
Sehr große Zustimmungswerte erfährt in Ihrer gemeinsamen Studie das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren. Immer mehr Experten plädieren für die Einführung dieses Verfahrens, um den Werkzeugkasten der Sanierung zu vervollständigen.
Seagon: Die Diskussion muss man vor dem Hintergrund von der EU-Initiative sehen, die eine Stärkung des Standorts Europa hin zu einer echten Kapitalmarktunion vorantreibt. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass andere Jurisdiktionen schneller sind in der Sanierung von Volkswirtschaften, als unser europäischer Staatenbund mit unterschiedlichen Jurisdiktionen. Die insolvenzmäßige Sanierung dauert zu lange und erscheint – im Vergleich zu anderen Optionen – nicht als der richtige Weg.
Warum?
Seagon: Insolvenzen kommen – wie bereits erwähnt - zu spät. Dann ist das Tafelsilber meist schon weg. Für die Gläubiger bleibt am Ende zu wenig übrig. Viele größere Insolvenzen, die beispielsweise mit einer übertragenden Sanierung odereinem Insolvenzplan abgeschlossen werden, enden eben nicht mit einem attraktiven Ergebnis für die Gläubiger. Erst zu einem Zeitpunkt, an dem die Substanz des Unternehmens bereits verbraucht ist, greift ein Instrumentarium, das es ermöglicht, Schulden abzuschneiden bzw. operativ zu sanieren und wieder neu zu starten. Der Befreiungsschlag mit dem grundsätzlich gut funktionierendem Insolvenzinstrumentarium kommt zu spät zur Anwendung. Deshalb soll es ein sog. „eingriffsarmes Instrument“ geben, mit dem v.a. die zunehmende Verschuldung der Haushalte in Europa reduziert werden kann.
Dr. Bizenberger: Ich habe den Eindruck, dass die Experten von der „Eingemeindung" von Gläubigerminderheiten im Rahmen des Scheme of Arrangement (Stichwort: 75 %-Mehrheitsbindung) angetan sind. Diese Idee bietet eine mögliche sinnvolle Erweiterung im Hinblick auf das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren. Wichtig ist mir, dass es sich dabei nicht um reine Finanzakrobatik handelt. Vielmehr muss die durchgreifende Sanierung im Vordergrund stehen. Das bezieht in den allermeisten Fällen eine leistungswirtschaftliche Sanierung als "conditio sine qua non" mit ein. Von daher ist die Idee einer Mehrheitsbindung von sogenannten Akkordstörern oder Minderheitsblockierern ein möglicher richtiger Lösungsansatz. Aus unserer Studie wird deutlich, dass mehrheitlich – übrigens auch im Gegensatz zum Scheme of Arrangement – eine gewisse Zugangsbeschränkung gefordert ist. Insgesamt soll gewährleistet werden, dass es ein geordnetes, kalkulierbares und effizientes Verfahren wird.
Wie beurteilen Sie die zukünftige Rolle eines Mediators?
Seagon: Gerichte setzen unabhängige Treuhänder, sprich Verwalter ein, u. a. um sicherzustellen, dass ein faires Verfahren durchgeführt wird und dass Ungleichbehandlungen auf ein Minimum reduziert werden. Die Frage ist, wer diese Aufgabe im außergerichtlichen Sanierungsverfahren zukünftig übernehmen soll. Schließlich geht es am Ende des Tages darum, dass nicht einzelnen Parteiinteressen die Oberhand gewinnen sondern auch darum, dass mit dem Verfahren die Basis für das gesamthafte Gelingen einer Sanierung gelegt wird. . Es geht nicht darum, dass die einzelnen Probleme einzelner Gläubiger bestmöglich gelöst werden. Das ist die Gefahr, wenn man ein solches Verfahren ohne Moderator oder ohne unabhängigen Dritten gestalten würde.
Dr. Bizenberger: Es geht um die Ausbalancierung von Interessenlagen. Neudeutsch würde man sagen, es geht um Stakeholdermanagement. Ein sanierungserfahrener Moderator kann in diesen Prozess sicherlich einen Mehrwert bei der Vermittlung zwischen den beteiligten Gläubigern untereinander sowie zwischen Gläubigern und Unternehmen bieten.
Das spricht doch alles für den besonderen Stellenwert eines unabhängigen Mediators.
Seagon: Ich persönlich bin weit davon entfernt, zu fordern, dass diese Aufgabe nur Insolvenzverwalter übernehmen dürften. Gleichwohl muss man betonen, dass sie die Gleichbehandlung von der Pike auf gelernt haben. Aber selbstverständlich gibt es auch andere sanierungserfahrene Profis, die sicherstellen müssen, dass in einem professionellen Verfahren Gleichbehandlung gewahrt bleibt. Es geht schließlich nicht nur darum, Geld- und Kreditschulden miteinander zu vergleichen. Die Gläubiger werden zu Recht eine Koordination erwarten, damit das Unternehmen am Ende nicht erneut notleidend wird.
Vor allem hat es doch auch mit unternehmerischer Verantwortung zu tun.
Seagon: Es wird im Wettbewerb immer andere verschuldete Unternehmen geben, die ein vorinsolvenzliches Verfahren nicht brauchen. Auch deshalb wird man im Interesse aller Beteiligten sicherzustellen haben, dass eine Entlastung auf der Schuldenseite so gleichmäßig erfolgt, dass die Sanierungsbeteiligten des betroffenen Unternehmens entsprechende Lasten mittragen. Gläubiger werden auch hier wissen wollen, wie die Beiträge Anderer aussehen und ob diese gleichgewichtet sind, Vergleich zum eigenen Beitrag. Es gilt also diese Beiträge zu planen, zu verhandeln und rechtssicher zu vereinbaren. Beteiligte, die in erster Linie ihr eigenes Parteiinteresse im Blick haben und nicht die bestmögliche, unternehmerische Lösung der Gesamtsituation, können diesen Spagat kaum leisten.
An der Öffentlichkeit von Verfahren scheiden sich seit jeher die Geister. In Ihrer Studie hält eine Mehrheit der Befragten nicht-öffentliche Verfahren für erforderlich.
Seagon: Die Branche steht häufig vor dem Problem, dass wir bei einem in die Öffentlichkeit gelangten Insolvenz- oder Sanierungsverfahren die Schlagzeile „Betrieb XYZ hat Insolvenz angemeldet: 200 Mitarbeiter vor dem Aus?" oder ähnliches lesen müssen. Da können sie als Berater oder Verwalter im Zweifelsfall sagen und schreiben, was sie wollen. Dieser Effekt ist in einem kundenvolativem Umfeld katastrophal. Trotz eines noch so guten Sanierungsplans wird man in dieser Situation überrannt von der Furcht des Kunden, dass er – um im Bild zu bleiben – keine Brötchen mehr bekommt. Ich halte es daher für einen großen Fortschritt des bereits geltenden Insolvenzrechts, dass man Schutzschirmverfahren unveröffentlicht, d.h. still und leise durchführen kann. Ich kenne Schutzschirmverfahren, die v. a. deshalb exzellent laufen, weil man die Öffentlichkeit steuern kann.
Spätestens nach dem ersten Gespräch mit der Belegschaft und dem Betriebsrat ist die Katze aus dem Sack.
Seagon: Es wäre naiv, zu glauben, dass man bei einer entsprechenden Größe eines Verfahrens „unter sich" bleiben würde. Die richtige Kommunikation fängt allerdings bereits bei diesen Versammlungen an. Denn es macht einen elementaren Unterschied, wie vorbereitet ein Berater oder Sachwalter ist, wie er auftritt und welche Worte er in Betriebsversammlungen wählt. Je nachdem findet sich Nachteiliges in der Presse oder auch nicht.
Dr. Bizenberger: Die Öffentlichkeit bringt in diesem Verfahren beim Ausbalancieren unterschiedlicher Interessen keinen Mehrwert. Sie schafft eher zusätzliche Gefahren und Risiken. Sie dürfen nicht vergessen, dass durch eine Publizierung eines Verfahrens auch die Unsicherheit der Öffentlichkeit zunehmen kann. Mit dieser Unsicherheit steigt die Gefahr, dass durch eine daraufhin auftretende leistungswirtschaftliche Beeinträchtigung eine Verhandlungslösung im Interesse der Gläubiger und des Unternehmens nicht bewerkstelligt werden kann.
Seagon: Ich plädiere für eine Öffentlichkeit
gegenüber den Gläubigern, die es betrifft. Und ich wehre mich dagegen, dass man
durch einen Veröffentlichungsautomatismus dem Unternehmen zwangsläufig
unkalkulierbare und zusätzliche Risiken aussetzt. Ich sage ganz deutlich: Die
automatische Veröffentlichung eines Sanierungsverfahrens ist von gestern!
© Detlef Fleischer