Lutz Jäkel

Foto- und Videojournalist, Autor, Vortragsreferent, Berlin

1 Abo und 3 Abonnenten
Buch

Syrien: Wo Orient und Okzident genussvoll verschmelzen

Es ist kein Zufall, dass Hanna Saliba ein großer Genießer ist. Natürlich liegt es an seiner Heimatstadt Lattakia, in der das Genießen sozusagen zur „corporate identity“ gehört. Aber vor allem liegt es daran, dass er aus Syrien stammt. Durch dieses Land, mitten im Vorderen Orient und im Fruchtbaren Halbmond gelegen, zogen alle Hochkulturen dieser Weltgeschichte: Sumerer, Assyrer, Babylonier, Phönizier, Aramäer, Perser, Griechen, Römer, Byzantiner, Araber und Türken, und damit sind noch nicht einmal alle genannt. Während der Mandatszeit zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts kamen auch Franzosen und Briten. Sie alle brachten ihre Kochtraditionen mit, die sich zu wunderbar neuen Kreationen vermischten.

Manche Speise ist sogar bei uns so selbstverständlich geworden, dass wir sie gar nicht mit der arabischen Welt in Verbindung bringen. So vertreten einige Historiker die Ansicht, dass römische Soldaten aus der „Provincia Syria“ das Fladenbrot Pita mit nach Italien brachten, woraus wahrscheinlich zunächst die Focaccia und schließlich über ein paar Umwegen die Pizza entstanden ist. Ähnliches widerfuhr der Pasta. Für Beduinen, die selten einen Kühlschrank besitzen, sind langhaltbare Lebensmittel unverzichtbar. Aus dieser Notwendigkeit heraus ist einst die Nudel entstanden, von der ebenfalls so mancher behauptet, sie stamme aus Arabien. Oder aus China. Aber eben nicht aus Italien.

Das Syrien des Alten Orients und der Antike, also der Raum, der die heutigen Länder Syrien, Libanon, Jordanien und Israel/Palästina umfasst, war immer ein Scharnier zwischen Orient und Okzident, ein Durchgangsland für den Fernhandel, der die Region und die Städte reich machte; Rezepte und Gerichte konnten sich dadurch am schnellsten verbreiten. In Damaskus und Aleppo kamen die Weihrauchstraße und die Seidenstraße zusammen. Eine der Hauptrouten der Weihrauchstraße führte vom Oman über den Jemen zur nabatäischen Handelsstadt Petra und von dort über Damaskus weiter bis nach Indien. 

Eine andere Route führte von Petra aus nach Nordafrika. Mit dem Weihrauch aus dem Jemen kam auch der Kaffee, im Austausch lieferte man vor allem Elfenbein, Edelmetalle, Stoffe und Sklaven. In die andere Richtung wurden über den Tigris Waren von Basra im Persisch-Arabischen Golf nach Bagdad und von dort über die Wüste nach Syrien und Ägypten weitergehandelt. Mit dem Austausch weit entfernter Kulturen wurden ganz neue Nutzpflanzen bekannt: Reis, Zuckerrohr, Wassermelonen, Auberginen und Zitronen, aber auch Kurkuma, Sternanis und andere Gewürze, die man über Persien aus Indien und China holte und sie in die Mittelmeerregion einführte. Weil die Araber im großen Stil Orangen nach Portugal handelten, heißen sie bis heute Burtuqaal. Aus dem anderen arabischen Wort Narandsch wurde verballhornt die Orange. Von China übernahmen die Araber übrigens auch ein eisgekühltes Fruchtsirup, das sie Scharbaat nannten. Über das Türkische Scherbet kam das Wort bei den Europäern als Sorbet an.

Weite Strecken, hoher Gewinn

Der Gewinn all dieser kostbaren Waren war so groß, dass man die Risiken einer oftmals mehrere Monate dauernden Reise über zum Teil enorme Distanzen dafür auf sich nahm. Unterhändler, die sich ihre gefahrvolle Arbeit gut bezahlen ließen, transportierten die Waren meist im Auftrage von Großkaufleuten und Handwerkern. Aus Schutz vor Überfällen schlossen sich die Händler zu Konvois zusammen, wofür das persische Wort Karawaan, Handelsschutz, gebräuchlich wurde. Versorgt wurden die Karawanen in den damaligen Rasthäusern, den Karawansereien. In Handelskontoren, so genannten Khans, wurden die Waren in der Stadt umgeschlagen und an die jeweiligen Warengassen im Suq (die arabische Bezeichnung für den persischen Bazar) verteilt oder über andere Karawanen weiterverhandelt. 

Jahrhunderte lang hatten so arabische und persische Händler den Landhandel zwischen Orient und Okzident kontrolliert und zum Aufstieg mächtiger Reiche in Nordafrika und im Vorderen Orient beigetragen. Aber auch die Europäer profitierten davon: Andalusien, Sizilien und besonders die italienischen Seerepubliken wie Genua, Pisa und Venedig, die durch den gewinnbringenden Handel vor allem während der Kreuzzüge zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert ihre Städte prächtig ausbauen konnten. Nach und nach kontrollierten sie den gesamten Levantehandel. Der Neubau des Doms und des Campanilles in Pisa wären ohne diese Gelder nicht möglich gewesen. Italienische Handelsleute waren es auch, die aus der nordsyrischen Stadt Hallab die italienische Verballhornung Aleppo machten. 

Händler aus Damaskus waren ebenfalls im erheblichen Maße durch den Verkauf von Seide, Brokat und Stahl am gewinnbringenden Handel beteiligt. Akkon unterhielt Handelsbeziehungen nach Marseille, Montpellier und Narbonne. Der Islam stand dem Fernhandel wohlwollend gegenüber, schließlich stammte der Prophet Muhammad aus der Handelsstadt Mekka. Schon als junger Mann begleitete er Karawanen seiner ersten Frau Chadidscha nach Syrien. Im Koran wird überliefert: „Gott hat das Kaufgeschäft erlaubt und die Zinsleihe verboten“ (Sure 2,275). Und der Handel zwischen Orient und Okzident hatte noch eines gelehrt: Wie praktisch die Anwendung der arabischen Zahlenzeichen gegenüber der komplizierten römischen Zählweise war. Die Einführung der Null (arab. sifr, daraus das deutsche Wort Ziffer) sollte einer der größten Errungenschaften sein.

Mediterrane Lebensart

Syrien war stets ein Land an der Peripherie der Machtzentren. Die geografische Lage, durch die Syrien Durchzugsgebiet von Völkern und Hochkulturen wurde, verhinderte gleichzeitig, dass auf syrischem Boden ein eigenständiges Imperium entstehen konnte. Vielmehr ist seine Geschichte geprägt von Stadtstaaten, die untereinander konkurrierten, sich manchmal bekämpften, aber auch Bündnisse eingingen, am liebsten mit den Großmächten wie den Ägyptern, Hethitern oder Persern; das sicherte gute Absatzmärkte. Die langlebigsten Stadtstaaten sind bis heute Damaskus und Aleppo, die zu den ältesten Städten der Welt zählen. 

Aber natürlich haben die mächtigen Nachbarn immer wieder versucht, Syrien direkt zu kontrollieren. So war es im ersten Jahrtausend Teil des babylonischen Reiches, bevor es an Alexander den Großen fiel und an seine Nachfolger, die Seleukiden. Schließlich wird es bis zum Ende des vierten Jahrhunderts nach Christus römische Provinz, dann Teil des byzantinischen Reiches und ab dem Jahre 636 Mittelpunkt des ersten arabischen Großreiches, das der Umayyaden, mit Damaskus als Hauptstadt.

 Neben der geografischen Lage und den Handelsstraßen war es auch die Fruchtbarkeit des Bodens, die den kulturellen Reichtum des Landes ermöglichte. Mächtige Stadtstaaten des Alten Orients wie Mari, Ebla und Ugarit konnten erst dadurch zur Blüte gelangen. Im Norden und Osten öffnet sich das Land dem Zweistromland, das von den beiden Flüssen Euphrat und Tigris eingerahmt wird. Entlang dieser beiden Flüsse erlauben die grünen Ufer bescheidene Landwirtschaft. Nur wenige Kilometer entfernt wird die Erde karg und geht in die Steinwüste über. 

Eine Lebensader für Syrien war der Euphrat, der das Land auf siebenhundert Kilometern durchzieht. An ihm orientierten sich die Karawanenrouten, solange man noch nicht das Kamel domestiziert hatte und ab dem ersten Jahrtausend auch die syrische Wüste durchqueren konnte. Ausgrabungen in der alten Königsstadt Mari am unteren Euphrat gelegen beweisen nicht nur, wie weit schon im zweiten Jahrtausend vor Christus die Handelsverbindungen reichten – Kupfer aus Zypern, Zinn aus Persien, Lapislazuli aus Anatolien waren begehrte Güter –, sondern dass ihre Bewohner bereits Weizen, Gerste, Feigen und Granatäpfel anbauten. 

Im Westen des Landes ragen die Berge des Antilibanon-Gebirges mit Höhen bis zu 2800 Meter empor, und einer seiner wichtigen Quellflüsse, der Barada, wurde zur Lebensader der ehemaligen Oasenstadt Damaskus. Der Orontes, ein weiterer Fluss, der in den Gebirgen entspringt, fließt als einziger Fluss im Vorderen Orient von Süden in den Norden, Nahr al-Asi, den Widerspenstigen, nennen die Syrer ihn deswegen. Der Süden des Landes geht über in den fruchtbaren Teil des Haurans, schon für die Römer war es die Kornkammer ihrer „Provincia Syria“.

Die geografischen und historischen Bedingungen, eine vielfältige kulinarische Tradition entstehen zu lassen, waren also ideal in Syrien, einem Land, das auch zur mediterranen Welt gehört. Die Lebensart, in der die Küche und vor allem das Essen eine zentrale soziale Funktion einnimmt, ist besonders ausgeprägt. Es ist der Moment, wo Familie und Freunde zusammenkommen, es sind Stunden des Gesprächs, des Verweilens, der Gelassenheit – und damit des Genießens. 

Der hohe Stellenwert des Essens in Syrien mag außerdem in einer Tradition der syrischen Gesellschaft begründet liegen, die auch Hanna Saliba verinnerlicht hat: in der Gastfreundschaft. Sie wird jederzeit gelebt, und sie ist zugleich eine Möglichkeit, in der Gesellschaft Ansehen zu gewinnen, indem man sich als großzügiger Gastgeber zeigt. Es verwundert also wenig, dass die Syrer dafür eine Redewendung parat haben: Al-Akl ´ala qadd al-Mahabbe – „Das Essen kommt der Zuneigung gleich“ sagen sie. Wenn also ein Gast viel isst, drückt er damit seine Wertschätzung gegenüber dem Gastgeber aus. Und ein Gastgeber wiederum trägt entsprechend reichlich auf, um auch seinem Gast große Ehre angedeihen zu lassen.

Das war früher so, und das hat sich bis heute nicht geändert. Ein Besuch in Syrien empfiehlt sich also nicht, wenn man auf seine schlanke Linie achten möchte. Man würde nicht nur als unhöflich gelten, sondern viel verpassen.


Dieser Text ist die Einleitung des Buches "Salibas Welt" (2008)