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Bar in Palermo: Was der ideale Rückzugsort braucht? Espresso und Heiligenbilder

Ach, Italien! Es gibt kaum einen schöneren Seufzer, um unserer ewigen Sehnsucht nach mehr Lebensfreude und Genuss Ausdruck zu verleihen. Unsere Sommerkolumne nimmt Sie mit auf die Reise.

Agostina Corona hat die Preise erhöht. Ein Caffè kostet jetzt 1,10 Euro. Zehn Cent mehr als noch vor ein paar Tagen. Un Cappuccino? Due Euro. In einer anderen Bar hatte ich gestern zum Frühstück ein Cornetto bestellt, ohne Füllung sollte es sein, also ohne Crema oder Marmelade, und der Barista sagte nur: "Come il mio conto in banca." Leer, wie sein Bankkonto. In ist ja immer Krise, aber gerade etwas mehr. Die Rechnungen, die Inflation, die Politik. Touristen kommen, staunen und gehen. Die, die bleiben, treffen sich jeden Morgen am Tresen ihrer Bar. Und besprechen.

Deshalb ist die Bar mein Lieblingsort. Hier akklimatisiere ich mich immer zuerst, wenn ich mal weg war aus Italien. Hier bekomme ich alles mit. Wie , nur in echt und mit Milchschaum. Also frage ich Agostina, die mir den Cappuccino reicht, wie es sich gerade in Süditalien lebt. "In miseria!", sagt sie sofort laut: elend! Aber wer ein paar Minuten bei ihr ist, merkt: Sie lacht mehr, als sie flucht. Agostina Corona wird dieses Jahr 80.

Palermo, Juni, die Hitze kriecht aus der Gasse an die Türschwelle und kämpft dort gegen die kalte Luft der Klimaanlage an. In meiner Bar muss alles stimmen und hier stimmt alles: Ich stelle meinen Cappuccino auf den Tresen neben einen kleinen Schneemann mit künstlichen Tannenzweigen. Wie viele Sommer der wohl schon hier steht? Im Gang rührt grün, weiß, rot eine Maschine Granita. Daneben, auf einem Ständer, patatine, Chips. Hinter Agostina an der Bar hängen Bilder von Heiligen und mit allen möglichen Effekten bearbeitete Fotos, vermutlich von sämtlichen Verwandten. Eine Frau, die etwas zu sinnlich in die Kamera guckt. Zwei wohlgenährte junge Männer in Badehose am Meer. Draußen bimmelt eine Alarmanlage, drinnen vibriert die vielleicht älteste Espressomaschine der Stadt.

Ihre Gäste seien mit dem Frühstück hier zufrieden, sagt Agostina. Sie meint die Apfelküchlein, die noch in der Vitrine liegen. Hier gibt es keine Granola-Bowl, keinen Chai-Latte und auch keine Avocado-Toasts. Nicht mal mehr Cornetti, jetzt um kurz nach zehn, nur noch Apfelküchlein. Ich denke an meinen italienischen Cousin, nur etwas älter als ich, der morgens immer Kekse in Milch tunkt und das Frühstück nennt. Aber weiter komme ich nicht, denn Agostina lässt einen auch dann nicht in Ruhe, wenn sie Cappuccino und Apfelküchlein serviert hat. Mangia! Setz dich doch lieber draußen in den Schatten! Nimm das doch so, dann kannst du es besser essen!

Ihre Bar liegt dort, wo die besten Bars eben liegen: etwas versteckt. Touristen finden sie wohl nur, wenn sie vom Markt aus kommend zweimal falsch abbiegen. Agostina sagt, die Fremden seien die besten Gäste (immer so freundlich) und sie muss es ja wissen, es gebe ihre Bar seit über 100 Jahren, mit 16 habe sie hier angefangen und nicht mehr aufgehört.

Ich frage sie, ob sie auch nachmittags Cappuccino serviert. Denn wie oft habe ich diese Szene in Italien gesehen: Ein Kellner bringt Touristen, die gerade in der prallen Sonne Spaghetti alla Carbonara gegessen haben, einen Cappuccino. Es ist etwa 14:30 Uhr. Er dreht sich um, faltet seine Hände und sagt zu seinem Kollegen: "Ma come fanno?" Frei übersetzt: Wie schaffen die das, ohne dass der Magen platzt?

Agostina ist da entspannter: Si, si, sagt sie unaufgeregt, oft sogar, für Fremde immer.

Und für die Einheimischen?

No, no! Die machen das nicht. Die bestellen den Cappuccino morgens. Sie schaut auf einmal irritiert. So, als würde sie mir jetzt zutrauen, dass der fremde Journalist als Nächstes fragt, ob die Sonne in Süditalien auch morgens aufgeht. Oder, Signora Agostina, doch etwa abends?

Ein junger Mann steht jetzt am Tresen. Er sieht meinen Notizblock, versteht sofort, was hier los ist. Über die Bar seiner Mutter solle ich schreiben. Sie liege oben, auf dem Berg, bei der Heiligen, wunderschön. Ich solle sagen: "Mi manda Giuseppe", Giuseppe schickt mich. Ein wichtiger Satz in Italien. Va bene, ich verspreche ihm, die Heilige und seine Mutter aufzusuchen.

Aber zurück zu Agostina, die aus einem engen sizilianischen Dialekt plötzlich in ein derart langsames und überdeutliches italienisch wechselt, dass ich kurz annehme, ein Kleinkind laufe draußen vor der Bar herum. Es sind Touristen. "Buongioooorno!", ruft sie von hinter der Theke. Wollt ihr frühstücken? Agostina hat etwa drei Schritte, bis die Touristen, einen Blick in die Bar werfend, wieder aus ihrem Sichtfeld verschwinden. Ein Lockruf. Es funktioniert. Die Touristen, ja, warum eigentlich nicht?, treten ein. Bei mir hat es auch so funktioniert. Die Bar hat mich gefunden.

Agostina sagt, sie setze sich um 14 Uhr in den Nebenraum der Bar. Dort verkauft sie Tomatensauce, Pasta, Waschmittel, eben alles, was man im Notfall so braucht. Sie sehe dann fern, aber ständig würden Leute kommen. Signora, kann ich etwas davon haben? Signora, bekomme ich noch einen Caffè? Agostina mache das dann alles. Ist doch gut, sagt sie. So sitze sie nicht einfach rum. Agostina legt nun eine Hand auf die andere und zieht ihre Mundwinkel nach unten. Ich verstehe, sie macht eine alte Frau nach. Sie schließe die Bar um sieben Uhr morgens auf und um 20 Uhr ab. Ich sage ihr, dass ich das ziemlich lange finde. Sie sagt, sie liebe ihre Arbeit, habe schließlich jeden Tag Besuch. Sie lächelt.

Also, noch einmal, wie ist das Leben hier, Agostina? "La vita è bella", sagt sie, man leide ein bisschen, es gebe hin und wieder Freuden.

Ich mache ein Foto und freue mich schon auf den nächsten Barbesuch, da fragt Agostina noch: "Komme ich damit in die Zeitung?" Sie lächelt.

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