Marokko: Pokito Hamza Mahfoudi
Mein
Name ist Hamza und ich komme aus Rabat, der Hauptstadt Marokkos. Mit Fès,
Meknès und Marrakesch gehört Rabat zu den vier Königsstädten meines Landes.
Meine Freunde nennen mich aber fast alle Pokito, das aus dem Spanischen kommt
und „der Kleine“ bedeutet. Ich weiß gar nicht mehr, wie das kam, irgendeiner
meiner Freunde nannte mich mal so, wahrscheinlich, weil Marokko über die Straße
von Gibraltar eine Nähe zu Spanien hat, das eine oder andere Wort Spanisch
kennt man auch in Marokko. Und ich bin ja eher klein.
Ich bin 2014 nach Deutschland gekommen. Dass ich hier bleibe, war zunächst gar nicht geplant. Ich bin Filmemacher, Kameramann und Musiker. 2013 habe ich mit dem Menschenrechtsaktivisten und Regisseur Nadir Bouhmouch und der Aktivistin Houda Lamqaddam und einigen anderen Kreativen den Film „475: When Marriage becomes a Punishment“ gemacht. Darin ging es um das Schicksal der 16-jährigen Amina Felali, die 2012 nach einer Vergewaltigung von einem Richter und mit dem Einverständnis ihres Vaters gezwungen wurde, ihren Peiniger zu heiraten! Amina wurde gar nicht gefragt. Und das war nicht mal illegal, denn in Marokko gab es den Paragraphen 475, nach dem wir den Film benannt haben und der besagte, dass im Falle einer Entführung das Opfer den Entführer heiraten kann, damit der Entführer dem Gefängnis entgeht und vor allem die Ehre der Familie nicht beschmutzt wird. So wird also das Opfer noch mal zum Opfer! Vor allem handelt es sich in Marokko in den meisten Fällen von Entführungen um Vergewaltigungen. So wie im Falle von Amina. Der Richter hatte diesen Paragraphen erweitert und auf die Vergewaltigung angewandt. Amina wurde in der Familie ihres Vergewaltigers nicht akzeptiert, sie wurde gedemütigt und geschlagen. Ein paar Monate ertrug Amina diese grauenvolle Situation, dann nahm sie sich mit Rattengift das Leben.
Der Fall löste weltweites Entsetzen aus. Darüber haben wir diesen Film gedreht, was natürlich nicht leicht war. Eine Genehmigung hätten wir dafür nicht erhalten, also hatten wir es gar nicht erst versucht, aber es war uns auch egal. Deswegen heißt es im Vorspann des Film: „Dieser Film wurde illegal produziert, als ein Akt des zivilen Ungehorsams, um nach Freiheit für Meinung und Kunst in Marokko zu rufen“. Wir haben das Kollektiv „Guerilla Cinema“ gegründet und weltweit über eine Crowdfunding-Aktion Gelder gesammelt, um den Film professionell produzieren zu können. Seit 2011 ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Verfassung Marokkos verankert, aber das steht vor allem auf dem Papier, die Realität sieht noch ganz anders aus. Wir wollten mit diesem Film und mit der gleichnamigen Internetaktion auf die prekäre Situation von Frauen in Marokko aufmerksam machen. Der Film wurde inzwischen auf vielen Festivals weltweit gezeigt, auf Youtube und Vimeo kann man sich ihn ansehen. Die Deutsche Welle hatte uns sogar einen Preis verliehen für diese Internetaktion, darauf sind wir natürlich stolz.
Was aber viel wichtiger ist: Durch die Protestaktionen wurde tatsächlich der Paragraph 475 gekippt. Was aber nicht bedeutet, dass das Problem aus der Welt geschaffen ist. Und wir bekamen noch ein anderes Problem: Wir hatten uns mit diesem Film, der in Marokko offiziell nicht gezeigt werden darf, aber natürlich im Internet zu sehen ist, wahrlich nicht nur Freunde geschaffen. Auf der Straße bin ich oft angesprochen und angepöbelt worden, man drohte mir und meinen Freunden, die an dem Projekt beteiligt waren; zunächst eher flapsig, dass sie mir die Haare abschneiden wollen und so etwas. Aber dann wurden die Bedrohungen aggressiver. Unsere Form der Kunst und des Protests war einfach nicht erwünscht. An weitere Filme war nicht zu denken, die Situation wurde immer gefährlicher.
(...)
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Porträt über Pokito Hamza aus Marokko für das karitative Kochbuch "Hand in Hand", bei dem 50 Sterne- und Spitzenköche mit Flüchtlingen aus Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan, Nepal, Gambia und Marokko zusammen kochen.