Insolvenzverwalter werden bedroht und erpresst
Ein Gespräch mit Peter Bensmann (Hansekuranz Kontor, Münster)
Herr Bensmann – Leben Insolvenzverwalter und Sanierungsberater gefährlich?
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass Insolvenzverwalter und Sanierungsberater das Schicksal von Menschen beeinflussen. Sie müssen Entscheidungen treffen, die manchmal für Mitarbeiter und Partner eines Unternehmens nicht angenehm sind. Insbesondere bei der Umsetzung von Sozialplänen kann dieser Vorgang sehr viel Druck auf die betroffenen Mitarbeiter ausüben. Und jeder ausgeübte Druck kann zu einem kriminellen Delikt führen. Vordergründig betrachtet hat man in einem solchen Fall den Schuldigen, sprich: den Insolvenzverwalter, direkt vor sich. Schließlich ist er derjenige, der bei einer Insolvenz das Heft des Handelns in die Hand genommen hat. Somit bin ich davon überzeugt, dass für Insolvenzverwalter und Berater ein reales Risiko besteht, bedroht oder erpresst zu werden.
Wie muss man sich die Tätersituation konkret vorstellen? Reden wir beispielsweise von einem verzweifelten Ex-Mitarbeiter einer insolventen Firma, der sich einfach nur am Insolvenzverwalter oder Sanierer rächen will?
Ja, das ist so. Insbesondere bei den Pleitefällen, bei denen die früheren Inhaber vermögend aus dem Verfahren hinausgehen. Ein frustrierter Mitarbeiter, der durch die Insolvenz in Hartz IV abrutscht, kann durchaus das Gefühl haben, sich rächen zu wollen. In diesen Fällen werden Existenzenergien wach, die Menschen durchaus auch zu kriminellen Taten veranlassen.
Die wenigsten Gesprächspartner in der Branche geben zu, dass sie sich bedroht fühlen bzw. bereits bedroht worden sind.
Lassen Sie mich bitte zunächst festhalten, dass wir in Deutschland auf die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zurückgreifen können. Dort sind zahlreiche kriminelle Taten – vom einfachen Diebstahl bis hin zum Mord – nach regionalen Schwerpunkten und Tätertypologien aufgelistet. Allein in den Bereichen Bedrohung und Erpressung hat in den letzten drei Jahren eine Verdoppelung der gemeldeten Fälle stattgefunden. Wir müssen außerdem berücksichtigen, dass die soziale Schere in Deutschland immer weiter auseinandergeht. Von daher glaube ich, dass arm werdende Menschen durchaus in eine kriminelle Energie hineingeraten können. Hinzu kommt, dass man für eine Bedrohung oder eine Erpressung längst nicht so viel kriminelle Energie braucht, wie für eine Entführung. Die Täter können lange Zeit anonym agieren und ihre Rachegelüste befriedigen. Erst bei einer Lösegeldübergabe müssen sich die Täter visualisieren.
Was sind die häufigsten Fälle, mit denen Insolvenzverwalter konfrontiert werden?
Bedrohung, Erpressung und Entführung.
Wo fängt Bedrohung an?
Wir sprechen hier von einer Bedrohung gegen Mensch und Leben. Insofern haben wir es bereits mit einer kriminellen Handlung zu tun, wenn jemand nachts einen Verwalter anruft, ihm vorwirft, seine Existenz zerstört zu haben, und ihn dafür verantwortlich macht. Wenn er diesen Vorwurf damit verknüpft, dies dem Verwalter heimzahlen zu wollen, sprechen wir von einer Bedrohung. Jemand stößt Drohungen gegen das Leben, die Familie oder das Eigentum eines Insolvenzverwalters aus. Bei einer Erpressung sprechen wir von einer kriminellen widerrechtlichen Drohung mit dem Ziel, ein Lösegeld zu erpressen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob es gegen Personen, Sachen oder Vermögenswerte geht. Bei einer Entführung sprechen wir von einem erpresserischen Menschenraub. An dieser Stelle ist es vielleicht wichtig zu erwähnen, dass unsere Versicherung nicht nur den Insolvenzverwalter, seine Familie, seine Berufsträger und Mitarbeiter abdeckt, sondern auch das insolvente Unternehmen und deren Mitarbeiter.
Wissen die Insolvenzverwalter und Berater um ihr Risiko?
Häufig erleben wir, dass unsere Gesprächspartner offen einräumen, dass sie bislang nicht oder nur sehr wenig über diese Bedrohungsszenarien nachgedacht haben. Bei manchen Verwaltern kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass dieses Thema verdrängt wird. Ich rechne damit, dass bei einer größeren Insolvenzverwaltertagung niemand die Hand heben würde, wenn ich fragen würde, wer in seiner Berufspraxis bereits bedroht worden ist. In einem Vier-Augen-Gespräch sieht das ganz anders aus. Wenn man vertieft in die Materie einsteigt, kommen plötzlich konkrete Beispiele von betroffenen Kollegen und Wettbewerbern zur Sprache. Bei unseren Gesprächen, die wir mit Blick auf unser neues Produkt MASSE PROTECT führen, erkennen wir durchaus, dass eine Sensibilität für die Bedrohungslage vorhanden ist.
Die Insolvenzverwalter und Restrukturierungsexperten wissen also doch, welches Risiko sie haben?
Ob alle Marktteilnehmer das Risiko tatsächlich sehen, wage ich zu bezweifeln. Wir empfehlen unseren Gesprächspartnern, dass sie sich frühzeitig und grundsätzlich mit dieser Thematik beschäftigen. Dazu gehört insbesondere, eine Prävention zu betreiben. Dazu gehört zunächst eine Analyse, inwieweit der einzelne Berater das Gefühl hat, bedroht werden zu können. Anschließend sollte er sich fragen, was er konkret gegen dieses Bedrohungsgefühl präventiv unternimmt.
Gibt es ganz konkrete Tipps, wie sich Insolvenzverwalter präventiv schützen können?
Natürlich gibt es Tipps, wie man sich beispielsweise auf einer Geschäftsreise am besten schützen kann. Ein ganz wichtiges Thema im Zusammenhang mit Insolvenz- und Sanierungsverfahren ist der Aufbau von Vertrauen. Umso mehr Vertrauen ein Berater aufbaut, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er bei einem – insbesondere für Lieferanten und Mitarbeiter – schlechten Ausgang eines Verfahrens nicht bedroht wird. Alles hat sehr viel mit dem persönlichen Auftreten sowie mit vertrauensschaffenden Maßnahmen zu tun.
Während früher häufig die Zerschlagung eines Unternehmens im Fokus stand, geht es heute primär darum, einen Betrieb wieder auf Vordermann zu bringen und ihn zu sanieren.
Heute ist es wichtig, dass der Insolvenzverwalter oder Restrukturierungsexperte nicht als harter und durchgreifender Sanierer in ein Unternehmen geht. Wohlgemerkt, ich spreche hier ausdrücklich aus dem Blickwinkel der Risikovermeidung. Ich bin weit davon entfernt, den Insolvenzverwaltern vorzuschreiben, wie sie ihren Job machen sollen.
Kann man sich auf Bedrohung und Erpressung vorbereiten?
Natürlich können sie sich in Friedenszeiten auf eine Bedrohung oder Erpressung vorbereiten und Prävention betreiben! Deshalb sollte man darauf vorbereitet sein, dass ihnen beispielsweise jemand anonym droht, ihre Kinder umzubringen. Lassen Sie mich aber ganz deutlich eins sagen: Alle Präventionsmaßnahmen sind nicht dafür da, sich vor etwas zu schützen bzw. etwas zu verhindern. Komplett verhindern kann man diese Bedrohungsszenarien nicht. Es geht vielmehr darum, das Richtige im Falle des Falles zu tun. Es geht darum, vernünftig auf ein von außen eintretendes Ereignis vorbereitet zu sein. Und es geht nicht darum, panisch durch die Gegend zu laufen und nicht zu wissen, was man tun soll. Nur so kann man eine Krise, die einem Insolvenzverwalter zuteil wird, vernünftig in den Griff bekommen. Mit guten Krisenmanagern, die über unsere Konzepte gestellt werden, können die Betroffenen dafür sorgen, dass die Krise beendet wird.
Kommen diese Krisenmanager nicht automatisch in die Situation, die Arbeit der Polizei zu behindern?
Nein. Sie müssen berücksichtigen, dass die Polizei eine andere Interessenslage hat, als das Opfer bzw. seine Familie. Die Polizei ist eine Strafverfolgungsbehörde. Sie muss das Opfer schützen und den Täter fassen. Deswegen geht man bei der Polizei oft sehr schnell dahin, zu einer Lösegeldübergabe zu gelangen. Wie bereits erwähnt, muss sich der Täter in diesem Moment visualisieren. Psychologen sprechen in diesem Fall von einem Tunnelverhalten eines Täters. Wenn er das Geld im Koffer sieht, vergisst er links und rechts alles. In diesem Moment greift die Polizei ein. Falls die Lösegeldübergabe allerdings klappt, ist der Täter mitsamt dem Geld weg. Hinzu kommt, dass es auch für die Polizeibehörden gut ist, wenn Opfer und Familien vorbereitet sind.
Wie groß ist das Bedrohungspotential für die zahlreichen Mitarbeiter von Insolvenzverwalterbüros?
Alle Präventionsmaßnahmen sollten selbstverständlich auch die Mitarbeiter eines Insolvenzverwalters einschließen. Mit der von uns entwickelten Versicherungslösung sichern wir alle Berufsträger und ihre Angehörigen gegen Bedrohung, Erpressung, Entführung und Freiheitsberaubung ab.
Sprechen wir hier von einer kanzlei- oder einer fallbezogenen Absicherung?
Beides. Unsere Deckung ist so aufgebaut, dass wir im Rahmen der Basisdeckung zunächst den Insolvenzverwalter und seine Mitarbeiter abdecken. Später meldet der Versicherungsnehmer seine einzelnen Mandate und bekommt hierfür eine eigene Deckungssumme zur Verfügung gestellt. Ab diesem Zeitpunkt sind auch alle Bedrohungsszenarien gegen das Mandat versichert. Insofern besteht für die Kanzlei und beim insolventen Unternehmen eine Komplettabsicherung gegen kriminelle Angriffe.
Müssen Sie jedes einzelne Mandat akribisch genau auf sein Bedrohungsrisiko analysieren?
Ja. Selbstverständlich müssen wir die einzelnen Verfahren analysieren und eine Tarifierung (Underwriting) vornehmen. Wir schauen uns die Unternehmen beispielsweise nach ihrer Größe und ihrem Bekanntheitsgrad an. Wenn beispielsweise der Name eines Unternehmens mit dem Namen des Inhabers verbunden ist und dieser nach seinem Verfahren immer noch in einer Villa lebt, gehen wir von einem deutlich höheren Risiko aus.
Sie wollen jetzt keine Beispiele nennen, oder?
Nein. Je mehr ein großes Unternehmen in der Öffentlichkeit steht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Verfahrensbeteiligten ein gewisses Risiko eingehen. Das bedeutet nicht, dass nicht auch im Fall eines kleinen Verfahrens etwas passieren kann. Das ist dann das Risiko der Versicherung. Wir haben keine Ausschlusskriterien und wir decken jedes Mandat ab.
Im konventionellen Geschäftsbetrieb ist es üblich, mit Referenzen für sich zu werben. Bei dieser sehr speziellen Form der Zusammenarbeit ist das nicht möglich, oder?
Absolute Diskretion ist das Stichwort. Insofern können wir nicht mit Kunden und Mandaten werben. Das gilt auch umgekehrt für den Versicherungsnehmer. Er sollte die Existenz einer solchen Police geheim halten. Im internen Verhältnis kann der Inhaber durchaus kommunizieren, dass er sich im Rahmen eines Krisenmanagements für denkbare Krisenszenarien vorbereitet hat. Das schafft Vertrauen.
Wie kommt es, dass diese Form der Absicherung von Spezialrisiken ein verhältnismäßig junges Produkt ist? Konkurse und Pleiten mit all ihren negativen Nebenerscheinungen gibt es schon seit mehr als hundert Jahren.
Das liegt unter anderem daran, dass man erst seit den 1990er-Jahren in der Lage ist, derartige Risiken in Deutschland zu zeichnen. Vorher waren derartige Produkte vom jetzigen Bundesaufsichtsamt verboten worden.
© Detlef Fleischer, 2017