Die beherzte Digitalisierungsoffensive des VID
In Köln sprach ich mit DR. CHRISTOPH NIERING, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID), über die Stimmung in der Verwalterszene sowie über sein engagiertes Ziel, mit Hilfe des Projekts „Insolvenzverfahren 4.0" eine grundlegende Reform der administrativen Abwicklung von Insolvenzverfahren anzustoßen.
Herr Dr. Niering – Wie beurteilen Sie angesichts weiter rückläufiger Insolvenzverfahren die Situation für die Insolvenzverwalterbranche in Deutschland?
Es ist ein Fakt, dass die Insolvenzen seit Jahren zurückgehen und sich auf einem Langzeittief befinden. Daran wird sich in absehbarer Zeit nichts grundlegend ändern. Dies muss auf Seiten der Insolvenzverwalter und Sachwalter zu einer deutlichen Marktbereinigung führen. Kurz gesprochen haben wir nicht das Problem von zu wenigen Insolvenzen, sondern von zu vielen Insolvenzverwaltern. Es ist kein Geheimnis, dass wir in den letzten Jahren zu viele Insolvenzverwalter gesehen haben, die nicht den Mindeststandards genügen, die wir als Berufsverband in den „Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung, GOI“, formuliert haben.
Eine Reihe von Verwaltern und Verwalterbüros haben mittlerweile Konsequenzen gezogen und sich vom Markt verabschiedet. Wird sich dieser Konsolidierungsprozess fortsetzen?
Ja! Es ist wichtig und richtig, dass sich insbesondere diejenigen vom Markt verabschieden, die dieser anspruchsvollen Tätigkeit nur nebenberuflich nachgehen. Das Insolvenz- und Sanierungsrecht ist dafür viel zu komplex. Es braucht eine gewisse Grundauslastung, d. h. Anzahl von Insolvenzverfahren, um das notwendige fachliche Know-How zu erhalten und den stetig steigenden Qualitätsanforderungen der Insolvenzgerichte und Gläubiger nachzukommen. Aber auch etablierte Insolvenzverwalter werden sich vermehrt im Wege des „Vorruhestandes“ aus dem Markt zurückziehen.
Gibt es ein Patentrezept, um mit räumlichen und personellen Überkapazitäten umzugehen?
Natürlich gibt es kein Allgemeinrezept. Viele Insolvenzverwalter haben zunächst versucht, den Auftragsrückgang im Bereich der Insolvenzverfahren durch einen Ausbau der Sanierungsberatung zu kompensieren. Dies ist allerdings äußerst problematisch. Zum einen ist auch das Geschäft der Sanierungsberatung bei anhaltend guter Konjunktur deutlich rückläufig und zum anderen lässt sich allein mit der Sanierungsberatung der personalkostenintensive Apparat der Insolvenzverwaltung nicht finanzieren. Gerade viele größere und überregional tätige Verwalterbüros haben daher auch durch Schließung von Standorten und einem deutlichen Personalabbau und damit in einer sehr klassischen Weise reagiert.
Es ist ja nicht so, dass das Sanierungsgeschäft im Moment besonders gut läuft.
Die gute Konjunktur hat auch bei den Sanierungsberatern ihre Spuren hinterlassen. Allerdings gibt es einige Bereiche, wie etwa den Einzelhandel oder das Gesundheitswesen, die nach wie vor einen echten Bedarf im Bereich der Sanierungsberatung haben.
Inwieweit hat sich das Verhältnis zwischen Insolvenzverwaltern auf der einen und Sanierungsexperten auf der anderen Seite aufgrund der Marktsituation atmosphärisch verändert?
Die wirtschaftliche Gesamtsituation und damit auch das Verhältnis zwischen Insolvenzverwaltern und Beratern ist deutlich angespannter. Dies ist nicht allein auf das ESUG, sondern vor allem auf die deutlich zurückgehenden Insolvenzzahlen zurückzuführen. Das Bemühen – um nicht vom Kampf zu sprechen – um ein konkretes Mandat oder die Tätigkeit als Insolvenzverwalter und Sachwalter, ist härter geworden. Dies ist sicherlich auch ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Zwänge, in denen sich gerade viele größere Berater- und Verwalterbüros befinden.
Im Gespräch mit unserem Magazin hat Burkhard Jung (hww) die These aufgestellt, dass Juristen Berater und keine Macher sind. Teilen Sie seine Einschätzung?
Ich bin von Hause aus Jurist und trotzdem ein echter Macher. Bedenken Sie bitte, dass die meisten Insolvenzverwalter, die vom Ursprung her Juristen sind, sich weit vom Anwaltsberuf entfernt haben. Ein Insolvenzverwalter, der nicht auch Macher ist, ist kein guter Insolvenzverwalter! Egal, ob er Anwalt, Betriebswirt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ist. Der Insolvenzverwalter muss sich von seinem klassischen Berufsbild gelöst haben. Er muss bereit sein, schnell zu entscheiden. Er muss sich und andere gut organisieren und schwierige Entscheidungen gut kommunizieren können. Er ist vermittelnder Vertreter der Interessen aller beteiligten Gläubiger.
Welche Rolle sollten die Insolvenzgerichte in der jetzigen Konjunkturlage übernehmen?
Die Insolvenzgerichte sollten – wie von unserem Berufsverband schon seit Jahren gefordert – mehr auf die Qualität und die Unabhängigkeit der bestellten Insolvenzverwalter und Sachwalter Wert legen. Wir haben als Berufsverband wenig Verständnis dafür, dass Insolvenzverwalter weiter bestellt werden, die Berichte und Gutachten wiederholt nur gegen Androhung von Zwangsgeld abgeben oder aber denen es nachweislich an der notwendigen Unabhängigkeit fehlt. Es ist an den Insolvenzgerichten, solche Insolvenzverwalter zukünftig nicht mehr zu beauftragen und auch zu de-listen. Sicherlich keine angenehme aber im Interesse der beteiligten Insolvenzgläubiger und vor allem auch der zu erhaltenen Unternehmen und Arbeitsplätzen von wesentlicher Bedeutung.
Besteht dann nicht die Sorge, dass die Großen der Branche immer größer werden?
Eine gewisse Konzentration der Insolvenzverwaltung auf weniger Marktteilnehmer wird nicht zu vermeiden sein. Dies ist allerdings auch eine wichtige und richtige Entwicklung. Um den erforderlichen Qualitätsstandards unter anderem den von unserem Berufsverband entwickelten GOI nachzukommen, ist eine hohe Professionalität und damit auch eine ausreichende regelmäßige Beauftragung notwendig. Auf Dauer wird hier Raum für rund 500 bis 600 Insolvenzverwalter und Sachwalter sein. Eine solche Anzahl von Insolvenzverwaltern und entsprechenden Insolvenzverwalterbüros wird immer noch für eine ausreichende Vielfalt am Markt sorgen.
Auf zahlreichen Veranstaltungen – zum Beispiel in Berlin, Heidelberg und Köln – war zu hören, dass die Branche versucht, auf Abstand zum „i"-Wort zu gehen.
Sicherlich kommt bei der heutigen Begrifflichkeit der Sanierungsgedanke des Insolvenzrechts zu kurz. Auch hat die seinerzeitige Umbenennung von der Konkursordnung hin zur Insolvenzordnung gezeigt, dass mit einer „Umfirmierung“ durchaus auch ein positiver Imageschub verbunden sein kann. Allerdings zeigt die jetzige Diskussion um das „i-Wort“ auch, dass dieser Imagewandel nur temporär ist. Es ist schließlich nur eine Frage der Zeit, bis die relevanten Marktteilnehmer nachvollzogen haben, dass sich letztendlich im Wesentlichen unveränderte Instrumentarien hinter der neuen Begrifflichkeit verbergen.
Mit dem Buchstaben „i" fängt auch das Projekt „Insolvenzverfahren 4.0" an, das Sie vor ein paar Monaten ins Leben gerufen haben. Wie hat die Branche auf Ihren Vorstoß reagiert?
Wir haben von vielen sogenannten Profi-Gläubigern großen Zuspruch erfahren. Diese sind bereit das Projekt „Insolvenzverfahren 4.0“ aktiv zu unterstützen. Allen voran sind hier die Bundesagentur für Arbeit und die Sozialversicherungsträger zu nennen. Auch unsere Gesprächspartner im Bereich der Finanzverwaltung signalisieren ein grundsätzliches Interesse. Ausschlaggebend ist, dass durch das „Insolvenzverfahren 4.0“ die administrative Abwicklung von Insolvenzverfahren deutlich erleichtert wird, was letztendlich zu weniger Medienbrüchen sowie zu mehr Transparenz und sinkenden Kosten der Verfahrensabwicklung führen wird.
Bei Ihrer Aufzählung fehlten die Justizbehörden. Ich sehe vor meinem inneren Auge die vielen Amtsstuben mit Abertausenden von verstaubten Aktenordnern.
Das ist zweifelsohne das dickste Brett, das man bei diesem Thema derzeit bohren muss. Es gibt jedoch bei der Justiz das Projekt der elektronischen Akte, die im Jahr 2020 eingeführt werden soll. Dieses Projekt benötigt eine große Vorbereitungsphase, in der vor allem Hard- und Softwarethemen aber auch Fragen des Datenschutzes zu berücksichtigen sind. Die ersten Schritte zum „Insolvenzverfahren 4.0“ müssten aber nicht zwingend mit der elektronischen Akte verbunden werden. Schon heute gibt es Verknüpfungspunkte für einen digitalisiertes Insolvenzverfahren, welche ohne größere Schwierigkeiten umzusetzen sein werden. Zu nennen wären hier etwa Veränderungen im Bereich der Zustellung, der Forderungsanmeldungen, des Berichtswesens, der Lohnbescheinigungen und der Steuererklärungen. Die Justiz ist hier weniger gefordert als vielmehr der Gesetzgeber. Dieser könnte die anstehende Umsetzung der EUInsVO in das deutsche Recht nutzen, um die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine wachsende Digitalisierung des Verfahrens zu schaffen.
Wie stehen Sie zum Thema Datenschutz?
Der Schutz der Gläubiger- und Schuldnerdaten muss in jedem Fall gewährleistet sein. Wir arbeiten heute mit passwortgeschützten Gläubigerinformationssystemen, die nur den beteiligten Gläubigern zur Verfügung stehen. Auch im Rahmen des Insolvenzverfahren 4.0 müssen die Datenschutzstandards gewährleistet sein
Ein Ärgernis sind Medienbrüche. Der Wechsel von Papier auf PC kostet Zeit und führt zu Fehlern.
Das ist nicht nur auf Seiten der Insolvenzverwalter ein zentrales Thema, sondern auch bei den beteiligten Großgläubigern. Es ist nicht nur mit einem erheblichen Personal- und damit auch Kostenaufwand verbunden, sondern ist im höchsten Maße auch fehleranfällig. Unvollständig oder unrichtige Angaben erschweren selbst schon in mittleren Verfahren die richtige Zuordnung und Bearbeitung. Eine Digitalisierung wird diese Medienbrüche vermeiden und somit Personalkosten einsparen und zu mehr Bearbeitungsqualität führen.
Woher nehmen Sie den Optimismus, dass Ihre Ideen schnell greifen und in die Praxis umgesetzt werden? Es ist doch nicht so, dass die Mühlen in der Bundesagentur für Arbeit und bei den Sozialversicherungsträgern so ganz anders mahlen als bei der Justiz, oder?
Bei jährlich immer noch mehr als 100.000 neuen Privat- und Unternehmensinsolvenzen dürfte die Anzahl der derzeit insgesamt noch nicht abgeschlossenen Insolvenzverfahren bei weit mehr als 500.000 liegen. Die regelmäßig an den Verfahren beteiligten Profi-Gläubiger wie etwa die Agentur für Arbeit, die Sozialversicherungsträger und auch die Finanzbehörden müssen hier den Verfahrensablauf regelmäßig hinterfragen, was einen deutlichen Personaleinsatz fordert und somit entsprechende Personalkosten verursacht. Wir wissen aus den Gesprächen, dass einige der Marktteilnehmer schon seit langem versuchen insbesondere in diesem Bereich ihre Kosten bei gleichbleibender Qualität der Verfahrensüberwachung zu reduzieren. Viele der Beteiligten sind dabei flexibler als die Justiz es sein kann. Die Agentur für Arbeit und auch die Sozialversicherungsträger stehen nach eigenem Bekunden schon in den Starlöchern, um auch innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeit einen ersten Schritt zu einem „Insolvenzverfahren 4.0.“ mitzugehen. Die Finanzverwaltung ist hier bereits weiter. Schon heute erklären die Insolvenzverwalter und Sachwalter ihre Steuern über das digitale Elster-System.
Werden andere Insolvenzverwalter letztendlich gar nicht umhin kommen, ihre Arbeitsprozesse im Sinne des „Insolvenzverfahren 4.0" zu überdenken?
Letztendlich entscheidet der Markt, ob sich ein System durchsetzt. Ein Insolvenzverwalter oder Sachwalter, der seine Gläubiger barrierefrei und umfassend informiert und ihnen gleichzeitig den internen Bearbeitungsaufwand erspart, wird seine Marktposition sicherlich besser festigen oder sogar noch steigern. Aber auch intern werden viele Arbeitsabläufe für den Insolvenzverwalter einfacher werden. Daher werden die Insolvenzverwalter die eigenen Arbeitsprozesse schon zur Reduzierung der Personal- und Sachkosten in einem „Insolvenzverfahren 4.0“ anpassen. Das für unseren Berufsverband verbindliche digitale Gläubigerinformationssystem, GIS, ist ja nur ein Ansatz in dieser Richtung. Die Arbeitsersparnis durch weniger Einzelanfragen von Insolvenzgläubigern bei gleichzeitig hohem Informationsgehalt für die Gläubiger ist enorm.
Gibt es denn erst Erfahrungen und Einsätze in den Insolvenzverwalterbüros ?
Ja. In unserer Kanzlei etwa haben wir bereits seit Jahren das papierlose Büro, ein digitales Gläubigerinformationssystem und Spracherkennungssysteme eingeführt. Weitere Entwicklungen in diesem Bereich sind möglich, jedoch abhängig von einer leistungsfähigen und zu den Profi-Gläubigern kompatiblen Software. Hier arbeiten wir gerade als Berufsverband in Zusammenarbeit mit den Softwareanbietern an möglichen Lösungen.
Kommen wir noch einmal auf die Rolle der Gerichte zurück. Sollten Gerichtstermine zukünftig online stattfinden?
Es ist eher ein Ausblick in die fernere Zukunft und
vielleicht ein Thema für ein „Insolvenzverfahren 5.0.“
© Detlef Fleischer