Schauspiel:
Szene aus Schöpfung. Foto: Hupfeld
Beim Rausgehen nach der Premiere von „Schöpfung“ am Samstag im Schauspielhaus hörte ich, wie eine Frau zu einer anderen sagte: „Gut, dass mein Freund nicht mitgekommen ist. Der hätte damit rein gar nichts anfangen können.“ Ich kann nur annehmen, dass dieser Freund jemand ist, der eher auf traditionelleres Theater steht, denn auf der am Schauspiel Dortmund bekanntlich ziemlich weitläufigen Skala der Abgedrehtheit nimmt diese Produktion unter der Regie von Claudia Bauer keinen ganz niedrigen Platz ein.
Versuchen wir eine Annäherung: Das Stück setzt auf den Kontrast von christlicher Schöpfungsgeschichte und den nicht immer nur erfreulichen Realitäten im menschlichen Leben. Für Ersteres sind die drei Opernsänger Maria Helgath (Sopran), Ulrich Cordes (Tenor) und Robin Grunwald (Bass) zuständig. Begleitet von Petra Riesenweber am (misstönenden) elektrischen Piano singen sie zwischendurch immer mal wieder Passagen aus Joseph Haydns „Die Schöpfung“. Für das (mit-)menschliche Durcheinander dagegen sorgen die gewohnt spielfreudigen Schauspieler Ekkehard Freye, Björn Gabriel, Frank Genser, Marlena Keil, Bettina Lieder und Uwe Rohbeck. Sie duschen gemeinsam, verkleiden sich mit Tiermasken, töten einen Wal und nehmen ihn gemeinsam aus, lamentieren über dieses und jenes, sprechen mit Micky-Maus-Stimme und toben ganz allgemein eineinhalb Stunden lang durch die Kulissen. Die bestehen – wie häufig am Schauspiel Dortmund – aus einem drehbaren Bühnenbild, in dem sich mehrere ineinander verschachtelte Räume verbergen. Die Schauspieler sind in vielen Sequenzen gar nicht direkt zu sehen, sondern nur per Live-Video (Tobias Hoeft) auf der Leinwand. So oft der Einsatz der Videotechnik am Schauspiel Dortmund zu loben ist – diesmal schafft sie eher Distanz, die gar nicht nötig wäre. Warum müssen die Schauspieler ihre Texte in irgendwelchen für den Zuschauer nicht einsehbaren Räumen sprechen und nicht direkt auf der Bühne?
Zwei tolle Szenen
Zwei Szenen haben mir dagegen richtig gut gefallen: In der ersten läuft der maskierte Frank Genser von einem zum anderen und muss sich immer und immer wieder die jeweiligen Absurditäten des Lebens anhören: Ekkehard Freye hat seit einer Woche nichts getrunken und findet, dass seine Sensibilität irgendwie zugenommen hat, Marlena Keil beklagt sich, dass ihre Gruppe bei einem Urban Gardening-Projekt in der heißen Phase einfach wandern gegangen ist, Bettina Lieder sehnt sich nach einem Sabbatical und so weiter und so weiter. In der zweiten Szene – und hier macht der Video-Einsatz doch Sinn – befinden sich Bettina Lieder und Frank Genser vor einem Sternenhimmel und sind eine neue Version von Adam und Eva, nur dass sie ein Roboter und er ein Mensch ist. Denn das Stück, das übrigens Texte aus „Die Ermüdeten“ von Bernhard Studlar verwendet, stellt auch die Frage, wie es mit der Schöpfung weitergeht. Werden einst Maschinen die Menschen ersetzen?
Zu viel Ablenkung
Etwas irritierend ist, dass sie Opernsänger, die Pianistin und noch jemand, der an einem Computer beschäftigt ist (Ist es der Video-Liveschnitt?) die ganze Zeit auf der Bühne zu sehen sind – auch wenn sie nicht im Einsatz sind. Man sieht zum Beispiel, wie sie sich aus einer Thermoskanne ein Getränk eingießen und trinken. Das schafft in dem ganzen Durcheinander eine zusätzliche Ablenkung, die hier ganz einfach zu viel ist.
Ich ertappe mich dabei, dass ich mir gelegentlich wünsche, die Opernsänger dürften länger singen und sie hätten eine schönere musikalische Begleitung. Insgesamt ergibt diese Inszenierung kein geschlossenes Ganzes, sie lässt mich emotional seltsam unberührt, und ich wage die Prophezeiung, dass dieses Stück keinen der ganz vorderen Ränge einnimmt, wenn man im Sommer auf die Schauspiel-Spielzeit 17/18 zurückblickt. „Biedermann und die Brandstifter/Fahrenheit 451“, „Das Internat“ oder „Der Theatermacher“ spielen in einer anderen Liga.
Andreas Schröter
www.theaterdo.de
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