Nabucco erntet Begeisterung und Buh-Rufe

Szene aus Nabucco mit Sangmin Lee, Garielle Mouhlen, Fritz Steinbacher und dem Opernchor. Foto: Thomas Jauk/Stage Picture
Begeisterter Applaus für Opernchor, Sänger und die Dortmunder Philharmoniker – Buh-Rufe für die Inszenierung vom scheidenden Opern-Intendanten Jens-Daniel Herzog. Das stand ganz am Ende der Premiere von Verdis Nabucco am Samstag im Opernhaus.
Der Opernchor: Ich kann mich an keine Inszenierung der jüngeren Vergangenheit erinnern, in der der Opernchor unter der Leitung von Manuel Pujol eine derartige Präsenz hatte wie diesmal. Fast könnte man sagen: Der Chor ist der eigentliche Star des Abends. Seine Sängerinnen und Sänger sind gefühlt mindestens zwei Drittel der Zeit auf der Bühne und bewältigen dabei gesangliche Höchstschwierigkeitsgrade. Auch für den Höhepunkt, auf den jeder Zuschauer wartet – den berühmten Gefangenenchor –, sind sie schließlich zuständig und meistern ihn so, dass einem Gänsehaut-Schauer über den Arm laufen.
Die Opernsänger: Sangmin Lee in der Titelrolle und Gabrielle Mouhlen als seine rachsüchtige Adoptivtochter Abigaille heimsen den meisten Applaus ein. Es ist immer wieder beeindruckend, welche Wucht – stimmlich und von der Ausstrahlung her – Sangmin Lee auf die Bühne bringt. Und die zierliche Gabrielle Mouhlen hat offenbar überhaupt keine Probleme mit den anspruchsvollen Verdi-Arien. In weiteren Rollen zu sehen und zu hören sind Thomas Paul als der von zwei babylonischen Frauen umschwärmte Ismaele, Karl-Heinz Lehner als jüdischer Hohepriester Zaccaria, Almerija Delic als Nabuccos leibliche Tochter Fenena sowie Fritz Steinbacher und Enny Kim.
Das Orchester: Es ist in den vergangenen Jahren fast zur Selbstverständlichkeit geworden, dass die Dortmunder Philharmoniker – diesmal dirigiert vom stellvertretenden GMD Motonori Kobayashi – eine solche wunderschöne Musik sicher und souverän aus dem Orchestergraben bringen. So auch bei der Nabucco-Premiere.
Die Inszenierung: Jens-Daniel Herzog hat in seiner letzten Arbeit in seiner Zeit als Intendant der Dortmunder Oper die Nabucco-Handlung, in der es um die Auseinandersetzung von Babylon und Israel im 6. Jahrhundert vor Christus geht, in die 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts verlegt. Im Programmheft steht, dass zumindest die Szene mit dem Gefangenchor von der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran von 1979 bis 1981 inspiriert ist. Sicherlich denkt man auch an den Nahost-Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten, der in den 60er- und 70er-Jahren seinen Höhepunkt fand. Die Frauen tragen Blümchen-Kleider und einteilige Hosenanzüge, die Männer lange Koteletten wie Elvis in seiner Endphase (Kostüme: Sibylle Gädeke). Ein Großteil der Handlung spielt in Nabuccos Büro (Bühne: Mathis Neidhardt), einem holzvertäfelten Verschlag, der dringend eine Renovierung nötig hätte. Und da fangen die Probleme an: Will man als Zuschauer der wuchtigen, von alttestamentarischer Grausamkeit geprägten Handlung, in der ständig die Götter beschworen werden, folgen, indem man die ganze Zeit auf ein heruntergekommenes Büro starrt? Nein, will man nicht. Der Stoff dieser Oper, in der immerhin nichts weniger passiert, als dass ein Volk das andere auslöscht, ist so angelegt, dass er nach wuchtigen Bildern schreit. Wenn Herzog das in die schäbigen Räume von Nabuccos Regierungssitz verlegt, beraubt er die Zuschauer um einen der Sinne, die für den ganzheitlichen Genuss einer solchen Oper nötig sind: das Sehen, die Optik.
In der Szene mit dem Gefangenenchor sitzt der Opernchor um einen Springbrunnen herum. Fast könnte man das für eine idyllische, lauschige Sommernacht halten. Das ist geradezu maximal konträr zum verzweifelt-traurigen Inhalt der Musik.
Schade, dass es Jens-Daniel Herzog nicht gelungen ist, am Ende seiner Intendanz in Dortmund ein stärkeres Ausrufezeichen zu setzen. Trost: Das macht seinem Nachfolger Heribert Germeshausen im Herbst den Neustart an der Dortmunder Oper leichter.
Andreas Schröter
Theater Dortmund
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