Literaturkritik – Lesung Hasters
Alice Hasters ist ein Popstar der akademischen Jugend. „Die Millennials sind die Generation der Desillusionierten“, sagt sie im Münchner Volkstheater und blickt in
muntere Gesichter. Es sind ebenjene Millennials zwischen 25 und 40, die wissen, wie es ist, wenn aus Versprechen Krisen werden. Aber nicht nur sie suchen ihre Identität, der ganzen Gesellschaft sei sie verloren gegangen. Vor lauter Krisen flüchte sie sich in sinnlose Debatten über Schein-Identitäten. So lautet Hasters Analyse in ihrem Buch „Identitätskrise“ (Hanserblau, 240 S.; 20 Euro.).
Bekannt geworden ist die Kölnerin 2019 mit „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“. Während Corona erlebte sie dann, wie die Welt „überkochte“ und fing an, ihr neues Buch zu schreiben. Sie blickt auf Menschen, die es nicht schaffen, andere Sichtweisen zu verstehen. Ihre Stärke ist es, heranzuzoomen und zu fragen: Warum fällt uns Veränderung so schwer?
Esther Diestelmann moderiert den Abend mit der 1989 geborenen Essayistin; sie sind
miteinander befreundet. Das schafft eine Atmosphäre, als würde man zwei Frauen zuhören, die möglichst ohne Kontroversen über die Weltlage sprechen. Viele Zuschauer rutschen im Laufe der zwei Stunden tief in ihre Sessel. Ob das an der entspannten Stimmung oder doch eher am akademischen Jargon liegt? Die Lesung ist jedenfalls mehr Ka-
mingespräch als Feuerwerk.
Dynamischer wird es, wenn beide aus ihrem Frage-Antwort-Muster ausbrechen und dem prall gefüllten Saal ihren Humor zeigen. Wenn Diestelmann die bayerische Identitätshuberei aufs Korn nimmt. Und Hasters antwortet, dass es konservative Gruppen seien, die der Gesellschaft eine Identität aufzwingen wollten. Sie werde hingegen als „woker Sündenbock“ dargestellt, weil sie die Perspektive benachteiligter Gruppen thematisiere. Ihre stärkste Phase hat die Autorin, als sie über die Freiheit als „das große Projekt des Westens“ spricht. Erstens lebe jeder Mensch weltweit gerne frei. Und zweitens sei die westliche Freiheit ein Trugschluss, denn nicht jeder sei gleichberechtigt. Hasters trifft wunde Punkte – das macht ihr Buch wertvoll. Und ihr Publikum dankbar.
erschienen unter: "Kamingespräch statt Feuerwerk" im Münchner Merkur, Wochenendausgabe 04./05. November
erschienen unter: "Kamingespräch statt Feuerwerk" im Münchner Merkur, Wochenendausgabe 04./05. November
Quelle: Münchner Merkur