Über den Krieg gegen das Bargeld
Handelsblatt-Redakteur Dr. Norbert Häring spricht mit seinem Buch „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen" ein brisantes Thema an, das uns alle angeht. Detailliert analysiert er, mit welchen Plänen eine weltweit operierende Gemengelage aus Finanzwelt und Politik alles dransetzt, Bargeld abzuschaffen und die völlig Informationskontrolle über uns und unser Leben zu bekommen. In Frankfurt/Main sprach ich mit dem streitbaren Preisträger der Keynes-Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik.
Herrn Dr. Häring – In Ihrem Besteller sprechen Sie dramatisch vom „Krieg gegen das Bargeld". Ist die Lage wirklich so ernst?
Der Aussage „Krieg gegen das Bargeld" kommt ursprünglich aus der Finanzbranche und wurde von denjenigen geprägt, die den Kampf führen. Selbst ein hochrangiger Bundesbankvertreter, der Zentralbereichsleiter Stefan Hardt, hat jüngst bei einer Parlamentsanhörung im Düsseldorfer Landtag genau diesen Begriff gebraucht.
Sie haben die Courage und nennen Ross und Reiter. Zum „Netzwerk der Anti-Bargeld-Krieger" gehören Willem Buiter, Mario Draghi, Ken Rogoff und Larry Summers.
Wie ich im Nachgang zu meinem Buch feststellen musste, gibt es die Kampagne schon länger und sie ist deutlich organisierter, als ich bis dahin wusste. Es gibt verschiedene Gruppen – z. B. eine „Better than Cash-Alliance" und mehrere verwandte Gruppen –, die von Datenkraken und der Finanzindustrie gesponsert werden. Diese Player sind sehr gut vernetzt und arbeiten mit den G20-Finanzministern zusammen. Durch großzügige Spenden haben sie sich sogar eine kleine UN-Organisation, die UNDCF, gekauft: Und sie arbeiten auch mit der Weltbank zusammen. In den Entwicklungs- und Schwellenländern sind diese Akteure schon sehr lange aktiv. Dort arbeiten sie massiv an der Zurückdrängung des Bargeldes.
Sie schreiben, dass in Afrika „ein riesiges Experiment zur Bargeldverdrängung" stattfindet.
Wenn man danach sucht, findet man beispielsweise Bemerkungen im Jahresbericht der Bill Gates-Foundation, in denen ganz klar zum Ausdruck kommt, dass die dortigen Experimente später auch Verwendung in entwickelten Ländern finden könnten. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Eine Kreditkartengesellschaft stellt in einem afrikanischen Land eine Karte bereit, die gleichzeitig als Personalausweis und als Kreditkarte funktioniert. Auf diese Karte kann der Staat seine Gehälter und – sofern es welche gibt – Sozialleistungen auszahlen. Man kann sich gut vorstellen, dass die Überwachungsmöglichkeiten durch den Einsatz einer einzigen Karte schon sehr ausgeprägt sein können.
Durch die Abschaffung des Bargeldes würde man auch hierzulande der staatlichen und privaten Überwachung Tür und Tor öffnen, oder?
Ken Rogoff hat sinngemäß geäußert, dass wir bereits heute so stark überwacht werden, dass es letztlich gar nicht mehr darauf ankommt. Er und seine Mitstreiter von der Harvard Universität argumentieren sinngemäß so: Wenn wir akzeptieren, dass alle, die am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilnehmen, überwacht werden, dann sollte man erst recht akzeptieren, dass die zwielichtigen Gestalten, die nicht auf Bargeld verzichten möchten, auch überwacht werden. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass die Überwachung unseres Lebens schon so weit fortgeschritten ist, dass es nicht mehr darauf ankommt. Vielmehr bin ich überzeugt, dass die Überwachung jedes einzelnen Bürgers durch den Zwang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr eine neue Qualität erreichen würde.
Diejenigen, die pro-aktiv für die Abschaffung des Bargeldes zu Felde ziehen, wollen angeblich der Schwarzarbeit, der Steuerhinterziehung und der Terrorfinanzierung zu Leibe rücken.
Natürlich gibt es hier einen Kern von Wahrheit, an den man durchaus glauben kann. Wenn man die Totalüberwachung aller Bürger einführt, dann wird kriminelles oder auch nur unerwünschtes Verhalten schwieriger bis unmöglich. Möglicherweise bleibt dann nur noch die Eliten-Kriminalität übrig. Das Netzwerk der Anti-Bargeld-Krieger glaubt allerdings gar nicht an diese vorgeschobenen Aspekte, was man am ständigen Wechsel ihrer Argumente gut ablesen kann. In Entwicklungsländern bedient man sich beispielsweise des absurden Arguments der finanziellen Inklusion. Sie behaupten, man müsse den bargeldlosen Zahlungsverkehr in diese Länder bringen und Bargeld zurückdrängen, damit die Menschen leichter an ein Konto kommen und am Zahlungsverkehr teilnehmen können. Dabei wissen alle, dass Bargeld die am einfachsten zugängliche Technologie ist, um am Zahlungsverkehr teilzunehmen. Hier sieht man besonders gut, wie verlogen das Argument ist.
Neben der Steuerhinterziehung und der Schattenwirtschaft gerät mittlerweile auch die Terrorfinanzierung in den Fokus. Dabei gibt es keinerlei Beweise, dass Zurückdrängung des Bargeldes, die in manchen Ländern schon weit fortgeschritten ist, in diesen Bereichen irgendetwas gebracht hätte. Schlimm an dieser möglichen Entwicklung finde ich, dass in einer total überwachbaren Gesellschaft die Menschen ihr Verhalten ändern. Sie wissen, dass es schon gefährlich sein kann, sich über sensible Themen zu informieren, etwa eine oppositionelle Zeitschrift zu kaufen.
Hans Magnus Enzensberger sagt: „Wer das Bargeld abschafft, schafft die Freiheit ab".
Wenn man keine Freiheit mehr hat, wichtige persönliche Daten vor der Überwachung zu schützen, wird man völlig gläsern. In meinen Augen arbeiten die Datenkraken und Geheimdienste bereits heute sehr stark daran, die Freiheit abzuschaffen. Es ist sehr beängstigend, was da passiert.
Ich verstehe nicht, wie sich Schweden nahezu kritiklos zu einer bargeldlosen und relativ gläsernen Gesellschaft entwickeln konnte.
In Schweden gibt es ziemlich gute und funktionierende Regierungen und der Staat ist auf Solidarität aufgebaut. Deshalb ist das Vertrauen der Menschen in ihre Regierung sehr ausgeprägt. Das ist einer der Gründe, warum es dort relativ wenig Widerstand gegen den Verlust von Privatsphäre gibt. Die Zentralbank hat diesen Prozess gefördert, in dem sie die Bargeldversorgung stark eingeschränkt und verteuert hat. In der Folge haben auch die Banken die Bargeldversorgung ebenfalls stark eingeschränkt. Parallel dazu haben die Kreditinstitute die Möglichkeiten, bargeldlos zu zahlen, attraktiver und günstiger gemacht. Letztendlich haben die Verantwortlichen die Menschen auch in Schweden bei ihrer Bequemlichkeit gepackt.
Angesichts der politischen Prozesse und Umwälzungen, die zurzeit in Europa zu beobachten sind, halte ich die Einstellung der Schweden in dieser Frage für schlichtweg naiv.
Durch eine Totalüberwachung der Bürger kann man letztendlich totalitäre Strukturen ermöglichen. Wenn man entsprechend naiv ist, kann man das Risiko bei einer „guten" Regierung als harmlos bezeichnen. Mit Blick auf die politischen Verhältnisse, wie wir sie in der Türkei oder den USA beobachten, kann einem Angst und Bange werden. Instrumente der finanziellen Totalkontrolle aller Bürger und Unternehmen in den Händen von Regierungen mit totalitären Anwandlungen sind eine gar nicht zu überschätzende Gefahr für Freiheit und Demokratie.
Leider spielt das Argument, dass Bargeld gerade für Gewerbetreibende überlebenswichtig sein kann, kaum eine Rolle.
Wer etwa mit dem Finanzamt Streit hat und das Konto gepfändet bekommt, der ist geschäftlich tot, wenn es kein Bargeld mehr gibt. Wenn er Geschäfte noch in bar abwickeln kann, ganz legal, dann kann er sich viel eher über die Zeit bis zur Klärung der Angelegenheit retten. Das haben schon viele Gewerbetreibende erlebt.“
In Ihrem Buch befassen Sie sich intensiv mit der Rolle der Banken auf dem Weg in die totale Kontrolle. Die Bargeldgegner argumentieren mit dem großen Aufwand, den die Bereithaltung von Münzen und Scheinen mit sich bringt.
Es wundert mich nicht, dass den Banken Bargeld lästig ist. Dafür muss man sich nur klar machen, dass das Buchgeld eine Schuld der Banken ist, die darin besteht, dass sie Bargeld auszuzahlen haben. Es ist die Macht von uns Kunden, dass wir jederzeit unsere Einlagen in Form von Bargeld zurückverlangen können. Nur wenige Menschen wissen, dass der Bundesgerichtshof (BGH) festgestellt hat, dass die Banken kein Geld dafür nehmen dürfen, wenn ein Kunde Bargeld einzahlt bzw. Bargeld haben möchte. Ein Schuldner (die Bank) darf kein Geld dafür verlangen, dass er seine Schuld erfüllt. Schließlich ist das normale Kundeneinlage täglich kündbar. Insofern ist es eine Verdrehung der Zusammenhänge, zu behaupten, Bargeld würde den Banken im täglichen und normalen Umfang zu viel Geld kosten.
Sie schreiben süffisant „von einem, der auszog 15.000 Euro abzuheben:"
Was ich bei meinem Versuch, eine Barauszahlung von 15.000 Euro von meinem Konto vorzunehmen, hatte es in sich. Man versuchte mir allen Ernstes weiszumachen, dass man mir maximal 10.000 Euro auszahlen könne.
Wo steht das? In den Geschäftsbedingungen?
Das ist aus gutem Grund nirgendwo festgehalten, weil es einen Vertragsbruch darstellen würde. Mir wurde mündlich erklärt, dass ich eine solche Summe nur mit drei Tagen Voranmeldung erhalten könnte. Es stimmt zwar, dass die Banken aufgrund der politischen Vorgaben, Stichwort: Geldwäsche, die Personalien des Kunden feststellen müssen. Aber es kann keine Rechtfertigung für eine Bank geben, zu behaupten, dass ich nicht – ohne Voranmeldung – mehr als 10.000 Euro von meinem Geld abheben kann. Denn das widerspräche der täglichen Kündigungsfrist von Giroeinlagen.
Früher - so schreiben Sie – wäre eine Bank, „die nicht genug Geld hatte, um ihre Kunden auszuzahlen, sofort in den Ruch der Insolvenz" geraten.
Genau deshalb haben die Banken früher alles getan, um eine solche Peinlichkeit zu vermeiden. Heute nutzen die Kreditinstitute die Geldwäsche-Richtlinien, um sie exzessiv auszulegen und diejenigen in die anrüchige Ecke zu stellen, die Bargeld abheben wollen. Sie wollen von ihrer Verpflichtung wegkommen, ihre täglich kündbaren Einlagen auch täglich kündbar als Bargeld auszuzahlen.
Kommen wir noch einmal auf Ken Rogoff zurück. Er vertritt die Auffassung, dass Bargeld ein entscheidendes Hindernis dafür ist, die Zentralbankzinsen weiter zu senken.
In seinem Buch „The Curse of Cash" verschweigt Ken Rogoff systematisch alles, was für die Leser die totale Harmonie seiner Problemdiagnose und seiner Vorschläge mit den Interessen der Bankbranche erkennbar machen würde. Er unternimmt sogar krasse Falschdarstellungen, um diese Nähe zu verbergen. Rogoff schreibt zum Beispiel viel über den Geldschöpfungsgewinn des Staates aus der Bargeldbereitstellung, verschweigt aber völlig den viel größeren Geldschöpfungsgewinn der Banken aus der Bereitstellung des Buchgeldes, der durch Bargeldabschaffung noch größer würde. Dass die Bürger gezwungen werden, ihr Geld konkursgefährdeten Banken anzuvertrauen, wenn es kein Bargeld mehr gibt, kommt nicht vor. Es gibt viele weitere vielsagende Auslassungen in dem Buch.
Gegen Bargeld wird auch argumentiert, dass es einer Negativzinspolitik der Notenbank zur Belebung der Wirtschaft im Wege stünde. Die Kreditinstitute klagen darüber, dass sie wegen des Bargelds die üblichen Zins- und Gewinnspannen bei Nullzinsen nicht durchsetzen können.
Das stimmt. Schon bei sehr niedrigen Zinsen klagen die Banken, dass sie ihre üblichen Zinsspannen nicht mehr durchsetzen können. Wenn die Notenbank den Leitzins deutlich negativ macht, wird das Problem für die Banken noch größer, weil sie den Negativzins nicht an die Kunden weitergeben können, solange diese einfach zinsloses Bargeld halten können. Aber Negativzinsen sind nicht besonders wirksam zur Ankurbelung der Wirtschaft und haben schwere Nebenwirkungen. Durch die niedrigen Zinsen werden Finanzinstitute, Bürger und Unternehmen vor allem angeregt, Vermögenswerte zu kaufen. Dadurch steigen die Aktien- und Immobilienpreise, was vor allem die sehr Vermögenden noch reicher macht. Diejenigen, die über kleinere und mittlere Vermögen verfügen, das zu erheblichen Teilen in Geldvermögen besteht, müssen dagegen erleben, dass ihr Vermögen schrumpft.
Mit Spannung habe ich in Ihrem Buch das Kapitel „Bargeldabschaffung als Fortsetzung der Demonetarisierung des Goldes" gelesen.
Der heutige Versuch, das Bargeld abzuschaffen, ist die direkte Fortsetzung der Abschaffung der Goldbindung des Dollars im Jahr 1971. Damit wurden Grenzen für die Ausdehnung des Dollarumlaufs durch die USA aufgehoben. Das ging so weit, dass der Internationale Währungsfonds später ein Verbot der Golddeckung von Währungen beschloss. Mit der Bargeldabschaffung würde die wichtigste Begrenzungen für die Buchgeldschaffung durch die Geschäftsbanken fallen.
Sie schreiben über die Suche nach knapp 3.400 Tonnen Gold, das die Bundesrepublik im Ausland verwahrt. Suchen wir eines Tages – sinnbildlich – den Verbleib des Bargelds in den Geldspeichern dieser Welt?
Das glaube ich nicht, denn letztendlich soll Bargeld komplett aus dem Verkehr gezogen werden. Insoweit hinkt Ihr Vergleich, denn Gold wird sicher auch in Zukunft gehandelt. Außerdem ist Bargeld – im Gegensatz zu Gold – kein Wirtschaftsgut, das gehandelt wird. Und obwohl Gold demonetarisiert ist, wird es als Vergleichsmaßstab für die Währungen behandelt. Von daher ist und bleibt der Goldpreis wichtig. Schießt der Goldpreis nach oben, zeigt er fehlendes Vertrauen und verstärkt dieses fehlende Vertrauen vielleicht noch. Deshalb werden sich die Zentralbanken auch in Zukunft um den Goldpreis kümmern. Und deshalb ist es auch wichtig, ob ein Land Goldreserven hat oder nicht. Nur so hat ein Land eine Alternative, um im Notfall eine vertrauenswürdige neue Währung machen zu können.
Wie groß ist die Gefahr oder Chance, dass anstelle von Gold und Bargeld eines Tages eine neue Währung tritt? Eine Währung auf der Basis eines gigantischen Wissensschatzes, das technofeudale Unternehmen wie Facebook, Google & Co. sammeln und analysieren.
Bereits heute erleben wir, dass diejenigen, die über sehr große Werte verfügen, diesen Umstand nutzen können, um für sich einen Geldschöpfungsgewinn einzustreichen. Sie schaffen für sich eine eigene Währung.
Aber noch zahlen wir nicht mit einem „Google".
Die zunehmende
Verflüchtigung des Geldes bei gleichzeitig zunehmendem Einfluss der Datenkraken
führt schon heute dazu, dass nahezu alte Begrenzungen ausgehebelt werden.
Denken Sie nur an das Thema Datenschutz. Insofern kann diese Entwicklung
tatsächlich dazu führen, dass derartige Bemühungen eines Tages von Erfolg
gekrönt werden. Das würde ich durchaus prognostizieren. Wenn wir keinen
entschlossenen Widerstand leisten, wird das dazu führen, dass wir in Daten
zerlegt, manipuliert und als Datenrohstoff verkauft werden. Wenn dies
tatsächlich zu Google-Geld führt, dann bezahlen wir – wenn der
Geldschöpfungsgewinn in die Bilanz des Unternehmens geht – dafür sogar ein
zweites Mal.
© Detlef Fleischer