In der Küche von Nicoletta Cosentino, 51, wird heute nicht gekocht, sondern geklebt. Hier in Palermo betreibt die Köchin eine kleine Lebensmittelmanufaktur für traditionelle sizilianische Produkte und ihre Lieblingsspeisen, von Pesto, Tomatensoße und Marmelade bis zu süßem Gebäck. Bereits fertigen Gläsern, bis zum Rand gefüllt mit Leckereien, fehlt jetzt nur noch ein Etikett. Mit Fingerspitzengefühl setzt die Sizilianerin die runden Sticker auf die Deckel und streicht sie mit dem Daumen liebevoll glatt. " Cuoche Combattenti" steht auf den Etiketten geschrieben - "Kämpferische Köchinnen". Es ist der Name ihres Labels.
Auf ihre Etiketten ist Cosentino mindestens so stolz wie auf den Inhalt der Gläser. Ein Nudelholz als Logo, das wie eine Waffe in den Himmel gestreckt wird, wie um zum Angriff zu blasen. Das passt, genau wie der Name, bestens zum Zweck: Mit Cuoche Combattenti will Cosentino nicht einfach nur leckere Lebensmittel produzieren, sondern gleichzeitig gegen geschlechterspezifische und häusliche Gewalt kämpfen.
Die Etiketten tragen außerdem Botschaften wie: "Es gibt immer einen Ausweg", "Liebe legt dich nicht in Ketten" oder "Du bist frei und gehörst niemandem". Botschaften, die sensibilisieren, zum Nachdenken anregen und Frauen ermächtigen sollen. "Normalerweise erzählt das, was wir essen, die Geschichte unserer Herkunft, unserer Kultur und unserer Familie", sagt Cosentino. Mit dem Aufmerksammachen auf häusliche Gewalt fügt sie diesem Narrativ ein weiteres hinzu: "Meine Produkte sprechen zweimal."
Die Geschichte der Kämpferischen Köchinnen beginnt mit Cosentinos eigenem Kampf. Lange lebte sie in einer gewaltvollen Ehe. Ihr Ex-Mann war laut Cosentino zunehmend aggressiv und kontrollierte sie, isolierte sie sukzessive von Freunden und Familie. Mit Erniedrigungen und Demütigungen zerstörte er ihr Selbstwertgefühl. Sie sagt: "Ich lebte wie in einem Käfig." Bis ihre Schwester ihr die Telefonnummer von Le Onde Onlus zusteckte, einer Beratungsstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt in Palermo. Erst in den Gesprächen mit der Organisation sei ihr ihre Situation überhaupt bewusst geworden: "Wenn dich jemand schlägt, verstehst du das. Bei psychischer Gewalt ist das anders. Sie versteckt sich."
Die Organisation half Cosentino 2015 bei der Scheidung und unterstützte sie bei finanziellen und beruflichen Fragen, vermittelte ihr ein Praktikum in der Gastronomie. Für Cosentino war es genau das Richtige. Sie fasste den Entschluss, sich ihre eigene Manufaktur aufzubauen. Zunächst absolvierte Cosentino eine kaufmännische Fortbildung und schrieb einen Businessplan. 2017 gründete sie Cuoche Combattenti, um nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Betroffenen zu helfen.
Anfangs kochte sie in der eigenen Küche. Ihr erstes Produkt? "Tomatensoße!", sagt sie und lacht. 2019 fand sie eine Lebensmittelwerkstatt mit angeschlossener kleine Ladenfläche, dort arbeitet sie bis heute. Im improvisiert wirkenden Shop reihen sich auf einfachen Regalen Produkte wie Caponata, Marmelade aus sizilianischen Zitronen, Basilikum-Pesto-Cracker oder Süßigkeiten mit Mandeln und Pistazien — ein kulinarischer Klassiker auf der Insel. Cosentinos aktueller Favorit? "Ganz klar die Zwiebelmarmelade, die schmeckt herrlich aufs Brot oder zu Käse", sagt Cosentino.
Sie stellt alle ihre Produkte mit Zutaten von lokalen Farmern oder Lieferanten her, "so hat auch die heimische Wirtschaft etwas davon". Neben der beschaulichen Ladenfläche verkauft sie ihre Produkte auch online. Selbst in Deutschland hätten die Kämpferischen Köchinnen bereits Kundschaft, erzählt sie.
Beim Aufbau des Unternehmens half ihr anfangs ein Mikrokredit. Mittlerweile hat die Kämpferische Köchin eine Festangestellte und regelmäßig Praktikantinnen, allesamt Frauen, die selbst Gewalt erlebt haben. Vermittelt werden sie ihr von der Organisation, die ihr selbst damals geholfen hat, wie auch über eine NGO, die sich für Geflüchtete einsetzt. Was auf ihren Etiketten steht, spiegelt sich also auch hinter den Kulissen wider. Cosentino unterstützt mit Cuoche Combattenti Frauen beim Einstieg oder Wiedereinstieg in das Berufsleben und damit in die finanzielle Unabhängigkeit, die für sie selbst ein wichtiger Schritt in die Freiheit war.
Das lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. In Italien ist die Frauenerwerbsquote im europäischen Vergleich mit rund 62,7 Prozent im Jahr 2021 ohnehin gering, nur in Griechenland fiel sie mit 62,6 Prozent noch niedriger aus. Zum Vergleich, in Deutschland liegt sie mit 79,6 Prozent im oberen Bereich. In der wirtschaftsschwachen Region Sizilien mit hohen Arbeitslosenzahlen ist die Lage noch prekärer. Lediglich 29 Prozent der Frauen gehen dort einem Beruf nach. Nirgendwo auf dem europäischen Kontinent ist die Zahl geringer.
Finanzielle Unabhängigkeit allein schützt aber natürlich nicht vor Missbrauch. Geschlechterspezifische Gewalt zieht sich weltweit durch alle Schichten — und hat während der Pandemie noch zugenommen. Trotzdem: "Wer finanziell auf eigenen Füßen steht, hat ein Argument weniger, zu bleiben", sagt Cosentino. Kochen ist dabei ein Soft Skill, der insbesondere Frauen ohne Ausbildung oder jenen, die lange weg waren vom Arbeitsmarkt, den Jobeinstieg erleichtert. "Viele kochen doch sowieso schon zu Hause — nur dass sie dort nicht dafür bezahlt werden", sagt Cosentino.
Im gemeinsamen Essen und Kochen sieht sie auch eine wichtige soziale Funktion, weil so Menschen seit jeher zusammenkommen und sich austauschen. Gerade wenn es um Themen wie Gewalterfahrungen geht, seien solche ungezwungenen, "harmlosen" kollektiven Begegnungen für Frauen besonders wichtig. Sie sagt: "Die wenigsten Menschen schaffen es alleine aus schwierigen Verhältnissen hinaus. Wir schenken uns gegenseitig Kraft und Unterstützung."
Neben ihrer Arbeit für Cuoche Combattenti organisiert Cosentino daher immer wieder auch gemeinsame Kochevents mit Betroffenen und schiebt Projekte rund um den Schutz vor häuslicher Gewalt an. Dass sie selbst so offen über ihre eigenen Erfahrungen spreche, helfe anderen, es ihr gleichzutun. In einer Partnerschaft Gewalt zu erleben ist bis zu einem gewissen Grad immer noch schambehaftet — und manchmal so normalisiert, dass es den Betroffen entweder nicht auffällt oder sie es sich selbst nicht eingestehen wollen. Auch Cosentino sagt: "Als ich realisierte, dass das, was ich zu Hause erlebe, auch Missbrauch ist, war das für mich erst mal ein Schock."
Häusliche Gewalt ist auf Sizilien in vielen Kreisen laut Cosentino immer noch ein Tabu. Insbesondere, wo Beziehungen noch als Bund fürs Leben gelten, sei eine Frau, die sich trennt, im familiären Umfeld oftmals die Böse. Mal abgesehen davon, dass sich Frauen häufig selbst die Schuld gäben an dem, was ihnen widerfahre. Manche hätten auch ganz einfach Angst vor dem Gewaltausbruch des Partners, wenn sie versuchten, sich aus der toxischen Beziehung zu lösen.
Von ihren Kunden und Kundinnen — rund 80 Prozent davon sind laut Cosentino weiblich — hört sie nicht selten, dass diese die Produkte von Cuoche Combattenti an eine Freundin weiter verschenkten, um die sie sich sorgten und der sie auf besonders weichen Samtpfoten Hilfe anbieten wollten. Ich sehe dich und kann dich unterstützen: Sag es mit dem Nudelholz.
"Die Antigewalt-Etiketten fallen hoffentlich so vielen Frauen wie möglich in die Hände, die daran erinnert werden müssen, wie viel sie wert sind, was sie wirklich verdienen im Leben und dass es immer einen Ausweg gibt", sagt Cosentino, die es mit ihrem kulinarischen Einsatz gegen häusliche Gewalt zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gebracht hat. 2020 wurde ihr vom italienischen Staatspräsidenten die Ritterwürde verliehen. Sie sagt: "Wenn ich mit dem, was ich tue, nur einer einzigen Frau helfen kann, dann hat es sich bereits gelohnt."
Für ihre Arbeit bekomme sie heute viel Zuspruch, "außer von meinem Ex", sagt sie und lacht. Mit dem Vater ihrer Kinder hat sie wegen der gemeinsamen Söhne, die heute 12 und 15 sind, noch Kontakt. Wie ihre Jungs ihre Arbeit finden? "Sie waren meine allerersten Fans", sagt eine stolze Cosentino. Sie freut sich besonders darüber, dass ihre Söhne inzwischen mit einem anderen, einem ermächtigten Frauenbild aufwachsen.
Für Cuoche Combattenti hat Cosentino noch große Pläne. Kämpferische Köchinnen würde sie langfristig gerne auch in anderen Regionen des Landes sehen, um noch mehr Frauen zu erreichen. Sie selbst sieht das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Lachend, weil alles gut ist, was Frauen Berufschancen gibt oder hilft, eine toxische Lebenssituation zu erkennen und ihr im Zweifel zu entkommen. Und mit einem weinenden, weil es immer noch nötig ist, dass es so etwas wie die Kämpferischen Köchinnen überhaupt geben muss.
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