Esther Perbandt hat angeblich mit Mode nichts am Hut, ist aber
eine der erfolgreichsten Berliner Designerinnen. Zufall - oder Taktik?
Von Ellen Stickel
Esther Perbandt fällt auf. Das liegt nicht nur an ihrer Größe
oder der charakteristischen schwarzen Topffrisur mit der langen Strähne
hinter dem linken Ohr. Sie hat auch eine Art, einen unter dem akkuraten
Pony hervor zu mustern, die volle Aufmerksamkeit verlangt. Beim
Interview steht die Designerin gewaltig unter Strom - wenige Tage vor
ihrer großen Jubiläumsshow in der Berliner Volksbühne brennt es an allen
Ecken, das Handy klingelt permanent. Vor zehn Jahren gründete Perbandt
ihr Label, das heute für eine angstfreie Mischung aus Avantgarde,
Schneiderkunst und sportlichen Elementen steht - mit androgynen
Schnitten, die trotz ihrer Ausgefallenheit zutiefst tragbar sind. Aus
dieser Anfangsphase der Berliner Designhypes sind heute nur noch Wenige
im Geschäft. Grund genug für Esther Perbandt, zum Labelgeburtstag eine
richtig große Sause aufzuziehen - und eine ihrer gelungensten
Kollektionen zu präsentieren.
uMag: Esther, deine Juliäumskollektion heißt "Grotesque" - was steckt hinter diesem Thema?
Esther Perbandt: Die Kollektion ist von Valeska Gert inspiriert, das
ist eine Grotesquetänzerin aus den 20er-Jahren, die außerdem auch
Schauspielerin und Künstlerin war. Übertragen auf die Kollektion
bedeutet das dann aber nicht, dass ich Tanzbekleidung gemacht habe oder
eine 20er-Jahre-Kollektion - inspirierend für mich war eher Valeska an
sich. Sie war eine sehr starke Frau, sehr polarisierend und hatte eine
sehr eigene Vorstellung von Dingen. Sie war immer scharf an der Grenze
zwischen schön und abstoßend, zwischen laut und leise. Es hat mal jemand
über sie gesagt, sie sei Salpetersäure für die bürgerliche Ideologie
gewesen. Mit solchen Dingen kriegt man mich natürlich immer schnell. Die
Kraft, die in dieser Person steckt, habe ich für mich rausgezogen.
uMag: Du hast mal gesagt, dass deine Mode nicht darauf zielt,
begehrenswert zu sein. Ist das aber nicht ein Grundbedürfnis des
Menschen?
Perbandt: Ich haue manchmal Dinge raus, die dann missverstanden
werden - aber das ist okay. (lacht) Es gibt auch ein paar Sätze in
meinem allgemeinen Pressetext, die sind total kryptisch, aber die muss
man auch nicht unbedingt verstehen. Die Sätze hat mein Vater
geschrieben, der meine Arbeit bis ins kleinste Detail analysiert hat -
viel mehr als ich selbst. Ich arbeite mehr nach Intuition und hab mir
nicht vorher überlegt: Okay, so ein bisschen androgyn zu sein klingt ja
ganz spannend, das könnte ich machen. Das Thema war einfach irgendwie in
mir und wollte raus. Was das begehrt werden wollen angeht: Valeska hat
einfach nur gemacht, was sie wollte, ganz intuitiv. Sie war darin eine
Vorreiterin. Und wenn Dinge, die sie getan hat, Trend wurden, dann haben
sie sie schon nicht mehr interessiert.
uMag: Ein Indiegirl ...
Perbandt: Ja, total. Solche Züge sehe ich auch manchmal an mir. Ich
sage auch öfters - und da muss ich immer echt aufpassen, damit ich nicht
falsch verstanden werde - dass ich mit Mode nichts am Hut habe und mich
Trends nicht interessieren.
uMag: Dein Label gibt es nun dennoch - oder vielleicht gerade
deshalb - schon seit zehn Jahren. Was war das Wichtigste, das du für
dich aus dieser Zeit mitgenommen hast?
Perbandt: Ich bin wirklich stolz, dass ich diese zehn Jahre
geschafft habe und dass das Label langsam gewachsen ist. Es fühlt sich
für mich gesund an, was ich da gemacht habe. Ich brauche sowieso immer
wahnsinnig viel Zeit für Dinge. Wenn ein Teil nicht ganz genauso wird,
wie ich es mir im Kopf zurechtgenagelt hatte, dann kann es vielleicht
sogar besser sein als die Ursprungsidee, aber erstmal zieh ich 'ne
Fresse ... (lacht) Ich habe lange gebraucht, um meinen Stil zu finden,
meine ersten drei Kollektionen kann man in der Tonne verbrennen, die
waren noch quietschbunt. Ich möchte echt nicht mehr Anfang Zwanzig sein,
es ist schon schön, irgendwann zu wissen, wer man ist. Seit ein paar
Jahren habe ich eine klare Linie, sowohl was mich angeht als auch die
Kollektionen und das Image der Marke.
uMag: Du hast nach dem Modestudium in Berlin und Paris direkt
bei einem großen Modeunternehmen in Südfrankreich angeheuert. Wie
schwierig war diese Umstellung?
Perbandt: Man springt immer in kaltes Wasser beim ersten Job, aber
dieses Wasser war schon sehr kalt. Die Firma wollte ihr Image verändern
und hatte ein komplett neues Designteam eingestellt. Ich war die
Assistentin des Hauptdesigners, der aber die ganze Woche in Paris war
und nur am Wochenende bei uns. Das heißt, während der Woche musste ich
rödeln wie ein Berserker, und das Wochenende haben wir mit ihm alles
durchgearbeitet. Das war echt anstrengend, ich bin aus der Geschichte
auch mit einem Bandscheibenvorfall raus. Irgendwann haben sie dann
entschieden, dass sie sich doch nicht verändern wollen, und haben uns
alle wieder gefeuert ...
Lange böse über diesen Rausschmiss dürfte Esther Perbandt wohl nicht
gewesen sein. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin machte sie sich
kurzerhand selbstständig. Seither ist sie ihre eigene beste
Markenbotschafterin, steht regelmäßig für Kampagnenfotos selbst vor der
Kamera, trägt fast ausschließlich ihre eigenen Entwürfe, und auch den
Models auf dem Laufsteg verpasst Perbandt gerne mal Perücken mit ihrer
eigenen Frisur. Ob das narzisstisch ist oder schlicht konsequent - Fakt
ist, dass Esther Perbandt mit ihrer Sperrigkeit eine der spannendsten
Figuren des Berliner Modezirkus ist.
uMag: Deine Frisur ist ja inzwischen auch dein Markenzeichen. Könntest du die jemals ändern, ohne dass es einen Aufstand gäbe?
Perbandt: Ich glaube nicht, aber ich habe auch kein großes Bedürfnis
danach - ich sehe mich irgendwie schon als Oma Perbandt mit dieser
Frisur. Wahrscheinlich geht mir die seitliche Strähne dann schon bis zum
Knie, die ist mein heiliges Gut.
uMag: Wie bei Samson, der seine Stärke aus seinem Haar zog?
Perbandt: Ach kiek mal, das muss ich mal googlen im Internet.
(berlinert plötzlich) Ich habe ja wirklich manchmal Angst um diese
Strähne. Meine Stammfriseurin ist gerade in Australien, also bin zu
irgendeinem Friseur und fragte, ob er nur mal eben die Konturen
nachschneiden könnte. Und er guckte mich so an: Nee, solche Frisuren
machen wir hier nicht. Fand ich ganz spannend.
Die sonst sehr überlegte Esther Perbandt gerät kurzfristig in
Plauderlaune und macht pantomimisch vor, wie entsetzt der Friseur
geguckt hat. Die schweren Kettenarmbänder an ihrem Handgelenk scheppern
beim Gestikulieren. Doch zurück zu den ernsten Themen: 2011 beschloss
Perbandt, ihr Label grüner zu machen. Mit ungeahnten Folgen.
uMag: Wie lief die Umstellung hin zur Nachhaltigkeit?
Perbandt: Puh, anstrengend. Ich bin da wirklich auch an
wirtschaftliche Grenzen gestoßen, musste Sachen stornieren oder konnte
sie nur mit Verspätung ausliefern, weil es die nachhaltigen Stoffe, die
ich für die Musterkollektion genutzt hatte, dann plötzlich nicht mehr
gab. Manche Kunden haben das Vertrauen verloren. Letzte Saison war ich
dann an einem Punkt, an dem ich mir sagte: Okay, das kann jetzt auch
nicht nachhaltig sein, wenn es mich in einem Jahr nicht mehr gibt. Also
lasse ich das mit den Ökostoffen momentan, kaufe aber trotzdem keine
Stoffe aus Asien, sondern versuche, alles aus Europa zu beziehen. Dafür
habe ich aber die Produktion aus Bulgarien zurückgeholt und produziere
jetzt in Berlin, Brandenburg und im nahen Polen. Mehr ist momentan
einfach nicht machbar. Ich würde mir wünschen, dass die Industrie mal
vorlegt und das Beziehen der Materialien einfacher macht.
uMag: Haben dich die vergangenen Jahre auch hart gemacht?
Perbandt: Nee. Ich glaube, deswegen bin ich auch noch hier, weil ich
wirklich immer noch Träume und Visionen habe und mit meinem Dickkopf an
ihnen arbeite. Ich bin unglaublich dankbar, ein eigenes Label zu haben,
das ist der größte Luxus, den man sich vorstellen kann. Klar, der Preis
ist sehr hoch, und man muss bereit sein, ihn zu zahlen. Oder noch
besser: Man muss das Gefühl haben, dass das gar kein Preis ist, den man
da zahlt.
uMag: Deine Jubiläumsshow wurde zum Teil durch Crowdfunding finanziert. Wie kamst du darauf?
Perbandt: Na ja, keene Kohle in der Tasche. (lacht) Im Nachhinein
hab ich mir dann schon gedacht, die Location wäre vielleicht auch 'ne
Nummer kleiner gegangen. Aber man hat halt auch nur einmal Zehnjähriges.
Also habe ich alles mögliche versucht, um das Geld für die Show
zusammenzukriegen. Natürlich macht man sich nackig, aber ich finde es
auch nur richtig, den Leuten mal zu zeigen, dass Fashion nicht nur
Glamour und Prosecco ist.
Checkbrief
NAME Esther Perbandt
ALTER 38
AUS Berlin
BEZEICHNET ihre Mode als textilen Poetry Slam
LIEBT Schirmmützen und Plateauschuhe
estherperbandt.com
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