Lutz Jäkel

Foto- und Videojournalist, Autor, Vortragsreferent, Berlin

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Reportage

Dubai: Keine öde Wüste

Dubai ist das aufstrebendste Emirat im arabischen Raum, fast täglich entstehen Superlative, die die Welt anlocken. Und dann scheint auch noch jeden Tag die Sonne.

 

Aus heutiger Sicht ist es ein bizarres Bild, das sich dem englischen Expeditionsreisendem Wilfried Thesiger bot. In den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchquerte er die Wüste Rub al-Khali, das Leere Viertel, und notierte: „In den Wüsten Südarabiens gibt es keinen Wechsel der Jahreszeiten, kein Steigen und Fallen der Säfte, sondern nur öde Wüsten … Es ist ein strenges knochentrockenes Land, das weder Milde noch Behaglichkeit kennt. Dennoch leben dort seit Urzeiten Menschen. Generationen von Nomaden haben an ihren Lagerplätzen verrußte Steine, auf den weiten Kiesebenen ihre kaum mehr erkennbaren Wegspuren zurückgelassen. Anderswo hat der Wind die Fußspuren verwischt.“

Wie würde Thesiger sich wundern, käme er heute hierher. Denn am Rande dieser Wüste ist es nicht mehr öde. Es gibt jede Menge Beton und Asphalt, die den Wüstensand verdrängen und keine Fußspuren mehr hinterlassen. Lagerplätze gibt es dafür viele. Nur sind sie nicht mit verrußten Steinen gekennzeichnet, sondern mit erlesenem Marmor, feinstem Satin oder goldverzierten Säulen. An diesem Rand liegt Dubai. Es ist heute kaum vorstellbar, dass bis in die 1960er Jahre hinein das Emirat zu den ökonomisch schwächsten Gebieten der damaligen Welt gehörte, Dubai erhielt damals noch Entwicklungshilfe, Elektrizität gab es erst ab 1952, Trinkwasser wurde aus Brunnen geschöpft. 

Doch das Erdöl sollte auch diesen Teil der Golfregion in eine neue Zukunft katapultieren, dem neuzeitlichen Turmbau zu Babel stand damit nichts mehr im Weg. Heute wird der Welt demonstriert, was es bedeutet, wenn Geld keine Rolle spielt. Emiratis zählen statistisch zu den reichsten Menschen der Welt, das Emirat übertrumpft sich fast täglich selbst mit neuen Superlativen.

Wahrzeichen Dubais und Sinnbild der arabischen Moderne ist noch immer der „Burj al-Arab“, der Turm der Araber, das einzige selbst ernannte Sieben Sterne Hotel, in seiner Form einem aufgeblähten Segel nachempfunden. Wenn man nicht weiß, wo Dubai auf der Weltkarte zu finden ist, so weiß man mit Sicherheit, dass der „Burj al-Arab“ in Dubai steht. Ein genialer PR-Coup. Doch das Luxushotel der Extraklasse bekommt Konkurrenz.

Dubai, „The City of Skyscrapers“, wie es in Werbeprospekten heißt, ist im Jahre 2008 die größte Baustelle der Welt – die Baustelle auf dem Potsdamer Platz in Berlin war dagegen ein Sandkastenprojekt. In Sachen Monumentalität und Gigantismus wird der „Burj al-Arab“ von anderen Projekten im wahrsten Sinne des Wortes überragt: Seit März dieses Jahres ist der „Burj Dubai“, der Turm Dubais, das höchste Gebäude der Welt. Doch diese Auszeichnung ist nicht genug, es wird weiter Stockwerk auf Stockwerk gesetzt, die endgültige Höhe ist ein Geheimnis, niemand soll sich angespornt fühlen, noch höher zu bauen. Für den Fall des Falles liegen Pläne für einen neuen Turm in der Schublade. Bauhöhe: Mindestens 900 Meter. 40 Shopping-Malls mit über 3000 Geschäften genügen ebenso wenig, so dass um den „Burj Dubai“ in diesen Tagen das nächste Megaprojekt eröffnet wird: Die „Dubai Mall“, das größte Einkaufszentrum der Welt mit über 1200 Geschäften und einem Aquarium, das über drei Etagen hoch ist und so viel Wasser aufnimmt, wie drei Schwimmbecken in Olympia-Größe. Über 30.000 Meerestiere sollen sich darin zu Hause fühlen.

Wem das alles zu heiß wird, kann in einer Skihalle bei Null Grad Celsius die Abhänge runterfahren, während draußen im Sommer die Luft bei 50 Grad Celsius flimmert. Ursprünglich hatte Dubai rund 70 Kilometer Küste. In wenigen Jahren werden es alleine durch die künstlichen Insel-Aufschüttungen vor der Küste rund 850 Kilometer mehr sein. Wer also in Deutschland an 350 Tagen im Jahr Sonne haben möchte, muss nur nach Dubai fahren, ein paar Millionen Euro locker machen und sich die Insel „Deutschland“ der Inselwelt „The World“ erwerben. Infrastruktur exklusive versteht sich. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen und ein Ende der Megaprojekte des Disneylands für Erwachsene ist nicht absehbar.

Handelsdrehscheibe und Gourmetparadies

Treibende Kraft dieser Entwicklung ist Schaich Muhammad bin Raschid Al Maktum, charismatischer Herrscher des Emirats. Er erkannte weitsichtig, dass Erdöl zwar eine Allah-gegebene Grundlage für Reichtum ist, sie aber nicht grenzenlos fließen wird. Des Herrschers Gebot: Aus dem einstigen Ölproduzenten soll eine Dienstleistungs-, Wissens- und Industrieökonomie entstehen, regelmäßig lässt er verkünden, das Wort „unmöglich“ existiere im Wortschatz eines Führers nicht. Das Ergebnis solcher Vorgaben lässt sich wahrlich sehen: Dubai ist die Handelsdrehscheibe Nummer Eins in der arabischen Welt und hat eine der wichtigsten Brückenfunktionen für Handel, Dienstleistung und Tourismus zwischen Europa, Amerika und Asien übernommen. Bereits 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden im Nichtölsektor erwirtschaftet, Tendenz steigend. Dieser Teil des Nahen Ostens hat sich zur wichtigsten Wachstumsregion der Welt entwickelt. Und als ob das nicht genug sei, scheint auch noch fast jeden Tag die Sonne.

Ideale Bedingungen also für einen erholsamen Urlaub, auch das hat sich in der Welt herumgesprochen – und Dubai reagiert. Damit sich Urlauber wohl fühlen stehen inzwischen über 450 Hotels und Apartmenthotels mit über 60.000 Zimmern zur Verfügung, die meisten von ihnen buhlen im Fünf-Sterne-Segment um die Gunst der Gäste. Die Konkurrenz ist groß, die Preise sind deswegen für einen Luxus-Urlaub mit Sonnengarantie moderat. In den ersten Monaten dieses Jahres haben bereits über zwei Millionen Gäste die gebotenen Annehmlichkeiten genutzt. In den Sommermonaten, wenn das Thermometer häufig die 40 Grad-Marke erreicht, locken Spezialangebote wie das „Dubai Summer Surprises“ Besucher mit außerordentlich hohen Preisnachlässen ins Emirat, Spa-Hotels werben mit einer Fülle von Wellness-Angeboten.

Wem die Sonne am Strand zu viel wird, kühlt sich in den Shopping-Malls oder in der Ski-Halle ab, lässt sich am Abend einen Champagner beim Barbecue mitten in der Wüste servieren, nachdem er zuvor die Dünen mit einer rasanten Jeepfahrt erklommen hat, oder betrachtet mit buchstäblicher Distanz die Superlativen auf engstem Raum aus dem Helikopter, dem Wasserflugzeug oder Heißluftballon. Auch Schlemmern steht hoch im Kurs, Essengehen gehört zum „modern Lifestyle“. In Dubai leben inzwischen mehr als 140 verschiedene Nationalitäten, und so versammeln sich in diesem Emirat, das gerade mal halb so groß ist wie die Insel Kreta, alle Küchen dieser Welt.

Vor noch nicht allzu langer Zeit war die Golfregion im Vergleich zu den anderen arabischen Ländern für Gourmets eher eine No-go-Area. Heute ist es genau umgekehrt: Wer internationale Haute Cuisine im arabischen Raum genießen möchte, fährt vor allem nach Dubai. Und das, obwohl 90 Prozent aller Lebensmittel eingeführt werden müssen. Die hochklassigen Restaurants befinden sich überwiegend in den Hotels, nur sie besitzen in dem muslimischen Land Lizenzen zum Alkoholausschank. Hungrige Zeitgenossen gehen zum Iraner, Chinesen, Japaner, Thai, Süd-, Nord- oder Westinder, zum Franzosen oder Italiener.

Wer es Arabisch mag, bevorzugt marokkanische oder libanesische Küche, die zu den besten der arabischen Welt zählen und auch internationales Renommee genießen. Aber auch auf zünftig-deutsch muss niemand verzichten. Das wird im originalem Hofbräuhaus des JW Marriott Hotels mit Weißbier und Brezn’ serviert, inklusive philippinischer Kellnerinnen in Lederhose und einem Barkeeper aus Burma, den alle nur Freddy nennen, weil sich niemand seinen richtigen Namen merken kann. In diesem Hotel wird außerdem „New Arabian Cuisine“ serviert, raffinierte Kreationen einer europäisch-arabischen Fusion-Cuisine. Kein Wunder, dass eine solche Küche aus Dubai kommt.

Und wenn man im Emirat am Rande der arabischen Halbinsel nach dem suchen sollte, was man allgemein hin als Arabisch bezeichnet? Dann wird es schwierig. 80 Prozent der rund anderthalb Millionen Einwohner Dubais sind Ausländer, die am weitesten verbreitete Sprache ist Englisch. Emiratis sind im Straßenbild präsent, aber selbst im Geschäftsleben hat man wenig Kontakt mit ihnen. Selbst im traditionellen Markt, im Suq, kommen die meisten Händler aus Pakistan oder Indien. Kamele ziehen nicht mehr durch die Wüste, sondern ihre Bahnen bei hochdotierten Rennen. Aber wegen des arabischen Flairs kommen auch die wenigsten Besucher. Aber Wüste gibt es immerhin genug. Noch. Die Bulldozer stehen bereit, das nächste Superlativ auch.

 

(erschienen in Süddeutsche Zeitung 2008)