Lutz Jäkel

Foto- und Videojournalist, Autor, Vortragsreferent, Berlin

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Buch

Syrien: Mesopotamien. Trockene Wüstensteppen, fruchtbare Landstriche

Vielleicht weilte der Dichter Abu Nuwas in Palmyra und saß im kühlen Schatten der Palmen, als er im 8. Jahrhundert schrieb: „Smaragdgrün färben sich die Früchte und man glaubt, kämpfende Widder zu sehen. Wenn der Reisende der Nacht das Sternenbild Canopus in der Morgenröte schimmern sieht, leuchtet das Purpurgold der Datteln wie Hyazinthen in aller Farbenpracht.“ Doch die Oase der Königin Zenobia mit ihren vielen Dattelpalmen liegt hinter uns und je weiter wir in den Osten nach Deir az-Zor fahren, desto mehr geht die Farbenpracht in eintöniges Einerlei über.

Die Straße, die im Volksmund auch die „Lunge des Irak“ genannt wird, weil über sie der Warentransport zwischen Syrien und Irak abgewickelt wird, führt schnurgerade weiter in die unwirtliche Wüste, die rund sechzig Prozent des Landes bedecken. Sie ist keine malerische Wüste mit lang geschwungenen Sanddünen, sondern überwiegend mit Steinen und Kies bedeckt, die die Luft noch staubiger und farbloser erscheinen lassen. Ihre Reize offenbart diese Wüste dennoch.

Irgendwann halten wir am Straßenrand, betrachten diese Einöde und kommen mit einem Schäfer ins Gespräch. Die Luft flimmert. Wir fragen den jungen Mann nach der Anzahl seiner Schafe. Eine Antwort darauf sei, so sagt er mit knappen Worten, Barakat Allah, ein Segen Allahs, womit er sagen möchte: Man fordere das Glück heraus, wollte man die Anzahl seiner Schafe wissen. „Allah allein weiß es und Allah möge sie vermehren“, sagt er und zieht mit seiner Herde weiter.

 An einer Abbiegung lesen wir das Schild „Bir al-Arak“, den Namen eines kleinen Dorfes. Auch dort halten wir für einen Moment und werden sogleich von vielen Kindern umringt, ein paar Männer und Frauen kommen dazu. Abu Hussain, mit 87 Jahren der Älteste des Dorfes, lässt Tee bringen, trotz des Ramadans. „Ihr seid auf Reisen“, sagt er, „Ihr wisst, dann müsst ihr nicht fasten.“ Dass wir auch sonst nicht fasten, verschweigen wir ihm. Auf die Frage, wie viele Kinder er habe, antwortet Abu Hussain mit stolzer Miene: „Bei Allah, ich habe vier Frauen und zehn Söhne.“ Die Töchter werden nicht gezählt, an die genaue Anzahl seiner Kinder kann er sich ohnehin nicht erinnern.

Die Vielehe kommt in Syrien fast nicht mehr vor, denn wenn der Koran einem Muslim auch erlaubt, vier Frauen zu heiraten, so verlangt er ebenso, alle Frauen gleich zu versorgen. Eine Pflicht, die sich heute fast niemand mehr leisten kann. Doch im Osten Syriens ist die Beduinentradition noch weit verbreitet und damit auch die Vielehe. Abu Hussain und seine Familie waren ursprünglich Beduinen aus Jordanien. Doch als der alte Mann geboren wurde, gab es das heutige Syrien und Jordanien noch nicht, die Region war gerade unter französische und britische Mandatsherrschaft gefallen, die Grenzen waren noch fließend und es gab kein Hindernis für umherwandernde Beduinen. So sind sie irgendwann hier sesshaft geworden.

Wanderschaft per LKW

Die syrische Wüstensteppe bietet für Beduinen weitaus bessere Lebensbedingungen als beispielsweise die Arabische Halbinsel. Es gibt kaum einen Winter, in dem es nicht wenigstens ein bisschen regnet und zartes Grün sprießen lässt. Regenfälle können bisweilen so heftig sein, dass kleinere Täler, die Wadis, wochenlang mit Wasser gefüllt sind. Am Rande der Wüstensteppe, der Badiiya, finden sich Karstquellen, einige Brunnen und auch der Euphrat mit seinem Nebenfluss Khabur sorgen – zumindest entlang der Flüsse – für eine gute Versorgung mit Trinkwasser. So lassen sich die Böden als Weiden für Kamele und Schafe nutzen.

Doch Beduinen, von Arabisch Bedu, die ständig von Weide zu Weide ziehen, gibt es in Syrien nur noch wenige. Denn mit dem Aufkommen der Nationalstaaten veränderte sich das Leben der Beduinen, plötzlich zogen sie über Grenzen, was einem modernen Staat nicht ins Gefüge passte, zudem hielt man ihre Wirtschaftsform für rückständig. Ein Teil der Beduinen wie der vom Stamm der Schammar, die die bekanntesten Kamel-Beduinen waren, aber fanden im Gebiet ihrer Sommerweiden ideale Bodenbedingungen vor und schafften den Wechsel zu sesshafter Landwirtschaft, wo sie im Regenfeldbau Weizen und Gerste anbauen.

Als Transporttier hat das Kamel ohnehin ausgedient, es fristet bis auf wenige Ausnahmen nur noch als Fleischlieferant oder Renntier ein eher bescheidenes Dasein. Ein Jammer angesichts der beachtlichen Karriere, die das Kamel hinter sich hat. Irgendwann zu Beginn des 1. Jahrtausends vor Christus wurde es domestiziert, davor war der Esel das bevorzugte Tier für die Handelskarawanen. Der Esel jedoch konnte nur über Stock und Stein, nicht aber durch die Wüste ziehen. Dadurch war man gezwungen, an Wasserstellen, wie etwa an Flüssen, entlang zu ziehen und große Umwege in Kauf zu nehmen.

Da musste erst der eigensinnige und oftmals störrische Schwielensohler gezähmt werden, der schwere Lasten bis zu zweihundert Kilogramm tragen und enorme Strecken durch den Sand stapfen kann, ohne darin einzusinken. Und wenn es alle paar Tage zwischen ein- und zweihundert Liter Wasser bekommt, das es innerhalb weniger Minuten wegsäuft, dann versorgt das Kamel seinen Besitzer und dessen Familie auch noch mit Nahrung und Alltagsgegenständen. Dieser direkte Ertrag bildete die Grundlage der Kamelzucht: Es liefert im Gegensatz zum Kleinvieh das ganze Jahr Milch, die man frisch genießen, in Lederschläuchen transportieren oder gesäuert zu Trockenkäse verarbeiten kann. Sein Verdautes lässt sich im getrockneten Zustand als Brennmaterial einsetzen, sein Urin als Haarwaschmittel und Desinfektionsmittel. Aus seinem Haar kann man Kelimdecken weben oder Seile knüpfen, seine Haut lässt sich zu Satteltaschen, Gürteln oder Sitzkissen verarbeiten und auch sein Fleisch ist genießbar, dass geschmacklich an Rindfleisch erinnert. Kein Wunder, dass die Araber dieses wertvolle Tier Dschamal nennen, dessen Grundbedeutung sich von „Schönheit“ ableitet. Bei uns ist dieses Wort als „Kamel“ angekommen.

Die Beduinengruppen der Schafnomaden waren von den klimatischen und politischen Veränderungen weniger betroffen: Schafe werden immer gebraucht und zwar sehr viele. Während der heißen und trockenen Sommermonate weiden die Tiere auf Brach- und Stoppelfeldern, im Winterhalbjahr auf Teilen der syrischen Wüstensteppe. Gewandert wird aber heute nur noch selten, größere Strecken werden gleich auf der Ladefläche eines LKWs überbrückt, Trinkwasser für die Tiere wird mit Tanklastern mitgeliefert. Rinder gehören übrigens nicht zu den bevorzugten Tieren der Beduinen, da sie viel Wasser verbrauchen und schlecht über längere Distanzen zu treiben sind.

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Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch "Salibas Welt. Eine Reise durch Syrien." (2008)