Eine Krankenschwester mit Mut: Halida Jahic zeigt den Mächtigen in Bosnien immer wieder, wie Fortschritt geht - und sei es mit Gemüse.
Foto: Heike Günther
Manchmal liegen die Lösungen eines Problems so
nahe. Es muss sie nur jemand aufheben und umsetzen. Halida Jahić ist so
eine Lösungsfinderin. Die Bosnierin ist Koordinatorin des größten
Frauennetzwerks ihres Landes und hat einen feinen Sinn für
Nachhaltigkeit. Nicht nur im wirtschaftlichen, auch im sozialen Sinne.
"Die Saat, die man heute verstreut, wird man irgendwann ernten", daran
glaubt Halida fest.
Eines der vielen Probleme, die es in Bosnien und Herzegowina zu
lösen gilt, ist die Arbeitslosigkeit. Halida beobachtet, dass viele
arbeitslose Frauen ihre vom Krieg zerstörten Gärten über die Jahre
wieder aufgebaut haben und dort Obst und Gemüse pflanzen. Ohne
Pestizide, schonend zu Erde und Tierwelt - also im Grunde absolut "bio".
Und da kommt ihr die Idee: Warum nicht diese Frauen zur Speerspitze des ökologischen Landbaus in Bosnien und Herzegowina machen? So würden sie nicht nur sich nur selbst einen Lebensunterhalt verdienen, sondern auch ihr Land wirtschaftlich voranbringen.
Zur ersten Bio-Messe kommt sogar der Minister
Eigentlich ist Halida gelernte Krankenschwester und hat
von Ökoanbau keine Ahnung. Doch das hält sie nicht auf. Sie arbeitet
sich in die Materie ein, holt Experten von europäischen
Zertifizierungsstellen ins Land, die die Produktionsweise der bosnischen
Frauen überprüfen. Ziel ist es, die Ware nicht nur lokal, sondern nach
europäischen Standards auch ins Ausland zu verkaufen.
Um ihre Produkte bekannter zu machen und sich untereinander zu
vernetzen, organisieren Halida und ihre Mitstreiterinnen 2011 die erste
Messe für Bio-Produzenten ihres Landes. Sie wird mit 10.000 Besuchern
ein großer Erfolg. Sogar der bosnische Landwirtschaftsminister kommt und
sagt den Frauen zu, dass das Ministerium künftig die teuren Zertifikate
bezahlt. Heute können laut Halida 1700 Frauen in Bosnien und Herzegowina von der biologischen Landwirtschaft leben.
All das erzählt Halida ganz beiläufig, als wäre das nichts
Besonderes. Bosnierinnen seien eben bescheiden, sagt sie, aber auch
hartnäckig. Diese Hartnäckigkeit hat ihr oft im Leben geholfen. Vor 19
Jahren musste sie vor dem Krieg nach Deutschland fliehen, lebte dort
vier Jahre lang in einem Flüchtlingsheim, ehe sie 1998 in ihre zerstörte
Heimat zurückkehrte. Auch hier kam sie erst in einem Lager unter. Ihre
Heimatregion Modriča liegt in der Serbischen Republik, dem serbischen
Teilstaat in Bosnien und Herzegowinas. Bosnische Heimkehrer mussten auch
nach dem Krieg mit Gewalt rechnen.
Frauen-Solidarität überwindet die Feindschaft
Halida erinnert sich an eine Schlüsselszene, die ihr gesamtes Leben verändern sollte:
"Der größte Wunsch der Frauen aus Modriča war es, in die Heimat
zurückzukehren, und sei es nur, um noch mal ihr Haus zu sehen und
Abschied zu nehmen." Ihre Männer hatten bereits versucht, nach Hause zu
fahren, doch sie wurden von Serben verprügelt. Die Frauen aus dem
Flüchtlingslager überlegten, was sie tun konnten. "Viele von uns kannten
serbische Frauen, und wir konnten uns nicht vorstellen, dass diese uns
etwas antun könnten."
Halida Jahić nahm Kontakt auf mit einer Freundin aus Modriča, und gemeinsam trommelten sie Serbinnen zusammen, die den bosnischen Flüchtlingen helfen sollten. "Als der Tag gekommen war, fuhren wir mit einem Bus über die Grenze", erzählt sie. "Wieder standen serbische Männer am Straßenrand, die bereit waren, die Menschen in den Bussen anzugreifen."
Doch dann geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hatten: Die serbischen Frauen stellten sich vor die Neuankömmlinge und sorgten so dafür, dass diese nicht verletzt wurden. "Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke", so Halida. "Die Frauen waren so stark. Sie sagten den Männern einfach offen ins Gesicht: 'Ihr wollt diesen Menschen etwas tun? Dann nur über unsere Leichen!'" Verblüfft über so viel Widerstand, zum Teil von den eigenen Ehefrauen, ließen die serbischen Männer die Bosnier in Ruhe, und das war der Beginn der Versöhnungsarbeit und des Zusammenhalts der Frauen aus Modriča.
Wo der Staat versagt, springen die Frauen ein
Halida ist der Motor dieser Bewegung. "Krieg ist, um
daraus zu lernen", sagt sie. Und sie lernt schnell. Sie gründet noch
1998 in Tarevci ihre erste Frauengruppe, die sich um Aufbauarbeit
kümmert und die verfeindeten Gruppen zusammenbringt. Die Gruppe besorgt
obdachlosen Witwen Wohnungen, organisiert psychologische Unterstützung
für traumatisierte Kinder, vermittelt Arbeit, verteilt Sachspenden an
Mütter.
Eigentlich alles Dinge, um die sich der Staat kümmern sollte. Doch von der Regierung bekommen die Frauen wenig Hilfe. "Nicht mal Windeln stellte uns die Stadt zur Verfügung", so Halida. Ihre Erfahrung: "Wenn die Menschen sich nicht zusammenschließen, geschieht nichts."
2005 bringt Halida die verschiedenen Frauengruppen des
Landes in dem Netzwerk "Veliko Srce" zusammen, auf Deutsch "Großes
Herz". Aus den damals 320 Frauen sind heute 4.000 Frauen geworden,
Frauen aller Konfessionen und Nationalitäten, die gemeinsam die Zustände
in ihrem Land verbessern.
Nach dem Krieg blüht die häusliche Gewalt
"Veliko Srce" leistet dabei mehr als nur erste Hilfe. Das zeigt sich bei einem weiteren Problem, der häuslichen Gewalt, die seit Kriegsende in Bosnien und Herzegowina stark zunimmt. "Viele traumatisierte Männer waren nach dem Krieg arbeitslos. Auf Konflikte mit den Ehefrauen, die von ihnen mehr Initiative fordern, reagieren sie oft mit Gewalt", erklärt Halida.
"Veliko Srce" baut ein Beraterinnen-Netzwerk auf und gründet
Frauenhäuser, die ersten überhaupt in ihrem Land. Und auch politisch
wird das Netzwerk aktiv: Die Frauen setzen eine Gesetzesänderung durch,
wonach ein gewalttätiger Mann innerhalb von zwölf Stunden die Wohnung
verlassen muss und je nach Gefährdungsgrad bis zur Gerichtsverhandlung
in Untersuchungshaft kommt. Eine kleine Revolution in dem Land, wo es
sonst immer die Frauen waren, die bei Gewalt aus dem Haus fliehen
mussten.
Viele Familien sehen das nicht gern, sie wollen die Konflikte lieber weiter unter sich klären. Halida bekommt Morddrohungen, wird von Männern unter Druck gesetzt, ihr Sohn wird verprügelt. Sie seufzt. "Es ist schwer, auch heute noch. Aber ich lasse mich von diesen feigen Menschen nicht von meinem Ziel abbringen."
Arbeiten in unbeheizten Büros
Halida ist zu einer politischen Stimme geworden. Wenn sie
sich bei Stadtratssitzungen zu Wort meldet, steht das am nächsten Tag
in der Zeitung. Ihr ist es auch zu verdanken, dass es inzwischen
Genderbeauftragte in der Regierung gibt.
Doch es ist mühsam. Zwar schmücken sich die Politiker gerne mit
ihr, etwa, wenn ein Staatsbesuch ansteht und vorzeigbare Projekte
gefragt sind. Aber kaum sind die Scheinwerfer wieder aus, verlöscht auch
das Interesse. Vor allem, wenn es um Geld geht. Nur sporadisch bekommt
"Veliko Srce" finanzielle Unterstützung für seine Projekte. Halida
arbeitet nach wie vor in einem ungeheizten Büro und lebt vor allem von
der Förderung der deutschen Frauenstiftung filia, die jedoch im September 2013 ausläuft.
"Die meisten Politiker in unserem Land", meint Halida,
"haben sich nach dem Ende des Kommunismus einfach nur einen anderen
Mantel angezogen und so weitergemacht wie bisher." Abgeschottet vom Volk
in ihren neuen Parteien, mit starker Hand von oben.
Das sei auch ein Grund, warum Nicht-Regierungsorganisationen, die
es im Kommunismus nicht gab, so ein schlechtes Standing hätten. "Sie
fühlen sich von uns bedroht, weil wir mitten aus der Gesellschaft kommen
und ständig Probleme auf den Tisch bringen, die sie lieber nicht hören
wollen."
Wäre es da nicht einfacher, selbst in die Politik zu gehen und die Dinge direkt zu ändern? "Nein", sagt Halida und lächelt. "Ich werde nie Politikerin werden. Dafür muss man sich anpassen, und so eine Person bin ich nicht." Sie mische sich lieber indirekt ein. Es sei ihr aber wichtig, den Regierenden eines klarzumachen: "Dass wir unsere Arbeit nicht für uns selbst tun, sondern für die ganze Gesellschaft, für mehr Lebensqualität und eine bessere Zukunft."
Zum Original