Lutz Jäkel

Foto- und Videojournalist, Autor, Vortragsreferent, Berlin

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Jemen: Welten aus Lehm mit Mobiltelefon

„Glück“ und „Wohlstand“ ist aus dem arabischen Wort Jemen ableitbar. Vielleicht auch deswegen: „Gäste aufzunehmen ist uns höchste Pflicht, ein Weg zum Glück“, befindet im 12. Jahrhundert der jemenitische Dichter und Gelehrte Naschwan al-Himjar. Zwar ist der Jemen vor allem Stammesgebiet, die Zentralregierung hat über die Hauptstadt Sanaa hinaus nur wenig Einfluss, die Sicherheitslage ist daher immer wieder prekär. Doch an der Gastfreundschaft hat sich bis heute nichts geändert. Wer auf der Suche nach dem ist, was man am ehesten mit orientalischen Fantasien beschreiben könnte, ist im Jemen richtig.

Sanaa gilt als eine der ältesten Siedlungen der Menschheit, Sem, einer der Söhne Noahs, soll sie gegründet haben. In der Altstadt stehen fünf- bis siebenstöckige Lehmhochhäuser, einige 800 Jahre alt, Steinpaläste mit weißen Gipsornamenten, die wie mit Puderzucker bestäubt wirken. Der Schriftsteller Günter Grass nannte diese Architektur „Poesie im Lehm“. So erscheint Sanaa als intakte mittelalterliche Märchenstadt, doch vieles ist nur bröckelnde Fassade, die meisten Jemeniten genießen den Komfort moderner Häuser.

Kontrastreich ist auch die Landschaft: In der Tihama, im „heißen Land“ am Roten Meer, glaubt man sich in Afrika, auch in der Physiognomie der Menschen. Doch weite Teile des Landes sind über 2000 Meter hoch, mit zerklüfteten Berg- und Terrassenlandschaften, Monsunregen lassen sie ergrünen. Im Norden erstreckt sich der trocken heiße Wüstengürtel der Rub al-Khali, des Leeren Viertels, heute vor allem Passage für moderne Pick-ups zum Transport aller möglichen Konsumwaren aus den Emiraten und Oman; die einen nennen es Handel, die anderen Schmuggel. Gehandelt wurde zu allen Zeiten: Weihrauch war vor langer Zeit wichtigstes Handelsgut, wurde zeitweilig mit Gold aufgewogen, so wie später der Kaffee, der im Hochland angebaut und über die Hafenstadt al-Mokha gehandelt wurde, woher der Mokka seinen Namen hat.

Heute wird Erdöl und Erdgas gefördert, aber in bescheidenen Mengen, etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Ausgebremst wird die wirtschaftliche Entwicklung auch durch die Alltagsdroge Qat, deren zerkaute Blätter stimulierende Wirkung haben. Qat ist teuer, macht zunächst wach, dann träge, verbraucht viel Wasser, ist aber lukrativ und verdrängt Kaffee- und Getreideanbau. „Qat kauen – den Verstand verdichten“, sagen die Jemeniten.  Es ist ein konservatives Land, stark gebunden an Traditionen, aber man lebt ebenso in der Welt von Internet und Mobiltelefon. Sichtbares Zeichen des Wandels ist auch: Der Protest gegen Präsident Ali Abdullah Salih wird auch von Frauen, die noch zu Zweidritteln Analphabeten sind, in der Öffentlichkeit ausgetragen. 2011 erhielt eine von ihnen, Tawakkul Karman, dafür den Friedensnobelpreis.

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Dieser Text ist ein Auszug aus einem Lexikon-Artikel der Brockhaus-Reihe "Die Welt - Arabische Halbinsel"