„Ich denke, du solltest diese Frage dir selbst stellen. Ich kann sie nicht für dich beantworten.“ Kopfschütteln. Kurze Pause. „Aber ich bin mir sicher, dass ich nicht fähig wäre in deine Welt zu kommen, um einen Film über dein Leben zu machen.“ Die südafrikanische Dozentin, Aktivistin und Filmemacherin Zethu Matebeni beantwortet die Frage der deutschen, weißen Filmemacherin Annelie Boros sehr ehrlich: Was die Dozentin denn davon halte, dass sie als Weiße einen Film über die Studierendenproteste in Südafrika macht? Die Antwort Matebenis ist nur ein Beispiel der Kritik, mit der die junge Filmemacherin in Südafrika konfrontiert war. Boros wurde gezwungen, sich mit ihrem „white privilege“ auseinanderzusetzen und gleichzeitig Protagonistin ihres eigenen Films zu werden. Auf dem diesjährigen Ethnocineca-Filmfestival erhielt sie dafür den „Ethnocineca Students Shorts Award“. progress sprach mit ihr über ihre Erfahrungen.
Valentine Auer: Du bist nach Südafrika gefahren, um einen Film über die
dortigen Studierendenproteste zu machen. Von mehreren deiner
Protagonist*innen kommt die Kritik, dass diese „Art von Geschichten
nicht von weißen Menschen erzählt werden sollten“. Wieso wolltest du
gerade diese Geschichte erzählen?
Annelie Boros: Ich studiere in München
Dokumentarfilm, Regie und Fernsehjournalismus. Den Film machte ich im
Rahmen eines Seminars. Die Universität wählt jedes Mal ein Land aus. In
diesem Fall Südafrika. Als ich angefangen habe zu recherchieren, bin ich
auf die Studierendenproteste gestoßen, auf eine junge Generation
Südafrikas, die Anfang der 1990er geboren wurde, also nach der
Freilassung Nelson Mandelas und seiner Ernennung zum Präsidenten. Diese
Generation wird auch „Born Frees“ genannt. Es ist eine Generation, die
angeblich frei ist und die gleichen Rechte wie Weiße haben sollte. Das
Problem ist allerdings, dass sie diese Freiheit nicht wirklich erfahren.
Viele sind täglich mit Gewalt konfrontiert, wohnen mit ihrer Familie
auf engstem Raum, merken wie Weiße bei der Job- und Wohnungssuche
bevorzugt werden. Sie sind tagtäglich mit Rassismus konfrontiert. Wenn
man angeblich frei ist, das aber nicht so erlebt, ist es klar, dass die
Frustration steigt. Schließlich hat man nur dieses eine Leben, diese
eine Jugend, um Bildung zu erlangen, um zur Schule, zur Uni zu gehen.
Wie kam es dann zu diesen Protesten und wie entwickelten sie sich weiter?
Die
Studierendenproteste gehen schon länger, aber es gab mehrere Kampagnen,
die sich parallel entwickelten. In meinem Film behandle ich den Beginn
der Kampagne #RhodesMustFall. Rhodes war ein großer Kolonialherr, dessen
Statuen noch in ganz Südafrika stehen. Das ist so, als ob man in
Deutschland die Hitler-Statuen nicht abgerissen hätte. Darüber wurde
noch nicht genug geredet, die Verarbeitungsprozesse in der Gesellschaft
sind noch nicht vorangeschritten. Daher ging es los mit #RhodesMustFall,
das entwickelte sich zu #ZumaMustFall und dann eben #FeesMustFall. Die
Proteste stellten sich gegen die Regierung, gegen den Präsidenten und
gegen Studiengebühren, um Gleichheit durch freie Bildung zu ermöglichen.
Weißt du, wie die Situation heute ausschaut?
Die
Proteste gibt es nach wie vor. Das Problem ist in keinster Weise gelöst.
Aber mein persönlicher Eindruck ist, dass deutlich mehr über die
bestehenden Probleme gesprochen wird. Gleichzeitig geht es jedoch oft um
die Frage, wie weit man für die Aufmerksamkeit eines Protestes gehen
darf. Es wird viel über Gewalt gesprochen, die von den Demonstrierenden
ausgeht und da bleiben die Inhalte manchmal auf der Strecke.
Letztendlich stehen nicht die Studierendenprostete im Fokus
deines Films, sondern wie die Menschen dir begegnen. Wann hast du für
dich entschieden, dass du nicht die Studierendenproteste, sondern dich
in das Zentrum des Films stellst?
Das war tatsächlich die
erste Demonstration. Wir sind in Südafrika angekommen und es gab eine
große Demonstration anlässlich der „State of the Nation Adress“ – also
der großen Ansprache des Präsidenten zur Lage der Nation. Zu diesem
Anlass gibt es jährlich große Demonstrationen. Es ist fast schon eine
Tradition, dass die Gegner des Präsidenten auf die Straße gehen. Dort
haben wir nach Studierenden gesucht, die auch demonstrierten. Als wir
die Studierenden fanden, wurden wir angegriffen dafür, dass wir als
Weiße mit der Kamera auf sie zeigen und sie – nach Wortlaut eines
Protagonisten – zu Tiere degradieren, auf sie runterschauen, nur um eine
gute Geschichte zu bekommen. Das war die erste Konfrontation. Ich nahm
das sehr ernst und mir war sofort klar, dass ich keinen Film mehr über
die Studierendenproteste dort machen kann, wenn ich von den Studierenden
gesagt bekomme, dass das unmöglich ist, was ich hier mache. Danach gab
es eine kleine Krise bei mir. Ich bin zum Entschluss gekommen, das
Konzept zu ändern: Nicht mehr die Studierenden stehen im Fokus, sondern
meine Erfahrung und damit auch ich als Protagonistin.
Aber du sagst selber „Fuck White Tears ist ein Film über
einen Film, den ich nicht machen kann, weil ich weiß bin“, trotzdem gibt
es ihn.
Für mich ist es immer noch ein großes Paradox, dass
es den Film gibt, weil es genau so ist, wie du sagst: Es ist ein Film,
den ich nicht machen kann und trotzdem existiert er. Auch im Schnittraum
war es für mich noch wochenlang eine große Schwierigkeit, dass ich
Leute am Bildschirm sehe, die mir sagen, dass ich den Film nicht machen
darf. Natürlich war das schwierig und natürlich habe ich darunter
gelitten. Aber ich bin ganz froh darüber, da durchgegangen zu sein. Mir
haben auch Freunde erzählt, dass sie sich die ganze Nacht gestritten
haben, nachdem sie den Film sahen. Das ist meine Legitimation: Ich
hoffe, dass die Diskussionen und die Erkenntnisse, die die Zuschauer in
Europa, aber auch die weißen Zuschauer in Südafrika haben, es wert sind,
diesen Film gemacht zu haben.
Eine Kritik im Film an dich als europäische, weiße
Filmemacherin war auch, dass du nach Südafrika kommst, dir die
Geschichte holst und dann nicht mehr zurückkommst. Lief der Film auch in
Südafrika? Hast du ihn auch deinen Protagonist*innen gezeigt? Wie war
die Reaktion?
Für mich ist das Zurückkommen, wie es die
Protagonisten genannt haben, kein persönliches Zurückkommen. Ich glaube,
dass es mehr um die Frage geht, was ich danach für sie mache. Am Ende
des Films kommt die Aussage, dass ich mit meiner Botschaft zu anderen
Weißen gehen, ihnen erzählen soll, was ich gelernt habe – in der
Hoffnung, dass auch sie etwas lernen. Trotzdem versuche ich, den Film in
Südafrika zu zeigen. Zethu Matebeni hat ihn zweimal in ihrer Klasse
gezeigt. Wahrscheinlich hat sie ihn danach auseinandergenommen, aber es
wird auch irgendetwas drinnen sein, von dem die Menschen etwas mitnehmen
können.
Du sagst, dass du froh über die Erfahrung bist. Hat „Fuck
White Tears“ auch deine Arbeit, deinen Zugang zum Filmemachen verändert?
Auf
jeden Fall. Ich habe das Gefühl, ganz viel mitgenommen zu haben, auch
für aktuelle Projekte. Gerade arbeite ich mit einer Freundin, die unter
Depressionen leidet, an einem Film zu eben diesem Thema: Depressionen.
Durch „Fuck White Tears“ habe ich gelernt, dass ich nicht einfach einen
Film über jemanden machen kann, sondern es viel wichtiger ist, einen
Film mit jemanden zu machen. Ich wusste das zwar in der Theorie, aber
konnte es nicht umsetzen. Beim Film über Depressionen stelle ich mir die
gleiche Frage: Darf ich als „Gesunde“ einen Film über „Kranke“ machen
und wenn ja, wie?
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