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Nachhaltige Innovation: Wie Österreich die Abwärme seines größten Rechenzentrums zum Heizen nutzt

Das größte Rechenzentrum Österreichs heizt jetzt in Wien ein benachbartes Krankenhaus mit überschüssiger Abwärme, die bisher in die Atmosphäre abgegeben wurde.

Veröffentlicht am 14. Nov. 2023, 11:33 MEZ

Das Krankenhaus Florisdorf in Wien wird durch ein benachbartes Rechenzentrum beheizt.

Foto von C.Stadler/Bwag

Unsere digitale Welt spart Zeit und Arbeit. Videokonferenzen, Cloud-Computing und Streaming verbrauchen aber auch immer mehr Energie. Die Datenzentren, die die Wirtschaft am Laufen halten, sind Stromfresser. Im größten österreichischen Rechenzentrum - ein unauffälliger, lang gestreckter Flachbau in einem Wiener Außenbezirk, umgeben von Bahngleisen, Autobahn und Baumärkten - laufen die Server der Kunden Tag und Nacht. Sie verbrauchen so viel Strom wie rund 50000 Haushalte - und produzieren jede Menge Abwärme. Denn bei der Datenverarbeitung wandeln sie Strom zuverlässig in Wärme um. Das merkt jeder, der mit dem Laptop auf dem Schoß auf dem Sofa sitzt. Damit die Server nicht überhitzen, brauchen Rechenzentren also sehr viel Kühlung.

Beim Rechenzentrumsbetreiber Digital Realty in Wien wurde die dabei entstehende Abwärme bisher weitgehend ungenutzt in die Luft geblasen. „Wir haben jahrelang nur einen kleinen Teil genutzt, um unsere eigenen Büroräume zu heizen. Aber ich konnte kein Unternehmen in der Nähe für unsere Abwärme begeistern", erzählt Österreich-Geschäftsführer Martin Madlo. Dabei wird die EU-Effizienzrichtlinie die Nutzung der Abwärme bald zur Pflicht machen. Nun steht ein Abnehmer bereit: Die Abwärme aus dem Rechenzentrum beheizt die nur ein paar Schritte entfernte Klinik Floridsdorf. Für Madlos Projektpartnerin Anna Gantner vom Energieversorger Wien Energie ist es ein ideales Gespann.

Das Krankenhaus mit etwa 750 Betten braucht das ganze Jahr über Warmwasser und Wärme, zum Beispiel für Geburtenzimmer und Intensivstation. Außerdem stimmt die Entfernung. „Die Verbindungsleitung sollte möglichst kurz sein, sonst wird es zu teuer, und es geht zu viel Energie verloren", sagt die Ingenieurin. Eine neu gebaute unterirdische Rohrleitung verbindet das Kühlsystem des Rechenzentrums direkt mit drei riesigen Wärmepumpen im Keller des Krankenhauses. Jede von ihnen ist laut Haustechniker Philipp Veigl „so schwer wie ein ausgewachsener Elefant".

Die Anlagen entziehen dem 26 Grad warmen Wasser rund zehn Grad Wärme und produzieren so Heizenergie für das Heizungssystem der Klinik mit seinen 90 Kilometern Rohrleitungen. Abgekühltes Wasser fließt zurück zum Rechenzentrum und wird dort wieder zur Kühlung eingesetzt. Dies soll bis zu 4000 Tonnen CO2 einsparen und könnte sich in Zukunft auch wirtschaftlich für alle Beteiligten lohnen. Skandinavien ist Vorreiter bei dieser Mehrfachnutzung. Allein in Stockholm hängen rund 30 Rechenzentren am Fernwärmenetz. Laut einer Studie im EU-Auftrag könnten Rechenzentren bis zu 50 Terawattstunden überschüssige Wärme pro Jahr liefern: zwei bis drei Prozent der Energie, die Haushalte in der Union 2020 für die Gebäudeheizung verbraucht haben.

Künstliche Intelligenz wird das Wärmeangebot wohl noch erhöhen. Martin Madlo spricht davon, dass die dafür nötigen Hochleistungsrechner die „zehnfache Abwärme" produzieren. Doch er warnt auch, dass die Rechnung nicht so einfach sei, wie sie auf dem Papier aussehe. „Nur für das Heizen von Wohnungen ist die Abwärmenutzung eher nicht sinnvoll", sagt er. Die Server müssten ganzjährig gekühlt werden, Heizwärme wird bei uns aber nur im Winter gebraucht. Für Wien Energie ist das Floridsdorfer Projekt ein Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität, die Österreichs Hauptstadt bis 2040 anstrebt. In wenigen Wochen soll ein weiteres Großprojekt fertig werden: Eine 55 Megawatt starke Großwärmepumpe wird dann mit Abwärme aus einem Klärwerk zunächt bis zu 56000 Haushalte mit Restwärme aus Abwasser versorgen. Ab 2027 soll sogar umgerechnet jeder vierte Fernwärmekunde seine Wohnung mit Wärme aus der Kläranlage heizen.

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Foto von National Geographic

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