Am Anfang steht das Urteil des Vaters: „Ein Mädchen kann nicht Dichter werden." Bosheit ist es nicht, eher eine Irritation über den ungewöhnlichen Wunsch der siebenjährigen Tochter. Eine Karriere als große Dichterin, unvorstellbar in den Arbeitervierteln Dänemarks. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg sind die Jungen der Stolz der Familien, denen zwar nicht die Welt offensteht, die aber - wenn es gut läuft - keine einfachen Arbeiter wie ihre Väter werden, sondern Handwerker, „während Mädchen einfach nur heiraten und Kinder kriegen sollen".
Die Rollen sind klar verteilt, ein Ausbruch aus den Verhältnissen ist nicht vorgesehen. Dennoch wagt es die Ich-Erzählerin in Tove Ditlevsens Kopenhagen-Trilogie, sich als Dichterin zu träumen - zu stark ist der Drang zu schreiben, zu mächtig das, was sich schon früh den Weg aus dem Inneren des Kindes sucht.
In „Kindheit", dem ersten Band, erzählt die dänische Schriftstellerin vom vorsichtigen Tasten des jungen Mädchens, das ebenfalls Tove Ditlevsen heißt und 1918, exakt ein Jahr nach der Autorin, zur Welt kam. Es sehnt sich nach dem Schreiben und dem sozialen Aufstieg, der damit verbunden ist.
Es ist eine düstere Kindheit im Kopenhagener Arbeiterviertel Vesterbro. Der Vater, ein Heizer, meistens müde, die Mutter, seine zehn Jahre jüngere Ehefrau, „schön, unantastbar, einsam und voller geheimer Gedanken, die ich nie erfahren würde". Vergeblich versucht das Mädchen, sich seinen Eltern zu nähern, aber der Vater ist hilflos, die Mutter abweisend.
Trost bietet nur die Poesie, die langsam, aber unaufhaltsam in das Leben des Mädchens tritt. Erst kriechen die Wörter hervor, ohne dass die junge Tove einen Einfluss über sie hätte, aber schon bald ist sie in der Lage zu steuern, was mit ihnen passiert. Sie liest viel, und schreibt erste Gedichte, heimlich. Die „Sprache, dieses feine und sensible Instrument", ist ihr Schatz, den sie zunächst vor der verständnislosen Umwelt verbirgt.
Das Kind ist begabt, eine gute Schülerin, aber der Weg auf das Gymnasium verstellt. Stattdessen soll sie eine Stelle als Haushaltshilfe annehmen und den Eltern irgendwann einen netten Mann vorstellen, der in der Lage ist sie zu versorgen. Unvorstellbar für die nach Unabhängigkeit strebende Tove, die das Schreiben über alles stellt - Familie, Freunde, auch die Liebe. „Die Zukunft ist ein monströser, übermächtiger Koloss, der bald auf mich herabstürzen und mich zertrümmern wird."
So wird die Kindheit zur „Jugend", dem zweite Band der Trilogie. Gefesselt an die enge Wohnung der Eltern und den energieraubenden Alltag, ist es für sie wieder ein Gefängnis in Zeit und Raum. Tove sucht nach einem Weg hinaus, nach Menschen, die in Verbindung mit der Literatur stehen, nach einem „Zugang zu jener Welt, die von Gedichten bewegt wird". Es wird ihr gelingen. Nicht wegen, aber mit der Hilfe einflussreicher Männer.
Ihr erster Ehemann ist Herausgeber einer kleinen Literaturzeitschrift. „Ich möchte dich dazu benutzen, meine Gedichte zu veröffentlichen", sagt sie ihm. Zwischen dem Paar liegen mehr als 30 Jahre; eine lange, glückliche Ehe wird es nicht sein.
Gedichten und Romanen ordnet Tove Ditlevsen alles unter - bis sie im dritten Band, „Abhängigkeit", etwas findet, das ihr noch größere Glücksgefühle bereitet. Affären und Liebschaften, viele Bücher, eine weitere Ehe, mehrere Abtreibungen und ein Kind - all das tritt in den Hintergrund, als ihr ein junger Mediziner das Schmerzmittel Pethidin spritzt. Nun gibt es etwas, das wichtiger ist; die Sucht verdrängt das Schreiben.
Von all dem schreibt Ditlevsen nüchtern und lakonisch, manchmal auch poetisch. Insbesondere am Anfang von „Kindheit" mischen sich märchenhafte mit erstaunlich brutalen Tönen, etwa während die junge Tove langsam einschläft: „Betrunkene Männer liegen mit zerschmetterten, blutigen Schädeln in der Gosse, und wer ins Café Charles geht, wird abgemurkst. Das sagt mein Bruder, und was er sagt, ist immer wahr."
Ditlevsen erzählt weitgehend chronologisch in kurzen Episoden. Entwicklungen und Geschehnisse werden verdichtet, zwischen den Episoden gibt es mitunter Lücken und Sprünge.
Im Fokus steht Tove selbst, deren Drang zu schreiben sich spiegelt im Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, Mann und Frau. Andere Figuren bleiben Skizzen, aber ohne grob oder sentimental zu wirken. Kindheit, Jugend und Abhängigkeit als Titel der Bücher werden dabei selbst beinahe eigenständige Figuren. Die Kindheit etwa, die mit der Zeit „dünn und platt wie Papier" wird: „Sie war müde und fadenscheinig, und an schlechten Tagen sah es nicht so aus, als würde sie halten, bis ich erwachsen war."
Ditlevsen schrieb die Bücher, die im Dänischen den Zusatz „erindringer" - Erinnerungen - tragen, im Alter von 50 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie mehrere Ehen, Sucht, Entzüge und Klinikaufenthalte hinter sich. Erfahrungen, die Ditlevsen in ihr Spiel mit Fiktion und Realität einfließen ließ.
Ihre Bücher erschienen in Dänemark zwischen 1967 und 1971. Knapp vierzig Jahre also vor denen ihres skandinavischen Kollegen Karl Ove Knausgård, der ebenso auf dem Grat zwischen Erlebtem und Konstruiertem wandelte. Dessen zwischen 2009 und 2011 veröffentlichtes Romanprojekt „Min kamp" sollte Verkaufsrekorde brechen und einen Boom autofiktionalen Schreibens auslösen.
Vieles, für das Knausgård - zumindest von der nordeuropäischen Literaturszene - als revolutionär gefeiert wurde, tat vor ihm schon Ditlevsen: Das hemmungslose Schöpfen aus dem eigenen Leben, das Beschreiben und Benennen realer Personen und Geschehnisse, das für die auf Gleichheit bedachten skandinavischen Gesellschaften mutige, manchmal rücksichtslose Ich-Sagen.
Bei Knausgård passiert all das gleichwohl lauter und umfangreicher. Während der Norweger sich in Details und essayistischen Ausschweifungen verliert, bleibt Ditlevsen eng an dem, was sie erzählen möchte: Keine Metaebene, keine soziologischen Ausführungen. Zusammen mit der lakonischen Sprache tut das dem Lesefluss gut.
Trotz oder gerade wegen seiner Klar- und Knappheit hat die Trilogie vor allem in den ersten beiden Bänden auch Längen. Vielleicht ist es das Problem der Autofiktion, die zu nah an der Autobiografie ist und chronologisch erzählt: Kurze Episoden folgen auf kurze Episoden; Tove im Alter von fünf Jahren, von sechs und sieben, acht, neun, zehn und zwölf, sie wird älter und jede Episode ist ein kurzer Zwischenstand.
Das Leben läuft vor sich hin, läuft auf etwas zu, auf das Ende der Kindheit, der Jugend, letztendlich auf den Tod. Das mag wahrhaftig sein, zwischenzeitlich ist es aber auch ermüdend.
Trotzdem bleiben es bemerkenswerte Bücher, die der Aufbau-Verlag in einer Übersetzung von Ursel Allenstein dem deutschen Publikum erstmals zugänglich macht. Nur „Abhängigkeit" war bereits 1980 bei Suhrkamp veröffentlicht worden. Tove Ditlevsen, Figur wie Autorin, war ihrer Zeit weit voraus. Der klare Blick auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau, die Konsequenz der Lebensführung und der Umgang mit dem Werkzeug Sprache sind beeindruckend.
In ihrer Heimat Dänemark ist Ditlevsen bis heute bekannt und beliebt - auch nach ihrem Suizid im Jahr 1976, den sie in ihrem letzten Werk, „Wilhelms Zimmer", literarisch vorweggenommen hatte. Mit einem Trauermarsch durch Kopenhagen erwiesen knapp tausend Menschen Tove Ditlevsen die letzte Ehre. Dem Mädchen, das zu diesem Zeitpunkt längst zu einer großen Dichterin geworden war.
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