Call-Agents, Call-Center, Service-Center, Hotlines [1]
"Herr Kaiser, da ist der Kunde König am Apparat"
Es hat einmal Zeiten gegeben, da hast du mit deinem Versicherungsvertreter von Mensch zu Mensch zu tun gehabt. Wenn etwas war, hast du ihn angerufen: "Hallo Herr Kaiser". Und Herr Kaiser wusste sofort, wer am anderen Ende der Leitung ist. Mit Gesicht und Geschichte. Er hat dich betreut, kam sogar manchmal zu dir nachhause und bei Kaffee und Kuchen wurden Kalauer erzählt. Er führte einen Aktenkoffer mit sich, darin waren Akten, in denen alle deine Bedürfnisse, Wünsche und Möglichkeiten handschriftlich festgehalten waren. Der Agent hatte immer alles vor Augen, deinen aktuellen Pkw-Schadensfall, die unangenehme Unterbringung bei deiner letzten OP, die dich dank seiner Einwirkung hat umdenken und mehr in deine Krankenversicherung investieren lassen. Auch hat er nie die schönen Grüße an die Großeltern (die bei ihm mit besten Margen überversichert waren) auszurichten vergessen.

Herr Kaiser, DIE stellvertretende Werbefigur für Versicherungsagenten, gehört einer aussterbenden Gattung an. Ebenso wie Tante Emma für Supermarktketten das Feld räumen musste, Büchergeschäfte wegen Amazon weniger geworden sind und so ziemlich alle großen Hersteller und Anbieter sowohl Beratung als auch Service outsourcen mussten, um wettbewerbsfähig zu bleiben - teils wurde nur lokal ausgegliedert, teils vollständig an Fremdunternehmen abgegeben. Warum?
Mal weg von der Versicherung und hinein in die Elektronikmärkte. Stell dir vor, der Verkäufer in der Küchengeräteabteilung bei einem großen Elektronikmarkt hat drei Kunden im Geschäft stehen, die es alle nicht erwarten können, viel Geld für Technik auszugeben. Dann rufst du dort an, weil deine kürzlich erst erworbene Waschmaschine einen Defekt hat, da soll sich jemand drum kümmern. Und ein weiterer Anrufer möchte, dass die Werbemails eingestellt werden. Wen soll der Verkäufer zuerst bedienen? Es ist noch nicht mal zwingend, dass er auf Provisionsbasis arbeitet. Es genügt, dass sein Vorgesetzter ihn stehenden Fußes zur Tür hinausbefördern würde, würde er die Telefonate vorrangig behandeln. Und beides lässt sich heutzutage einfach nicht mehr bewältigen.
Der Kundendienst ist eine eigene Branche geworden
Um heute noch neben dem Verkauf auch einen Kundenservice zum Produkt anbieten zu können, wurden Hotlines ins Leben gerufen.
Diese Kunden-Hotlines, Call-Center oder Service-Center haben sich so eingerichtet, dass ausgebildetes, qualifiziertes Personal, ob Verkäufer, Kassierer, Versicherungsfachmann oder Reisefachfrau und anderes Fachpersonal überflüssig sind. Deshalb ist Das Outsourcing für die Firmen wesentlich günstiger als hausintern eine entsprechende Abteilung aufzubauen. Dort wird ein auf das Unternehmen zugeschnittenes Repertoire an Know-how erarbeitet, das notwendig ist, um die meisten Kundenanliegen effizient und schnell zu bedienen. Auf dieser Grundlage werden die Call-Agents durch einen stringenten Einschulungsvorgang geführt.
Schauen wir in ein Stellenangebot eines Service-Centers an einen Call-Agent, finden wir unter "Berufsausbildung" häufig: KEINE Berufsausbildung ERFORDERLICH. Das ist das Segment der gerne gewählten "knapp über dem Mindestlohn"-Verdiener. Hingegen sind Service-Orientierung, fehlerfreie Kommunikationsfähigkeit in Wort und Schrift sowie sicherer Umgang mit dem PC absolute Must-Haves.
Das Outsourcing ist auch aus vielen anderen Gründen für die meisten Firmen wesentlich günstiger als das Einrichten einer hausintern eigenen Abteilung.
Der Call-Agent
Die fähigen sind meistens diejenigen, die für den Job vollkommen überqualifiziert und für das, was sie leisten, komplett unterbezahlt sind. Es sind entweder Studenten (das hat steuerliche Vorteile für Unternehmen) oder Leute um das Rentenalter, Künstler, die ihre Sozialversicherungspflichten und Krankenkasse abdecken müssen oder Leute, die nur in Teilzeit beschäftigt werden wollen. Obwohl oft überaus qualifiziert, finden sie aus unterschiedlichen Gründen auf dem Arbeitsmarkt nur schwer einen vollwertigen sozialversicherungspflichtigen Job. Der Mix ist bunt, interessant, bereichernd. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass diese Arbeitskräfte meistens nicht länger als ein bis drei Jahre im Betrieb bleiben.
Inbound Agents arbeiten für Callcenter intern. Im Gegensatz zu den Outbound-Agents, für die es darum geht, meistens mit Verkaufsabsicht, nach draußen zu telefonieren, haben Agents bei Service-Hotlines inbound die Aufgabe, Kundenanliegen entgegenzunehmen, sie zu prüfen, Lösungen zu finden und in jedem Fall zu dokumentieren.
Während der Einarbeitungszeit von durchschnittlich zwei Wochen werden alle relevanten Inhalte vermittelt. Gegebenenfalls auch zu den Produkten oder zu der Dienstleistung der beauftragenden Firma. Meistens ist das Wissen hier so komplex, dass es in einem Wissenskatalog zusammengefasst und von da aus abrufbar ist. Viel wichtiger ist sämtliches Wissen zu firmeninternen Mechanismen und Gesetzesgrundlagen, die dem Call-Agent den Rücken stärken, wenn er den Kunden neu orientieren muss (dem Kunden wird nicht "widersprochen", niemals) oder, um ihn bei seinen Absichten unterstützen zu können. Ein ganz wichtiger Teil der Ausbildung ist der Umgang mit den unterschiedlichen Programmen. Man hat in der Regel zwei Bildschirme, auf denen zwei hochfrequentierte Programme offen liegen: Eines davon ist das Fallbearbeitungsprogramm, Ticketsystem genannt.
Doch zuvor und zuallererst wird der Umgang mit dem Kunden nach ganz strikten Regeln der Kommunikation vorgegeben. Demnach muss der selbstredend freundliche und stimmlich angenehme Agent folgendes können:
ca. fünf feststehende Wordings bei Begrüßung, Verabschiedung oder besonderen Ansagen beherrschen
den Kundennamen nach Gehör oder nach Rückfrage zwei bis drei Mal während des Gesprächs wiederholen
während der Bearbeitung am Computer und Prüfungen in diversen Programmen mit dem Kunden fortwährend das Gespräch aufrechterhalten
Regel 1 beachten: Die Datenschutzsicherung (durch Datenabfrage) bei jedem einzelnen Kunden anwenden
Regel 2 beachten: Nie, niemals auflegen, auch nicht am Ende eines Telefonats.
Regel 3 beachten: Ganz gleich, wie ausfallend der Kunde wird, der Agent hat Ruhe zu bewahren und abzuwarten, bis der Kunde das Telefonat "aktiv" durch Auflegen selbst beendet.
Regel 4 beachten: Ein Gespräch generiert mindestens ein Bearbeitungsformular im System, das sogenannte Ticket. Wer Telefonate einzutragen vergisst, wird sehr bald ermahnt und bei Wiederholung noch schneller entlassen, denn im Hintergrund läuft bei der "Steuerung" ein Programm, das alles, wirklich alles an Telefonie durch direktes Erfassen und Auswerten kontrolliert und umgehend Alarm schlägt, sobald Unstimmigkeiten herrschen.
Regel 5 beachten: Die Telefonate, inklusive Bearbeitungszeit, dürfen eine bestimmte Durchschnittsdauer nicht überschreiten.
Regel 6 beachten: Die Anzahl der Anrufer in der Warteschleife ist für jeden Agenten sichtbar. Er trägt an der Verantwortung mit, dass das Service-Level hoch bleibt. Das bedeutet sehr oft, dass er nach Telefonat-Ende keine Zeit mehr hat, den Fall zu Ende zu dokumentieren, geschweige denn, dem Kunden eine Bestätigung oder Antwort zu mailen. Dann bleibt das Ticket offen, bis der Agent keinen neuen Call annehmen muss. Bedeutet: Ist endlich mal ein wenig Ruhe eingekehrt, muss er sich schleunigst den liegen gebliebenen Fällen widmen, sich die Gespräche anhand der stichwortartigen Notizen wieder ins Gedächtnis rufen und rekonstruieren und in vollständigen korrekten Sätzen dokumentieren. Zusätzlich muss er den Kunden meistens noch eine Bestätigungsmail schicken. Da gibt es wiederum einen Katalog an vorgefertigten Textbausteinen, von denen die richtige unter Hunderten erstmal gefunden und dann entsprechend individualisiert werden muss. Sehr häufig kommt es zu einem kaum noch zu bewältigenden Ticket-Stau. Das macht ziemlich nervös, wenn nicht abzusehen ist, wann die Warteschleife eine Bearbeitung der liegengebliebenen Fälle erlaubt.
Regel 7 beachten: Keine Verwendung von Tabu-Wörtern (z. Bsp. "Kein Problem!" "Das ist leider nicht möglich." "Das ist nicht unsere Schuld."), die Schwäche suggerieren.
Regel 8 beachten: Keine Umgangssprache verwenden.
Regel 9 beachten: Zielführend sein, das Gespräch übernehmen, sich nur sachlich auf das Anliegen, nicht auf die Person einlassen.
Zu Beginn genießt jeder Agent Welpenschutz und, wenn nicht die ganz großen Patzer passieren, erwartet niemand, dass bereits am Anfang alles perfekt ist. Nach einigen Tagen Neulingsdaseins erfolgt schon der erste "Abhörangriff". Ein sogenannter Coach hört mehrere Calls hintereinander mit. "Zu Trainingszwecken und zur Qualitätssicherung wird dieses Gespräch mitgehört. Sind Sie damit einverstanden?" Darauf folgt sehr zeitnah eine Sitzung mit dem Coach, bei der die Ergebnisse mit dem Agenten besprochen werden. Der Agent macht in der Regel zu Anfang bereits mindestens die Hälfte der Liste oben richtig. Andernfalls fällt er raus. Das ist eher selten der Fall. Beim zweiten Coaching, zwei bis drei Wochen später, werden 70% bis 80% der Einhaltung aller Kommunikationsgebote erwartet. Wenn der Agent dann nach ca. zwei Monaten bei 95% liegt, wird ihm vom Coach der letzte individuell fehlende Feinschliff verliehen.
Klassische Missverständnisse von Kundenseite
Viele der Kunden, die die Ära mit der persönlichen Kundenbetreuung erlebt haben, glauben, es wäre heute noch ein bisschen so. Nein. Ist es nicht. Nicht mal ein mini-bisschen.
Du machst ja schon Zugeständnisse an die Globalisierung. Aber andererseits kann man ja auch mal einen Small-Talk halten mit Infos über "unsere" Stadt und "die lokalen News". Nein. Wirklich nicht. Wahrscheinlich gibt es bundesweit nur ein Call-Center für alle Filialen deines Geschäfts und das befindet sich mit großer Sicherheit in einer vollkommen anderen Stadt. Aber weil das aus verschiedenen Gründen nicht kommuniziert werden soll, unter anderem, weil es das Gespräch unnötig in die Länge ziehen würde, geht der Agent nicht auf deine Ausführungen zu den letzten lokalen Ereignissen ein und beginnt, dich mit zielgerichteten Fragen abzuholen. Oft entsteht dabei der Eindruck, dass er ziemlich unverbindlich, distanziert, ja in deinen Ohren sogar fast unfreundlich erscheint.
Auch zuletzt beim Abschluss einer Autoversicherung für den neuen Wagen - immerhin für über 1.400 Euro im Jahr - ging der Deal über Telefon und E-Mail. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, die es tatsächlich abgelehnt hat, Auskunft zu geben, weil dir die Versicherungsnummer nicht bekannt war und du "nur" die Gattin oder der Gatte der versicherten Person bist. Also ehrlich, die hätte doch über E-Mail-Adresse oder Geburtsdatum suchen können. Nicht zuvorkommend. Und wo bleibt bitte das Vertrauen?
Die Höhe allerdings war, als das Hotline-Mädchen vom Versandhandel verbal ganz dreist ihre Hände in den Schoß gelegt hat. "Da können wir nichts tun, das sind unsere Geschäftsbedingungen." Bitteeeee?! Wer liest denn sowas durch! Wo ist denn die Logik, wenn ich mir online was bestelle, das Geld sofort einzuziehen, wo ich doch noch zwei Wochen auf die Lieferung warten muss? Schwachsinn. Da wird direkt mal mit dem Verbraucherschutz gedroht, den Vorgesetzten will man sprechen! Wie, es gibt keinen zurzeit? Was für eine freche Behauptung! Die wird dann aber mal zur Schnecke gemacht. Von wegen "Sie können ja nichts dafür." - das hätte sie wohl gern gehört. Wer für so eine Verbrecherfirma arbeitet, kann wohl was dafür.
Die Wahrheit ist, ob man bei einem Versandhandel anruft oder bei "seiner" Versicherung, einem Online-Shop oder sonst einem Anbieter, ob man irgendwo "VIP-" oder "Clubkunde" ist, es gibt keinen Konzern mehr, der sich für dich und deine Anliegen interessieren muss, um weiter existieren zu können.
Kundenfreundlichkeit? - Ja! Kulanz außerhalb der AGB? - Jain. Deine Lebensgeschichte? Dreimal Nein!!! Und: Wird nach Telefonaten über Kunden gelästert? Ja. Wenn der Kunde kein Benehmen hatte. Dann ja. Kurz, da wenig Zeit ist. Ansonsten ist man für nette oder witzige Anrufer sehr dankbar und die werden untereinander gelobt. Also alles wie im richtigen Leben: Wie man in den Wald ruft, so schallt es auch wieder heraus.
Agent Drosselbart
Ganz egal was für ein Vermögen du deiner Meinung nach bei dem Anbieter lässt oder gelassen hast. Du bist nicht mehr König Kunde, du bist die graue Masse, die sich Konsument nennt. Der mit der Macht ist jetzt vielmehr der Call-Agent. Warum?
Die Hotline-Mitarbeiter sind deine Ansprechpartner, wenn du mit deinen Anliegen weiterkommen willst. Der Vorgesetzte der Agents nennt sich "Teamleiter" und ist für ganz andere Dinge zuständig als "außergewöhnlich schwierige" Kundenanliegen und nur in Ausnahmen ansprechbar. Zum Beispiel kann im ersten halben Jahr des Agents nur der Teamleiter bei berechtigten Kulanz-Anfragen entscheiden und agieren. Dann holt der Agent den Teamleiter also sowieso von sich aus dazu. Dazu ist er verpflichtet. Ist ein Hotline-Mitarbeiter nach sechs Monaten seines Agenten-Daseins immer noch regelmäßig auf die Mitsprache oder das Einwirken seines Teamleiters angewiesen, hat er etwas nicht verstanden. Das war ja die Idee hinter dem Call-Center: alle im aktiven Geschäft eingebundenen Akteure zu entlasten. Deshalb: Die Frage der Kunden nach dem Vorgesetzten steht dem entgegen und ist daher von Grund auf sinnlos.
Wenn du bei der Hotline oder dem Service-Center eines Konzerns anrufst, musst du wissen, dass der im Schnitt unter 10 € brutto pro Stunde bezahlte Agent, der deinen Anruf entgegennimmt, egal welches Anliegen du hast und welchen Titel du trägst oder nicht trägst, deinem Anliegen begegnen MUSS. Die zweite joberhaltende Regel, die ein Call-Agent lernt, ist die Einhaltung der Bearbeitungszeit, die ihm im Durchschnitt für einen Anrufer zur Verfügung steht. Du würdest nicht damit klarkommen, wie wenig Zeit das ist, die der Agent hat, um dir aufmerksam zuzuhören, gleichzeitig ein Formular anzulegen und sinngemäß auszufüllen (für jeden Anruf muss ein Formular ins System gepflegt werden - selbst bei einem, der sich verwählt hat oder auflegt, müssen Mindestinformationen in 3 - 5 Felder eingegeben werden). Er muss dein Anliegen verstehen, es in ca. 3 bis 5 verschiedenen Programmen prüfen oder eine Lösung in einigen weiteren finden und alles dokumentieren. Er jongliert mit 10 und mehr offenen Programmen gleichzeitig noch während du dein Problem schilderst und Nummern zu Versicherungen, Artikeln oder Bestellungen nennst. Er schickt dir meistens schon nach dem Auflegen eine Antwort per Mail. Hier ist Akkordarbeit an der Tagesordnung. Das Callcenter verdient mit jedem sogenannten "Ticket", das generiert wird, seinen Umsatz. Und Überbelegung kann man sich hier genauso wenig leisten wie anderswo. Es zählt beides, Qualität und Quantität.
Ist der Call-Agent nach vier Wochen noch da, hat er die wichtigsten zwei Regeln verinnerlicht. Eine gewisse Virtuosität am Rechner ist Voraussetzung, er/sie ist fachlich geschult und kann schon alle Regeln beim Telefonieren mit dir abspulen während er die Richtlinien der Gesprächsführung befolgt. All das wird ständig und regelmäßig "zur Qualitätssicherung und zu Schulungszwecken" überprüft. Da sitzt jetzt also diese ziemlich schlecht bezahlte Krake mit ihren acht Armen und friemelt gerne für jeden Kunden die beste Lösung heraus, während Argus sie jederzeit ins Visier nehmen kann. Und dann kommt einer dieser Calls rein ...
Agent: "... Guten Tag, mein Name ist Felix Fröhlich, was kann ich für sie tun?"
Kunde: "Felix Fröhlich, das ist ja mal ein Name, mehr Sonnenschein geht nicht (lacht). Ehrlich, wie schön. Sie Glückspilz ..." Dieser Kunde würde auch bei Agent Sabine Meyer oder Agent Helmut Schmitz etwas finden, nur um eine Einleitung zu einem Plausch zu launchen.
Agent :oops: : "Ja. Ha ha"
Kunde, im ausgedehnten Plaudertempo: "Dann wollen wir mal hoffen, dass der Felix Fröhlich mir mit meinem Problemchen hier Glück bringt, was? Ha ha! Steinert mein Name. Horst Steinert. Wie versteinert nur ohne 'ver' davor, ha ha ha, 'ver' wie bei Vers, nicht wie beim Fernsehen. hahahaha."

Agent sieht die Anzeige zur Telefonat-Dauer: 35 Sekunden
Agent sieht die Anzeige der Warteschleife: 2 Anrufer
Agent: "Herr Steinert, wie kann ich Ihnen denn weiterhelfen?"
Kunde: "Och. Ich hoffe Sie können das. Es ist nicht ganz einfach. Es ist so, dass ich vorgestern, oder war das vorvorgestern? Na jedenfalls waren wir, meine Frau und ich vorgestern auf Ihrer Homepage." Schreit dann in eine andere Richtung, aber dann doch in den Hörer: "Susanne, wann war das, wo wir hier auf dem Computer im Online-Shop von denen waren?" Aus einiger Entfernung dann eine Frauenstimme: "Muss vorgestern gewesen sein. Vorvorgestern hatte ich Zumba." Der Kunde wieder in den Hörer: "Vorgestern konnte es nicht gewesen sein. Da war meine Frau beim Zumba. Vorgestern also, da waren wir hier (zeigt wahrscheinlich auf seinen Bildschirm vor ihm) und haben das bestellt."
Agent: "Geht es um eine Online-Bestellung Herr Steinert? Dann brauche ich eine Bestellnummer, die finden Sie ..."
Kunde: "Bin schon unterwegs." entfernt sich, "Einen Augenblick"
Agent (versucht sich Gehör zu verschaffen): "Die steht in der Bestätigungs-E-Mail, die Sie von uns erhalten haben." zu spät. 8-O
Kunde kommt wieder und wälzt geräuschvoll in einem Ordner.
Anzeige / Telefonat-Dauer: 1 Minute, 40 Sekunden. Und es gibt bisher noch nicht mal ein Anliegen, mit dem der Agent arbeiten könnte. Der Agent wird im Ton jetzt sachlicher und fordernder, lacht nicht mehr mit. Nur so kann er weiterkommen ohne unfreundlich zu werden. Es stellt sich heraus, dass der Kunde wissen wollte, wie der Lieferstatus ist. Punkt. Der Agent gibt die Bestellnummer im entsprechenden Programm ein und klickt auf "suchen" während er im Ticket-Programm auf dem anderen Monitor den Vorgang endlich bearbeiten kann. Vorher noch den Datenabgleich mit dem Kunden. Name, Vorname, Geburtsdatum ... Bestell-Nummer auch hier extra noch suchen lassen, Betreff, Anrede, Name des Kunden (war klein geschrieben, muss korrigiert werden) ... Jetzt wird die Bestellung auf dem anderen Monitor angezeigt. Klick, klick, klick - erst mal die Bestellbestätigung aufrufen. Immer weiter mit dem Kunden sprechen und auf dem Laufenden halten, nicht alles preisgeben, ständig signalisieren, dass man mit dem Anliegen beschäftigt ist, sonst fängt der an zu erzählen. In diesem Fall hätte das Anliegen in einer Minute bearbeitet werden können (Frage: "Wann kommt meine Lieferung?", dann Datenabgleich wegen Datenschutz, Bestellnummer, Prüfung, Auskunft, Dokumentation). Stattdessen wird der Agent durch einen vollkommen witzlosen Monolog von der Arbeit abgehalten, während die Warteschleife immer länger und die Statistik von Agent Fröhlich immer trauriger wird.
Anderer Fall:
Nehmen wir an, du bist verärgert, weil du vier Wochen vor Weihnachten eine Spielkonsole für dein Kind bestellt hast und jetzt, eine Woche vor Weihnachten, ist immer noch nichts angekommen. Angekündigt war eine Lieferzeit von vier bis sechs Tagen. Das Geld wurde schon bei der Bestellung eingezogen. Das war dir vorher nicht klar gewesen und nun hast du nicht genug übrig, um ins Geschäft zu gehen und ein Ersatzgeschenk zu besorgen. Du hast zwischenzeitlich bereits zwei Mal angerufen und wurdest immer wieder vertröstet. In diesem Fall hast du nur eine einzige Chance, dass du nicht die graue Eminenz "Konsument" bist und ein Agent alles dransetzt, um für dich eine Lösung rauszuholen: Bleib freundlich und schildere möglichst sachlich dein Problem. Du kannst sicher sein, dass die AGB in diesem Fall den Online-Shop in Sicherheit wiegen. Es kann nur noch ein Antrag auf Kulanz gestellt werden und dafür ist jede Menge guter Wille vom Agenten aus notwendig. Denn der wird jetzt seinen Teamleiter bitten müssen und zwar so, dass dieser ihn nicht für vollkommen zurückgeblieben erklärt bei der offensichtlichen Rechtslage, sondern, in die Bereitschaft versetzt wird, zuzuhören. Inzwischen gehen gut und gerne 25 bis 30 Minuten ins Land. Und der Agent wird es an diesem Tag schwer haben seine Vorgänge auf den von ihm erwarteten Durchschnitt zu bringen. Von diesem "Einzelfall" wird er sich zwar nicht so schnell erholen, aber er hat seinen Job wirklich gut gemacht. Und irgendwo wird ihm das auch angerechnet. Sofern sich derartige Komplikationen nicht stapeln.
Bester Call: "Oh, Entschuldigung, da habe ich mich verwählt." Da freut sich jeder Agent drüber. 3 Klicks, ein paar Tipper und fertig ist das Ticket.
Anliegen, die per E-Mail oder Chat reinkommen, sind oft ohne Gruß und Seele. Sie sind so "neutral" bis unverschämt im Ton, dass man kurz zaudert, weil es sich für den Verstand unhygienisch anfühlt. Ich frage mich, was solche Leute denken? Mit wem gehen sie sonst noch so um? Gut möglich, dass im Service-Center ein Student der Kommunikationswissenschaften sitzt, der eine gute Erziehung genossen hat und bekommt so eine Mail: "Wass los mit euch? Wie oft soll mann noch sagen das mann kein post mehr will. Hört den scheiß auf. Nochmal Son dingen in mein post und ich went mich an den Ferbrauchsschutzbund." Anfangs war ich belustigt, aber als es darum ging, dieses Ding seriös zu bearbeiten und höflich zu beantworten, da wurde mir ganz anders.
Wenn die Agents am Ende doch so fähig sind, warum hat man manchmal welche dran, die unfähig sind?
Es gibt natürlich solche und solche Agents, fähige und nicht so fähige, wohlmeinende und eher gleichgültige, lösungsorientierte und oberflächliche. Die meisten, die nach ca. drei Monaten nicht gekündigt worden sind, sind fähig, wohlmeinend und zielführend. Bei der Fluktuation in dieser Branche liegt deine Chance, einen unerfahrenen oder "lustlosen" Kollegen dran zu bekommen, bei etwa 30%.
Ich habe erlebt, wie studentische Aushilfskräfte unter ihren Headsets in Tränen ausgebrochen sind, weil sie die Beleidigungen der aufgebrachten Kunden persönlich nahmen und nicht ertragen konnten, dass man so herablassend mit ihnen spricht. Ich hatte selber Kunden in der Leitung, die ausgerastet sind. Manchmal hat es mich berührt. Ich konnte mich jedoch schnell fangen mithilfe der Vorstellung, dass da ein erwachsener Mensch ist, der heult oder einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil ihm seine Kundenkarte wiederholt nicht zugestellt wurde oder weil er andere vergleichsweise lächerlichen Probleme vor sich herschiebt. Beängstigend sind die Kunden, die sich so in Rage reden, dass sie nicht mehr zuzuhören im Stande sind. Sie verstehen bewusst Gesagtes nicht, ganz egal wie unmissverständlich die Aussage war. Sie hören nicht auf und sie legen nicht auf. Das muss man schon ab können. Bei solchen Calls sollte man aber schon mal auf seine Rechte auf Würde verweisen. Da verstummen die Kunden direkt. Erwünscht ist das aber nicht.
Man befolgt alle Regeln als Agent und regiert über Programme, Tickets und "das" System. Aber wenn Prinzessin Kunde von ihrem hohen Ross herabsteigt (oder gar nicht erst aufsteigt), tut Agent Drosselbart auch noch alles in seiner Macht Stehende, um auch im aussichtslosesten Fall weiterhelfen zu können.

Am anderen Ende der Leitung sitzt immer ein Mensch. Noch.
Das mit dem Zeitlimit war mir früher nicht klar. Seit ich weiß, wie die Zeit für Call-Agents tickt, lege ich mir vorher sämtliche Daten zurecht, die benötigt werden könnten und halte mich so kurz wie möglich.
Seitdem ist mir auch noch eingängiger, dass das Buchstabieralphabet seine Daseinsberechtigung hat. "Buchstabieren Sie Ihren Namen bitte mal?" Kunde: "E", "eth", "ha", "pwbä", Agent unterbricht: "Entschuldigung, der zweite Buchstabe war Siegfried oder Friedrich?" Kunde: "Eth, hab ich doch gesagt!" Agent: "Nun, das kommt leider nicht deutlich an und den Buchstaben gibt es ehrlich gesagt so nicht, wie ich ihn höre, ETH." Kunde: "Nicht ETH, eth!" Ihr wollt nicht wissen, was "pwbä" für ein Buchstabe war. Es liegt meistens gar nicht an der Aussprache, sondern daran, dass bei der Telefonie nur ein Bruchteil der Frequenztöne eines normalen Gesprächs übermittelt wird.
Und dann gibt es noch etwas: Als ich mal vor Jahren mit meinem quengeligen Sohn im Kleinkindalter an meiner Seite bei einer Hotline anrief und die Agentin mich erst mal freundlich nach meinem Anliegen fragte, quäkte er los. Nicht extrem laut, aber eben in einem hohen Ton. Das darauffolgende genervte Aufstöhnen der Agentin tat ich als übertriebenes Getue einer Noch-nicht-Mutter ab und war danach betont unfreundlich zu der vermeintlichen Kinderhasserin. Heute weiß ich, dass jedes bereits leicht hohe Geräusch aus dem Hintergrund des Anrufers den Kopf des Agents zum Bersten bringen kann, weil er sie unkomprimiert empfängt. Es ist schriller als der Tinnitus selbst, nervtötender als die Kreide, die an der Tafel kreischt und erschreckender als der Zahnbohrer am Ohr.
Es leuchtet mir nicht ein, warum Service-Center damit zurückhalten, gewisse Regeln auch für Kunden aufzustellen, sofern die sie nicht natürlicherweise einhalten. Dass der Agent die Eskalation eines Kunden aushalten muss, ist ein klares No-Go und sollte verboten werden. Es ist schon klar, dass dieses Verfahren die günstigste und einfachste Form der Deeskalation bietet. Sie widerspricht aber dem 1. Grundgesetz, der Erhaltung der menschlichen Würde.
Weitere Regeln, die den normalen Umgangsformen entsprechen, sollten auch am Telefon oder beim Schreiben einer E-Mail sowie im Chat selbstverständlich sein. Kunden, denen dieses Selbstverständnis fehlt, sollten, genau wie im richtigen Leben, vom Service ausgeschlossen werden. Oder hat schon jemand erlebt, dass die Bäckerin hinter der Theke, den letzten Kunden in der Schlange vorlässt, weil der erst unfreundlich wurde, dann losschimpfte und schließlich ausfallend wurde?
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Es hat einmal Zeiten gegeben, da hast du mit deinem Versicherungsvertreter von Mensch zu Mensch zu tun gehabt. Wenn etwas war, hast du ihn angerufen: "Hallo Herr Kaiser". Und Herr Kaiser wusste sofort, wer am anderen Ende der Leitung ist. Mit Gesicht und Geschichte. Er hat dich betreut, kam sogar manchmal zu dir nachhause und bei Kaffee und Kuchen wurden Kalauer erzählt. Er führte einen Aktenkoffer mit sich, darin waren Akten, in denen alle deine Bedürfnisse, Wünsche und Möglichkeiten handschriftlich festgehalten waren. Der Agent hatte immer alles vor Augen, deinen aktuellen Pkw-Schadensfall, die unangenehme Unterbringung bei deiner letzten OP, die dich dank seiner Einwirkung hat umdenken und mehr in deine Krankenversicherung investieren lassen. Auch hat er nie die schönen Grüße an die Großeltern (die bei ihm mit besten Margen überversichert waren) auszurichten vergessen.

Herr Kaiser, DIE stellvertretende Werbefigur für Versicherungsagenten, gehört einer aussterbenden Gattung an. Ebenso wie Tante Emma für Supermarktketten das Feld räumen musste, Büchergeschäfte wegen Amazon weniger geworden sind und so ziemlich alle großen Hersteller und Anbieter sowohl Beratung als auch Service outsourcen mussten, um wettbewerbsfähig zu bleiben - teils wurde nur lokal ausgegliedert, teils vollständig an Fremdunternehmen abgegeben. Warum?
Mal weg von der Versicherung und hinein in die Elektronikmärkte. Stell dir vor, der Verkäufer in der Küchengeräteabteilung bei einem großen Elektronikmarkt hat drei Kunden im Geschäft stehen, die es alle nicht erwarten können, viel Geld für Technik auszugeben. Dann rufst du dort an, weil deine kürzlich erst erworbene Waschmaschine einen Defekt hat, da soll sich jemand drum kümmern. Und ein weiterer Anrufer möchte, dass die Werbemails eingestellt werden. Wen soll der Verkäufer zuerst bedienen? Es ist noch nicht mal zwingend, dass er auf Provisionsbasis arbeitet. Es genügt, dass sein Vorgesetzter ihn stehenden Fußes zur Tür hinausbefördern würde, würde er die Telefonate vorrangig behandeln. Und beides lässt sich heutzutage einfach nicht mehr bewältigen.
Der Kundendienst ist eine eigene Branche geworden
Um heute noch neben dem Verkauf auch einen Kundenservice zum Produkt anbieten zu können, wurden Hotlines ins Leben gerufen.
Diese Kunden-Hotlines, Call-Center oder Service-Center haben sich so eingerichtet, dass ausgebildetes, qualifiziertes Personal, ob Verkäufer, Kassierer, Versicherungsfachmann oder Reisefachfrau und anderes Fachpersonal überflüssig sind. Deshalb ist Das Outsourcing für die Firmen wesentlich günstiger als hausintern eine entsprechende Abteilung aufzubauen. Dort wird ein auf das Unternehmen zugeschnittenes Repertoire an Know-how erarbeitet, das notwendig ist, um die meisten Kundenanliegen effizient und schnell zu bedienen. Auf dieser Grundlage werden die Call-Agents durch einen stringenten Einschulungsvorgang geführt.
Schauen wir in ein Stellenangebot eines Service-Centers an einen Call-Agent, finden wir unter "Berufsausbildung" häufig: KEINE Berufsausbildung ERFORDERLICH. Das ist das Segment der gerne gewählten "knapp über dem Mindestlohn"-Verdiener. Hingegen sind Service-Orientierung, fehlerfreie Kommunikationsfähigkeit in Wort und Schrift sowie sicherer Umgang mit dem PC absolute Must-Haves.
Das Outsourcing ist auch aus vielen anderen Gründen für die meisten Firmen wesentlich günstiger als das Einrichten einer hausintern eigenen Abteilung.
Der Call-Agent
Die fähigen sind meistens diejenigen, die für den Job vollkommen überqualifiziert und für das, was sie leisten, komplett unterbezahlt sind. Es sind entweder Studenten (das hat steuerliche Vorteile für Unternehmen) oder Leute um das Rentenalter, Künstler, die ihre Sozialversicherungspflichten und Krankenkasse abdecken müssen oder Leute, die nur in Teilzeit beschäftigt werden wollen. Obwohl oft überaus qualifiziert, finden sie aus unterschiedlichen Gründen auf dem Arbeitsmarkt nur schwer einen vollwertigen sozialversicherungspflichtigen Job. Der Mix ist bunt, interessant, bereichernd. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass diese Arbeitskräfte meistens nicht länger als ein bis drei Jahre im Betrieb bleiben.
Inbound Agents arbeiten für Callcenter intern. Im Gegensatz zu den Outbound-Agents, für die es darum geht, meistens mit Verkaufsabsicht, nach draußen zu telefonieren, haben Agents bei Service-Hotlines inbound die Aufgabe, Kundenanliegen entgegenzunehmen, sie zu prüfen, Lösungen zu finden und in jedem Fall zu dokumentieren.
Während der Einarbeitungszeit von durchschnittlich zwei Wochen werden alle relevanten Inhalte vermittelt. Gegebenenfalls auch zu den Produkten oder zu der Dienstleistung der beauftragenden Firma. Meistens ist das Wissen hier so komplex, dass es in einem Wissenskatalog zusammengefasst und von da aus abrufbar ist. Viel wichtiger ist sämtliches Wissen zu firmeninternen Mechanismen und Gesetzesgrundlagen, die dem Call-Agent den Rücken stärken, wenn er den Kunden neu orientieren muss (dem Kunden wird nicht "widersprochen", niemals) oder, um ihn bei seinen Absichten unterstützen zu können. Ein ganz wichtiger Teil der Ausbildung ist der Umgang mit den unterschiedlichen Programmen. Man hat in der Regel zwei Bildschirme, auf denen zwei hochfrequentierte Programme offen liegen: Eines davon ist das Fallbearbeitungsprogramm, Ticketsystem genannt.
Doch zuvor und zuallererst wird der Umgang mit dem Kunden nach ganz strikten Regeln der Kommunikation vorgegeben. Demnach muss der selbstredend freundliche und stimmlich angenehme Agent folgendes können:
ca. fünf feststehende Wordings bei Begrüßung, Verabschiedung oder besonderen Ansagen beherrschen
den Kundennamen nach Gehör oder nach Rückfrage zwei bis drei Mal während des Gesprächs wiederholen
während der Bearbeitung am Computer und Prüfungen in diversen Programmen mit dem Kunden fortwährend das Gespräch aufrechterhalten
Regel 1 beachten: Die Datenschutzsicherung (durch Datenabfrage) bei jedem einzelnen Kunden anwenden
Regel 2 beachten: Nie, niemals auflegen, auch nicht am Ende eines Telefonats.
Regel 3 beachten: Ganz gleich, wie ausfallend der Kunde wird, der Agent hat Ruhe zu bewahren und abzuwarten, bis der Kunde das Telefonat "aktiv" durch Auflegen selbst beendet.
Regel 4 beachten: Ein Gespräch generiert mindestens ein Bearbeitungsformular im System, das sogenannte Ticket. Wer Telefonate einzutragen vergisst, wird sehr bald ermahnt und bei Wiederholung noch schneller entlassen, denn im Hintergrund läuft bei der "Steuerung" ein Programm, das alles, wirklich alles an Telefonie durch direktes Erfassen und Auswerten kontrolliert und umgehend Alarm schlägt, sobald Unstimmigkeiten herrschen.
Regel 5 beachten: Die Telefonate, inklusive Bearbeitungszeit, dürfen eine bestimmte Durchschnittsdauer nicht überschreiten.
Regel 6 beachten: Die Anzahl der Anrufer in der Warteschleife ist für jeden Agenten sichtbar. Er trägt an der Verantwortung mit, dass das Service-Level hoch bleibt. Das bedeutet sehr oft, dass er nach Telefonat-Ende keine Zeit mehr hat, den Fall zu Ende zu dokumentieren, geschweige denn, dem Kunden eine Bestätigung oder Antwort zu mailen. Dann bleibt das Ticket offen, bis der Agent keinen neuen Call annehmen muss. Bedeutet: Ist endlich mal ein wenig Ruhe eingekehrt, muss er sich schleunigst den liegen gebliebenen Fällen widmen, sich die Gespräche anhand der stichwortartigen Notizen wieder ins Gedächtnis rufen und rekonstruieren und in vollständigen korrekten Sätzen dokumentieren. Zusätzlich muss er den Kunden meistens noch eine Bestätigungsmail schicken. Da gibt es wiederum einen Katalog an vorgefertigten Textbausteinen, von denen die richtige unter Hunderten erstmal gefunden und dann entsprechend individualisiert werden muss. Sehr häufig kommt es zu einem kaum noch zu bewältigenden Ticket-Stau. Das macht ziemlich nervös, wenn nicht abzusehen ist, wann die Warteschleife eine Bearbeitung der liegengebliebenen Fälle erlaubt.
Regel 7 beachten: Keine Verwendung von Tabu-Wörtern (z. Bsp. "Kein Problem!" "Das ist leider nicht möglich." "Das ist nicht unsere Schuld."), die Schwäche suggerieren.
Regel 8 beachten: Keine Umgangssprache verwenden.
Regel 9 beachten: Zielführend sein, das Gespräch übernehmen, sich nur sachlich auf das Anliegen, nicht auf die Person einlassen.
Zu Beginn genießt jeder Agent Welpenschutz und, wenn nicht die ganz großen Patzer passieren, erwartet niemand, dass bereits am Anfang alles perfekt ist. Nach einigen Tagen Neulingsdaseins erfolgt schon der erste "Abhörangriff". Ein sogenannter Coach hört mehrere Calls hintereinander mit. "Zu Trainingszwecken und zur Qualitätssicherung wird dieses Gespräch mitgehört. Sind Sie damit einverstanden?" Darauf folgt sehr zeitnah eine Sitzung mit dem Coach, bei der die Ergebnisse mit dem Agenten besprochen werden. Der Agent macht in der Regel zu Anfang bereits mindestens die Hälfte der Liste oben richtig. Andernfalls fällt er raus. Das ist eher selten der Fall. Beim zweiten Coaching, zwei bis drei Wochen später, werden 70% bis 80% der Einhaltung aller Kommunikationsgebote erwartet. Wenn der Agent dann nach ca. zwei Monaten bei 95% liegt, wird ihm vom Coach der letzte individuell fehlende Feinschliff verliehen.
Klassische Missverständnisse von Kundenseite
Viele der Kunden, die die Ära mit der persönlichen Kundenbetreuung erlebt haben, glauben, es wäre heute noch ein bisschen so. Nein. Ist es nicht. Nicht mal ein mini-bisschen.
Du machst ja schon Zugeständnisse an die Globalisierung. Aber andererseits kann man ja auch mal einen Small-Talk halten mit Infos über "unsere" Stadt und "die lokalen News". Nein. Wirklich nicht. Wahrscheinlich gibt es bundesweit nur ein Call-Center für alle Filialen deines Geschäfts und das befindet sich mit großer Sicherheit in einer vollkommen anderen Stadt. Aber weil das aus verschiedenen Gründen nicht kommuniziert werden soll, unter anderem, weil es das Gespräch unnötig in die Länge ziehen würde, geht der Agent nicht auf deine Ausführungen zu den letzten lokalen Ereignissen ein und beginnt, dich mit zielgerichteten Fragen abzuholen. Oft entsteht dabei der Eindruck, dass er ziemlich unverbindlich, distanziert, ja in deinen Ohren sogar fast unfreundlich erscheint.
Auch zuletzt beim Abschluss einer Autoversicherung für den neuen Wagen - immerhin für über 1.400 Euro im Jahr - ging der Deal über Telefon und E-Mail. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, die es tatsächlich abgelehnt hat, Auskunft zu geben, weil dir die Versicherungsnummer nicht bekannt war und du "nur" die Gattin oder der Gatte der versicherten Person bist. Also ehrlich, die hätte doch über E-Mail-Adresse oder Geburtsdatum suchen können. Nicht zuvorkommend. Und wo bleibt bitte das Vertrauen?
Die Höhe allerdings war, als das Hotline-Mädchen vom Versandhandel verbal ganz dreist ihre Hände in den Schoß gelegt hat. "Da können wir nichts tun, das sind unsere Geschäftsbedingungen." Bitteeeee?! Wer liest denn sowas durch! Wo ist denn die Logik, wenn ich mir online was bestelle, das Geld sofort einzuziehen, wo ich doch noch zwei Wochen auf die Lieferung warten muss? Schwachsinn. Da wird direkt mal mit dem Verbraucherschutz gedroht, den Vorgesetzten will man sprechen! Wie, es gibt keinen zurzeit? Was für eine freche Behauptung! Die wird dann aber mal zur Schnecke gemacht. Von wegen "Sie können ja nichts dafür." - das hätte sie wohl gern gehört. Wer für so eine Verbrecherfirma arbeitet, kann wohl was dafür.
Die Wahrheit ist, ob man bei einem Versandhandel anruft oder bei "seiner" Versicherung, einem Online-Shop oder sonst einem Anbieter, ob man irgendwo "VIP-" oder "Clubkunde" ist, es gibt keinen Konzern mehr, der sich für dich und deine Anliegen interessieren muss, um weiter existieren zu können.
Kundenfreundlichkeit? - Ja! Kulanz außerhalb der AGB? - Jain. Deine Lebensgeschichte? Dreimal Nein!!! Und: Wird nach Telefonaten über Kunden gelästert? Ja. Wenn der Kunde kein Benehmen hatte. Dann ja. Kurz, da wenig Zeit ist. Ansonsten ist man für nette oder witzige Anrufer sehr dankbar und die werden untereinander gelobt. Also alles wie im richtigen Leben: Wie man in den Wald ruft, so schallt es auch wieder heraus.
Agent Drosselbart
Ganz egal was für ein Vermögen du deiner Meinung nach bei dem Anbieter lässt oder gelassen hast. Du bist nicht mehr König Kunde, du bist die graue Masse, die sich Konsument nennt. Der mit der Macht ist jetzt vielmehr der Call-Agent. Warum?
Die Hotline-Mitarbeiter sind deine Ansprechpartner, wenn du mit deinen Anliegen weiterkommen willst. Der Vorgesetzte der Agents nennt sich "Teamleiter" und ist für ganz andere Dinge zuständig als "außergewöhnlich schwierige" Kundenanliegen und nur in Ausnahmen ansprechbar. Zum Beispiel kann im ersten halben Jahr des Agents nur der Teamleiter bei berechtigten Kulanz-Anfragen entscheiden und agieren. Dann holt der Agent den Teamleiter also sowieso von sich aus dazu. Dazu ist er verpflichtet. Ist ein Hotline-Mitarbeiter nach sechs Monaten seines Agenten-Daseins immer noch regelmäßig auf die Mitsprache oder das Einwirken seines Teamleiters angewiesen, hat er etwas nicht verstanden. Das war ja die Idee hinter dem Call-Center: alle im aktiven Geschäft eingebundenen Akteure zu entlasten. Deshalb: Die Frage der Kunden nach dem Vorgesetzten steht dem entgegen und ist daher von Grund auf sinnlos.
Wenn du bei der Hotline oder dem Service-Center eines Konzerns anrufst, musst du wissen, dass der im Schnitt unter 10 € brutto pro Stunde bezahlte Agent, der deinen Anruf entgegennimmt, egal welches Anliegen du hast und welchen Titel du trägst oder nicht trägst, deinem Anliegen begegnen MUSS. Die zweite joberhaltende Regel, die ein Call-Agent lernt, ist die Einhaltung der Bearbeitungszeit, die ihm im Durchschnitt für einen Anrufer zur Verfügung steht. Du würdest nicht damit klarkommen, wie wenig Zeit das ist, die der Agent hat, um dir aufmerksam zuzuhören, gleichzeitig ein Formular anzulegen und sinngemäß auszufüllen (für jeden Anruf muss ein Formular ins System gepflegt werden - selbst bei einem, der sich verwählt hat oder auflegt, müssen Mindestinformationen in 3 - 5 Felder eingegeben werden). Er muss dein Anliegen verstehen, es in ca. 3 bis 5 verschiedenen Programmen prüfen oder eine Lösung in einigen weiteren finden und alles dokumentieren. Er jongliert mit 10 und mehr offenen Programmen gleichzeitig noch während du dein Problem schilderst und Nummern zu Versicherungen, Artikeln oder Bestellungen nennst. Er schickt dir meistens schon nach dem Auflegen eine Antwort per Mail. Hier ist Akkordarbeit an der Tagesordnung. Das Callcenter verdient mit jedem sogenannten "Ticket", das generiert wird, seinen Umsatz. Und Überbelegung kann man sich hier genauso wenig leisten wie anderswo. Es zählt beides, Qualität und Quantität.
Ist der Call-Agent nach vier Wochen noch da, hat er die wichtigsten zwei Regeln verinnerlicht. Eine gewisse Virtuosität am Rechner ist Voraussetzung, er/sie ist fachlich geschult und kann schon alle Regeln beim Telefonieren mit dir abspulen während er die Richtlinien der Gesprächsführung befolgt. All das wird ständig und regelmäßig "zur Qualitätssicherung und zu Schulungszwecken" überprüft. Da sitzt jetzt also diese ziemlich schlecht bezahlte Krake mit ihren acht Armen und friemelt gerne für jeden Kunden die beste Lösung heraus, während Argus sie jederzeit ins Visier nehmen kann. Und dann kommt einer dieser Calls rein ...
Agent: "... Guten Tag, mein Name ist Felix Fröhlich, was kann ich für sie tun?"
Kunde: "Felix Fröhlich, das ist ja mal ein Name, mehr Sonnenschein geht nicht (lacht). Ehrlich, wie schön. Sie Glückspilz ..." Dieser Kunde würde auch bei Agent Sabine Meyer oder Agent Helmut Schmitz etwas finden, nur um eine Einleitung zu einem Plausch zu launchen.
Agent :oops: : "Ja. Ha ha"
Kunde, im ausgedehnten Plaudertempo: "Dann wollen wir mal hoffen, dass der Felix Fröhlich mir mit meinem Problemchen hier Glück bringt, was? Ha ha! Steinert mein Name. Horst Steinert. Wie versteinert nur ohne 'ver' davor, ha ha ha, 'ver' wie bei Vers, nicht wie beim Fernsehen. hahahaha."

Agent sieht die Anzeige zur Telefonat-Dauer: 35 Sekunden
Agent sieht die Anzeige der Warteschleife: 2 Anrufer
Agent: "Herr Steinert, wie kann ich Ihnen denn weiterhelfen?"
Kunde: "Och. Ich hoffe Sie können das. Es ist nicht ganz einfach. Es ist so, dass ich vorgestern, oder war das vorvorgestern? Na jedenfalls waren wir, meine Frau und ich vorgestern auf Ihrer Homepage." Schreit dann in eine andere Richtung, aber dann doch in den Hörer: "Susanne, wann war das, wo wir hier auf dem Computer im Online-Shop von denen waren?" Aus einiger Entfernung dann eine Frauenstimme: "Muss vorgestern gewesen sein. Vorvorgestern hatte ich Zumba." Der Kunde wieder in den Hörer: "Vorgestern konnte es nicht gewesen sein. Da war meine Frau beim Zumba. Vorgestern also, da waren wir hier (zeigt wahrscheinlich auf seinen Bildschirm vor ihm) und haben das bestellt."
Agent: "Geht es um eine Online-Bestellung Herr Steinert? Dann brauche ich eine Bestellnummer, die finden Sie ..."
Kunde: "Bin schon unterwegs." entfernt sich, "Einen Augenblick"
Agent (versucht sich Gehör zu verschaffen): "Die steht in der Bestätigungs-E-Mail, die Sie von uns erhalten haben." zu spät. 8-O
Kunde kommt wieder und wälzt geräuschvoll in einem Ordner.
Anzeige / Telefonat-Dauer: 1 Minute, 40 Sekunden. Und es gibt bisher noch nicht mal ein Anliegen, mit dem der Agent arbeiten könnte. Der Agent wird im Ton jetzt sachlicher und fordernder, lacht nicht mehr mit. Nur so kann er weiterkommen ohne unfreundlich zu werden. Es stellt sich heraus, dass der Kunde wissen wollte, wie der Lieferstatus ist. Punkt. Der Agent gibt die Bestellnummer im entsprechenden Programm ein und klickt auf "suchen" während er im Ticket-Programm auf dem anderen Monitor den Vorgang endlich bearbeiten kann. Vorher noch den Datenabgleich mit dem Kunden. Name, Vorname, Geburtsdatum ... Bestell-Nummer auch hier extra noch suchen lassen, Betreff, Anrede, Name des Kunden (war klein geschrieben, muss korrigiert werden) ... Jetzt wird die Bestellung auf dem anderen Monitor angezeigt. Klick, klick, klick - erst mal die Bestellbestätigung aufrufen. Immer weiter mit dem Kunden sprechen und auf dem Laufenden halten, nicht alles preisgeben, ständig signalisieren, dass man mit dem Anliegen beschäftigt ist, sonst fängt der an zu erzählen. In diesem Fall hätte das Anliegen in einer Minute bearbeitet werden können (Frage: "Wann kommt meine Lieferung?", dann Datenabgleich wegen Datenschutz, Bestellnummer, Prüfung, Auskunft, Dokumentation). Stattdessen wird der Agent durch einen vollkommen witzlosen Monolog von der Arbeit abgehalten, während die Warteschleife immer länger und die Statistik von Agent Fröhlich immer trauriger wird.
Anderer Fall:
Nehmen wir an, du bist verärgert, weil du vier Wochen vor Weihnachten eine Spielkonsole für dein Kind bestellt hast und jetzt, eine Woche vor Weihnachten, ist immer noch nichts angekommen. Angekündigt war eine Lieferzeit von vier bis sechs Tagen. Das Geld wurde schon bei der Bestellung eingezogen. Das war dir vorher nicht klar gewesen und nun hast du nicht genug übrig, um ins Geschäft zu gehen und ein Ersatzgeschenk zu besorgen. Du hast zwischenzeitlich bereits zwei Mal angerufen und wurdest immer wieder vertröstet. In diesem Fall hast du nur eine einzige Chance, dass du nicht die graue Eminenz "Konsument" bist und ein Agent alles dransetzt, um für dich eine Lösung rauszuholen: Bleib freundlich und schildere möglichst sachlich dein Problem. Du kannst sicher sein, dass die AGB in diesem Fall den Online-Shop in Sicherheit wiegen. Es kann nur noch ein Antrag auf Kulanz gestellt werden und dafür ist jede Menge guter Wille vom Agenten aus notwendig. Denn der wird jetzt seinen Teamleiter bitten müssen und zwar so, dass dieser ihn nicht für vollkommen zurückgeblieben erklärt bei der offensichtlichen Rechtslage, sondern, in die Bereitschaft versetzt wird, zuzuhören. Inzwischen gehen gut und gerne 25 bis 30 Minuten ins Land. Und der Agent wird es an diesem Tag schwer haben seine Vorgänge auf den von ihm erwarteten Durchschnitt zu bringen. Von diesem "Einzelfall" wird er sich zwar nicht so schnell erholen, aber er hat seinen Job wirklich gut gemacht. Und irgendwo wird ihm das auch angerechnet. Sofern sich derartige Komplikationen nicht stapeln.
Bester Call: "Oh, Entschuldigung, da habe ich mich verwählt." Da freut sich jeder Agent drüber. 3 Klicks, ein paar Tipper und fertig ist das Ticket.
Anliegen, die per E-Mail oder Chat reinkommen, sind oft ohne Gruß und Seele. Sie sind so "neutral" bis unverschämt im Ton, dass man kurz zaudert, weil es sich für den Verstand unhygienisch anfühlt. Ich frage mich, was solche Leute denken? Mit wem gehen sie sonst noch so um? Gut möglich, dass im Service-Center ein Student der Kommunikationswissenschaften sitzt, der eine gute Erziehung genossen hat und bekommt so eine Mail: "Wass los mit euch? Wie oft soll mann noch sagen das mann kein post mehr will. Hört den scheiß auf. Nochmal Son dingen in mein post und ich went mich an den Ferbrauchsschutzbund." Anfangs war ich belustigt, aber als es darum ging, dieses Ding seriös zu bearbeiten und höflich zu beantworten, da wurde mir ganz anders.
Wenn die Agents am Ende doch so fähig sind, warum hat man manchmal welche dran, die unfähig sind?
Es gibt natürlich solche und solche Agents, fähige und nicht so fähige, wohlmeinende und eher gleichgültige, lösungsorientierte und oberflächliche. Die meisten, die nach ca. drei Monaten nicht gekündigt worden sind, sind fähig, wohlmeinend und zielführend. Bei der Fluktuation in dieser Branche liegt deine Chance, einen unerfahrenen oder "lustlosen" Kollegen dran zu bekommen, bei etwa 30%.
Ich habe erlebt, wie studentische Aushilfskräfte unter ihren Headsets in Tränen ausgebrochen sind, weil sie die Beleidigungen der aufgebrachten Kunden persönlich nahmen und nicht ertragen konnten, dass man so herablassend mit ihnen spricht. Ich hatte selber Kunden in der Leitung, die ausgerastet sind. Manchmal hat es mich berührt. Ich konnte mich jedoch schnell fangen mithilfe der Vorstellung, dass da ein erwachsener Mensch ist, der heult oder einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil ihm seine Kundenkarte wiederholt nicht zugestellt wurde oder weil er andere vergleichsweise lächerlichen Probleme vor sich herschiebt. Beängstigend sind die Kunden, die sich so in Rage reden, dass sie nicht mehr zuzuhören im Stande sind. Sie verstehen bewusst Gesagtes nicht, ganz egal wie unmissverständlich die Aussage war. Sie hören nicht auf und sie legen nicht auf. Das muss man schon ab können. Bei solchen Calls sollte man aber schon mal auf seine Rechte auf Würde verweisen. Da verstummen die Kunden direkt. Erwünscht ist das aber nicht.
Man befolgt alle Regeln als Agent und regiert über Programme, Tickets und "das" System. Aber wenn Prinzessin Kunde von ihrem hohen Ross herabsteigt (oder gar nicht erst aufsteigt), tut Agent Drosselbart auch noch alles in seiner Macht Stehende, um auch im aussichtslosesten Fall weiterhelfen zu können.

Am anderen Ende der Leitung sitzt immer ein Mensch. Noch.
Das mit dem Zeitlimit war mir früher nicht klar. Seit ich weiß, wie die Zeit für Call-Agents tickt, lege ich mir vorher sämtliche Daten zurecht, die benötigt werden könnten und halte mich so kurz wie möglich.
Seitdem ist mir auch noch eingängiger, dass das Buchstabieralphabet seine Daseinsberechtigung hat. "Buchstabieren Sie Ihren Namen bitte mal?" Kunde: "E", "eth", "ha", "pwbä", Agent unterbricht: "Entschuldigung, der zweite Buchstabe war Siegfried oder Friedrich?" Kunde: "Eth, hab ich doch gesagt!" Agent: "Nun, das kommt leider nicht deutlich an und den Buchstaben gibt es ehrlich gesagt so nicht, wie ich ihn höre, ETH." Kunde: "Nicht ETH, eth!" Ihr wollt nicht wissen, was "pwbä" für ein Buchstabe war. Es liegt meistens gar nicht an der Aussprache, sondern daran, dass bei der Telefonie nur ein Bruchteil der Frequenztöne eines normalen Gesprächs übermittelt wird.
Und dann gibt es noch etwas: Als ich mal vor Jahren mit meinem quengeligen Sohn im Kleinkindalter an meiner Seite bei einer Hotline anrief und die Agentin mich erst mal freundlich nach meinem Anliegen fragte, quäkte er los. Nicht extrem laut, aber eben in einem hohen Ton. Das darauffolgende genervte Aufstöhnen der Agentin tat ich als übertriebenes Getue einer Noch-nicht-Mutter ab und war danach betont unfreundlich zu der vermeintlichen Kinderhasserin. Heute weiß ich, dass jedes bereits leicht hohe Geräusch aus dem Hintergrund des Anrufers den Kopf des Agents zum Bersten bringen kann, weil er sie unkomprimiert empfängt. Es ist schriller als der Tinnitus selbst, nervtötender als die Kreide, die an der Tafel kreischt und erschreckender als der Zahnbohrer am Ohr.
Es leuchtet mir nicht ein, warum Service-Center damit zurückhalten, gewisse Regeln auch für Kunden aufzustellen, sofern die sie nicht natürlicherweise einhalten. Dass der Agent die Eskalation eines Kunden aushalten muss, ist ein klares No-Go und sollte verboten werden. Es ist schon klar, dass dieses Verfahren die günstigste und einfachste Form der Deeskalation bietet. Sie widerspricht aber dem 1. Grundgesetz, der Erhaltung der menschlichen Würde.
Weitere Regeln, die den normalen Umgangsformen entsprechen, sollten auch am Telefon oder beim Schreiben einer E-Mail sowie im Chat selbstverständlich sein. Kunden, denen dieses Selbstverständnis fehlt, sollten, genau wie im richtigen Leben, vom Service ausgeschlossen werden. Oder hat schon jemand erlebt, dass die Bäckerin hinter der Theke, den letzten Kunden in der Schlange vorlässt, weil der erst unfreundlich wurde, dann losschimpfte und schließlich ausfallend wurde?
Was überall zählt, gilt auch beim Service-Center: Der Mensch und sein Benehmen
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