„Vorsorgepflicht für Selbstständige verhindern!"
Ein Gespräch mit Dr. Andreas Lutz, dem Vorsitzenden des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD).
Herr Dr. Lutz – Immer wieder heißt es, dass Selbstständige von Altersarmut bedroht sind. Wie groß ist das Armutsrisiko tatsächlich?
Im Wesentlichen sind sich die Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland einig, dass das Problem der Altersarmut übertrieben wird. Auch im neuen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung kann man nachlesen, dass der Anteil der zuvor selbstständigen Menschen mit Grundsicherung nicht zugenommen hat. Die Behauptung ist insofern nicht korrekt, dass immer mehr Selbstständige auf Grundsicherung angewiesen sind bzw. angewiesen sein werden. Wir bedauern sehr, dass bei der aktuellen Debatte über eine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige mit irreführenden Angaben gearbeitet wird.
Sie kritisieren beispielsweise die Ergebnisse eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Bei der Diskussion über die Altersarmut von Selbstständigen wird diese Studie von Politikern und Medienvertretern immer wieder zitiert. Sie besagt, dass die Hälfte der Selbstständigen in der Woche vor der Befragung nicht in die Rentenversicherung eingezahlt hat bzw. dass sie über keine Lebensversicherungsverträge von in Summe über 50.000 Euro besitzen. Wie passen solche Aussagen in eine Zeit, in der vor dem Abschluss von Lebensversicherungen gewarnt wird? Wenn man alle anderen populären Altersvorsorgeformen von Selbstständigen außer Acht lässt und dann zu dem Ergebnis kommt, dass nur die Hälfte dieser Personengruppe vorsorgt, dann ist das eine aberwitzige Fehlinformation.
Inzwischen hat sich das DIW mit einer neuen Studie unter dem Titel „Die allermeisten Selbstständigen betreiben Altersvorsorge oder haben Vermögen“ selbst korrigiert. Die neue Studie berücksichtigt auch Immobilien, Rentenversicherungen, Fondsanlagen usw. und kommt zum Ergebnis, dass nur wenige Selbstständige nicht vorsorgen – und das sind oft Gründer. Leider nehmen Politik und Medien davon bisher keine Notiz.
Gerade noch hatten Selbstständige und Freiberufler gehofft, dass die seinerzeit von Ursula von der Leyen (CDU) losgetretene Diskussion über eine Versicherungspflicht bzw. Pflichtversicherung vom Tisch ist. Jetzt hat sich die sozialdemokratische Arbeitsministerin dem Thema Zwangsvorsorge verschrieben. Haben Selbstständige nichts Besseres zu tun, als ständig bevormundet und zwangsbeglückt zu werden?
Keine Frage, wir müssen uns effektiver zur Wehr setzen. Bei der damaligen Auseinandersetzung mit Ursula von der Leyen haben wir gelernt, zu zeigen, wie wichtig es ist, viele Menschen zu mobilisieren. Das ist uns gelungen. In den zurückliegenden zwei Jahren war der VGSD sehr mit dem Thema Scheinselbstständigkeit beschäftigt. Auch hier haben wir wichtige Erfolge erzielt. Seit Mitte 2016 wenden wir uns wieder verstärkt dem Thema Rentenversicherungspflicht zu. Auf unserer Website sowie auf zahlreichen Veranstaltungen in ganz Deutschland haben wir über die Pläne informiert und Gespräche mit vielen Politikern geführt. Im neuen Jahr werden wir vielfältige Aktionen organisieren und dabei sehr eng mit anderen Selbstständigenverbänden zusammenarbeiten.
Nicht nur die SPD sondern auch Teile der CDU wollen partout eine Absicherung von Selbstständigen auf den Weg bringen. Der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, KARL SCHIEWERLING, schrieb im »Handelsblatt«: „Dies könnte wie bei der Handwerkerpflichtversicherung in der gesetzlichen Rente oder aber mit einer Pflicht zur Privatvorsorge erfolgen."
In meinen Augen sind das widersprüchliche Signale, die hier ausgesendet werden. Grundsätzlich hatte sich die CDU auf eine Altersvorsorgepflicht geeinigt. Damit verbunden wäre eine gewisse Freiheit hinsichtlich der Wahl der Anlageinstrumente. Im Vergleich zur Rentenversicherungspflicht, die von der SPD-Arbeitsministerin favorisiert wird, erscheint unserem Verband diese CDU-Position als das kleinere Übel, sie wird allerdings von Vertretern des Arbeitnehmerflügels noch in Frage gestellt.
Bei beiden Konzepten besteht die Problematik, dass Menschen mit geringem Einkommen bereits heute durch die hohen Mindestbeiträge zur Krankenversicherung belastet sind. Hier gibt es in der Zwischenzeit eine klare Festlegung auf Seiten der SPD, dass man diese Beiträge zumindest im Bereich der gesetzlich Versicherten absenken möchte. Diese Position lässt in unseren Augen die Situation der Privatversicherten mit hohen Beiträgen ungelöst.
Hier steht eine klare Aussage der CDU noch aus, wie sie dieses Problem lösen möchte.
Richtig. Ohne dass es im Bereich der Krankenversicherung zu einer vernünftigen Lösung kommt, kann es keine akzeptable Lösung für eine Altersvorsorge von Selbstständigen geben. Wir befürchten, dass sonst Hunderttausende von Selbstständigen ihre Selbstständigkeit beenden müssten.
Man kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass es Politiker gibt, denen ein solches Szenario durchaus recht wäre.
Wir beobachten bereits seit dem Jahr 2009 einen Stimmungswandel in der Politik: Selbstständigkeit wird seitdem in Deutschland zunehmend negativ gesehen, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung scheint einziger Maßstab zu sein.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn erinnerte in einem Debattenbeitrag daran, dass gerade unter den Solo-Selbständigen viele Taxifahrer, Kioskbetreiber oder Döner-Verkäufer seien. Diese Personengruppe geriet bei einer Pflichtversicherung an ihre Existenzgrenze.
Hier hat die CDU gegenüber ihrer Position aus dem Jahr 2012 dazugelernt! Damals war eine Altersvorsorgepflicht in pauschaler Höhe von etwa 400 bis 450 Euro geplant. Jens Spahn spielt heute offensichtlich darauf an, dass ein Beitrag einkommensabhängig gestaltet werden muss.
Die Bundesarbeitsministerin betont allerorten, dass sie mit möglichst vielen Gesprächspartnern über ihre Pläne gesprochen hat. Hat sie auch das Gespräch mit Ihrem Verband gesucht?
Wir haben von Anfang an gefordert, dass in diesem politischen Meinungsbildungsprozess auch Selbstständige vertreten sein müssen. Bereits im April 2015 haben wir beim Start des Dialogprozesses „Arbeit 4.0" und der Vorstellung eines Grünbuchs kritisiert, dass auf die Podien keine Selbstständigen eingeladen waren und das Grünbuch nicht eben ergebnisoffen formuliert war. Daraufhin sind wir in diesem Jahr bei der SPD-Bundestagsfraktion sowie beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zu Veranstaltungen eingeladen worden. Ein Erfolg dieser Gespräche besteht sicher darin, dass die SPD das bereits erwähnte Problem bei der Krankenversicherung erkannt hat und die Mindestbeiträge senken möchte.
In vielen anderen Punkten hat man unsere Bedenken ignoriert. Zusammen mit mehreren Selbstständigen-Verbänden hatten wir im September 2016 auch ein Kamingespräch mit der Bundesarbeitsministerin. Im Rahmen eines mittlerweile zweijährigen Prozesses fand dieser Gedankenaustausch zu meinem Bedauern sehr spät statt. Ich denke, dass wir insofern wenig Einfluss auf Entscheidungsprozesse hatten. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass im Dialog mit dem BMAS viele Positionen von Anfang an bereits unverrückbar feststanden.
Auch die Abschlusskonferenz zum Dialogprozess „Arbeiten 4.0 - das Weißbuch", die Ende November 2016 in Berlin stattfand, war eher ernüchternd, oder?
Zu unserem Bedauern hat man in Berlin neben den Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern erneut keinen einzigen Selbstständigen auf das Podium eingeladen. Und natürlich hätten wir uns gewünscht, dass unsere berechtigten Forderungen zum Thema Scheinselbstständigkeit und gegen eine Rentenversicherungspflicht stärker eingeflossen wären.
Im Jahr 2017 findet die nächste Bundestagswahl statt. Rechnen Sie damit, dass die große Koalition bis zum Wahltermin im Herbst eine Vorsorgepflicht für Selbstständige einführen wird?
Nein, das „Gesamtkonzept Altersvorsorge“ von Nahles, das Rentenbeiträge von bis zu 25 Prozent vorsieht, das Regelalter aber unverändert lassen möchte, ist nicht konsensfähig und war meines Erachtens von vorn herein auf den Wahlkampf ausgerichtet. Die Einbeziehung der Selbstständigen in die Rentenversicherung ist viel zu kompliziert, um sie in den nächsten Monaten noch schnell zu regeln. Es steht allerdings zu befürchten, dass das Thema spätestens im Rahmen möglicher Koalitionsverhandlungen wieder auf den Tisch kommt und Festlegungen vorgenommen werden. Deswegen müssen wir die Zeit bis zur Wahl intensiv nutzen!
Was konkret kann Ihr Verband tun, um diese Pläne zu verhindern?
Zunächst ist wichtig, dass alle Betroffenen erfahren, was auf sie zukommen kann. Schließlich sind von diesen Plänen nicht nur die vielzitieren Solo-Selbstständigen betroffen. Die SPD plant die Rentenversicherungspflicht auch für Selbstständige mit Angestellten und GmbH-Geschäftsführer. Alle Betroffenen müssen außerdem verstehen, in welcher Höhe sie belastet werden sollen. Wenn ich mir die SPD-Pläne anschaue, dann ist diese Versicherung nicht auf eine bestimmte Zahl von Jahren bzw. auf einen Regelbeitrag von zurzeit 565 Euro befristet. Es geht vielmehr um Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze, d. h. um einkommensabhängige Summen von bis zu 1.160 Euro pro Monat, die zu den ohnehin fälligen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung hinzukommen. [2017: 578 bzw. 1.187 Euro]
Glauben Sie, dass die um ihre Wiederwahl kämpfenden Bundestagsabgeordneten die Brisanz des Themas erkannt haben?
Nein! Dabei müssten sie nur einmal nachrechnen, wie sich die Summe an Belastungen auf die Existenz von Selbstständigen auswirken würde. Wir rechnen damit, dass man bei einem mittleren Einkommen (z.B. 50.000 Euro) auf Grenzbelastungen von deutlich über 60 % kommen würde. Mit anderen Worten: Wenn ein Selbstständiger einen Auftrag über 2.000 Euro bekommt und davon zum Beispiel 1.000 Euro Gewinn macht, bleiben am Schluss deutlich unter 400 Euro. Hier stellt sich die Frage, ob das noch Leistungsansätze setzt bzw. ob die Selbstständigkeit dann noch Spaß macht. Dabei sind die Gewerbesteuer und die von Andrea Nahles geplante Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge noch nicht berücksichtigt.
Wovon soll ein Selbstständiger mit unregelmäßigen Aufträgen dann noch leben?
Auch deshalb bin ich mir sehr sicher, dass in der Politik bisher niemand ernsthaft die Zahlen zusammengezählt hat. Deshalb wird es eine wichtige Aufgabe für unseren Verband sein, diese drohende Belastung zu thematisieren. Selbstständige vor Ort sollten das Gespräch mit Bundestagsabgeordneten bzw. Bundestagskandidaten suchen und ihre Sorgen deutlich machen. Im Wahlkampf ist die Bereitschaft zu solchen Gesprächen bekanntlich größer. Das sollte man nutzen.
Was raten Sie den ratsuchenden Selbstständigen? Sollen sie ihr Business direkt an den Nagel hängen oder direkt ins Ausland gehen?
Diese Schritte sind meines Erachtens nicht der richtige Weg. Vielmehr müssen wir gemeinsam dafür eintreten, die Rentenversicherungspflicht in dieser Ausgestaltung zu verhindern. Ich bin überzeugt, dass uns das gemeinsam gelingen kann.
Gesetzt den Fall, dass die Pflichtversicherung kommt: Bleibt dann nur noch der Gang nach Karlsruhe?
Ehrlich gesagt möchten wir dieses Gesetz lieber im Vorhinein abwenden. Es wird darauf ankommen, dass uns viele Betroffene bei Aktionen und Petitionen unterstützen. Wir haben bereits im Rahmen der Diskussion um das Thema Scheinselbstständigkeit gesehen, dass man gemeinsam etwas erreichen kann.
Und wenn Ihnen das nicht gelingt?
Dann rechne ich leider damit, dass die Zahl der Selbstständigen in Deutschland dramatisch abnehmen und es zu erheblichen Verwerfungen kommen wird. Dieser Prozess könnte dazu führen, dass auch große Unternehmen massive Probleme bekommen werden, Dienstleister und Experten auf dem freien Markt zu finden.
© Detlef Fleischer