Es war ein Tipp unseres Hoteliers, man kennt sich. Gleich die Gasse runter, erste rechts, dann links, gleich wieder rechts. Dort würden wir das kleine Restaurant "Bizim Kafeterya", "Unsere Caféteria", finden, das Schahizer Gültekin mit ihrem Mann Mustafa führt. "Dort bekommt ihr 'Yöresel Ev Yemekleri", versprach er uns. Regionale Spezialitäten des Hauses, in heimeliger Atmosphäre versteht sich. Und tatsächlich: Man betritt das kleine Restaurant und steht fast schon in der Küche. Statt Chrom und Stahl gibt's Schränke mit Eichenfurnier, Blechtöpfe und einen kleinen Gasherd. Als stünde man bei der Familie in der Wohnung.
Dort steht Schahizer und kocht ihre Leckereien: Linsensuppe, gefüllte Zucchini mit Knoblauchjoghurt, fein gerollte Weinblätter, mit Hackfleisch belegte Auberginen, dazu reicht sie selbst gemachten Ayran, das erfrischende Joghurtgetränk – "nicht dieses Industriezeug aus dem Plastikbecher" – und als Nachtisch Baklawa. Den bringt sie sogar zum "Tasch Firin", zum öffentlichen Steinofen, damit "es schön knusprig wird". Dann erst ertränkt sie den heißen Teig in Zuckerwasser. Es könnte köstlicher nicht sein.
Und nicht authentischer: Gleich hinter der Küche stehen fünf kleine Tische in einem Art Wohnzimmer. Glühlampen wechseln sich mit Leuchtstoffröhren ab, Bilder mit Häusern aus Safranbolu – im Schnee, im Frühling, im Sommer –, Bilder der Familie, ein Blumenkalender von 2002 hängen an der Wand, im Hintergrund raufen sich die Helden einer Seifenoper im Fernsehen. Großmutter Bülbül sitzt in einer Ecke und ist eingenickt.
Sohn Osman bewirtet die Gäste mit herzlicher Aufmerksamkeit, Vater Mustafa kümmert sich um den Tee, der auf dem 50 Jahre alten Ofen brutzelt. "Den hat mein Vater gebaut. Allah habe ihn selig", lächelt Schahizer und freut sich über den ausländischen Besuch. "Oho, Almanya. Güzel! Hosch geldiniz!" – Hui, Deutschland. Wie schön! Herzlich willkommen! Tochter Nilgül ist schwanger, sitzt in einer Ecke und strickt an einem Schal.
Auf die Frage, welcher Part ihr bei dem Familienbetrieb zufällt, lacht sie: "Ich habe die schönste Rolle: Ich komme nur zum Essen!"
Jeder schaut zum Fernseher
Unser Hotelier hat nicht zu viel versprochen, es ist wirklich heimelig, wie "bei Muttern". "Deshalb komme ich auch jeden Tag hierher", sagt Umut, der an der Fachschule Tourismus studiert. "Als Student ist mein ein Geldbeutel nicht so üppig gefüllt. Und dann ist es auch noch so lecker." Schahizer begrüßt Umut mit "Hosch geldin Canim", Herzlich willkommen mein Lieber. "Es gibt in Safranbolu nichts Leckereres. Kichererbsen und rote Bohnen sind unsere Leibspeise", sagt Umuts Freundin.
Schahizer ist eigentlich Schneiderin. Daher hatte die Familie vor ein paar Jahren zunächst die Idee, ein kleines Atelier mit selbst geschneiderten Kleidern aufzumachen, um Mustafas kleine Pension als ehemaliger Stahlarbeiter aufzubessern. Doch Tochter Nilgül drängte auf ein Restaurant: "Selbst wenn es mal schlechte Zeiten gibt: Am Essen sparen die Leute nicht." Das überzeugte. Die Familie trug ihre Ersparnisse zusammen, kaufte die ehemalige Lokum-Patisserie und richtete ein kleines Restaurant ein im kleinen Städtchen Safranbolu, 200 Kilometer nördlich von Ankara, in dem vorwiegend Türken Urlaub machen. "Außerdem", sagt Schahizer, "kochen macht mir auch viel mehr Spaß als schneidern!" Und Tochter Nilgül sollte Recht behalten, das Geschäft läuft gut, die wenigen Tische sind immer begehrt.
Auch heute Abend. Die Gäste grüßen einander und setzen sich so, dass der Blick zum kleinen Fernseher nicht versperrt ist. Wie zu Hause eben. Einem Gast wird das Programm zu langweilig. Er greift zur Fernbedienung und schaltet um. Vor sich hinmampfend nehmen es die anderen wortlos hin. Das gute Essen ist wichtiger, das Programm soll nur unterhalten. Wie zu Hause eben.
Es ist bereits 21 Uhr, Mustafa verabschiedet sich kurz zum Abendgebet, Schahizer schenkt Tee nach und reicht ihre Baklawa. Afiyet olsun! Guten Appetit! Sie setzt sich auf den Diwan und schaut mit den Armen verschränkt lächelnd in die Runde. Ihre Gäste sind zufrieden, das ist das wichtigste. Mit einem Blick zu ihrer Mutter sagt sie: "Meine Mutter ist unglaublich: Sie mag kein Gemüse, höchstens ein bisschen Obst, sie isst rotes Fleisch und raucht wie ein Schlot. Und jetzt ist sie 91. Maschallah! Großartig!"
Eine Speisekarte gibt es nicht
Eines Tages soll Sohn Osman das Restaurant übernehmen. Wenn er verheiratet ist. Dann sollte er eine Frau heiraten, die gut kochen kann, nicht wahr? "Och", sagt Schahizer, "Osman kann auch sehr gut kochen. Er hat mir schon als Kind über die Schultern geschaut." Osman lächelt verlegen. "Aber," ergänzt sie und blickt dabei augenzwinkernd zu ihrem Sohn, "es wäre schon schön, wenn er bald eine Frau fände. Ich bin jetzt 55 Jahre alt und möchte mich bald zur Ruhe setzen."
Aber noch kocht Schahizer. Allah sei Dank. Sie wechselt das Menü fast täglich, je nach Laune kocht sie mal dies und mal jenes. Eine Speisekarte gibt es nicht, man erfrage einfach die Tagesgerichte. Aber gerne. Was gibt es also morgen? "Was möchtet ihr haben? Sagt es mir, ich koche für euch, was ihr mögt." Mercimek Corbasi – Linsensuppe! Gefüllte Auberginen! Und Gözleme – gefüllte Teigtaschen! Und Baklawa! Wir nehmen den letzten Schluck Tee und verabschieden uns in die sanft erleuchteten Gassen von Safranbolu. "Iyi geceler. Yarin görüschürüz!", ruft uns Schahizer hinterher: "Gute Nacht, wir sehen uns morgen." Wir freuen uns.
Schahizers Spezialität: Karniyarik (Gefüllte Auberginen)
Zutaten für 4 Personen:
8 nicht zu große Auberginen
250 Hackfleisch vom Rind
2 Zwiebeln, klein gehackt
4 Zehen Knoblauch, klein gehackt
1 grüne Peperoni, in feine kleine Ringe geschnitten
1 TL Kreuzkümmel, gemahlen
2 Tomaten, 1 klein geschnitten, 1 geachtelt.
1 gehäufter EL Tomatenmark
Petersilie
Olivenöl
Salz, Pfeffer
Zubereitung:
Zwiebeln, Knoblauch, Peperoni und klein geschnittene Tomate in Olivenöl anbraten. Hackfleisch und Gewürze dazu geben, gut vermischen und ebenfalls anbraten. Tomatenmark mit etwas Wasser vermischt unterrühren, mit Salz und Pfeffer abschmecken und beiseite stellen. Auberginen der Länge nach schälen, dabei abwechselnd immer eine Reihe Schale belassen, damit Streifen entstehen. In reichlich Olivenöl gut anbraten. Längs aufschneiden, aber nicht durchschneiden, mit einem Löffel etwas auseinander ziehen, mit Hackfleischmischung belegen und mit Tomatenachteln belegen. In einen Topf oder in eine Pfanne legen und zudeckt bei schwacher Hitze ca. 15 Min. köcheln. Afiyet olsun!
Karniyarik, das so viel wie "geöffneter Bauch" bedeutet, hat nichts mit dem "in Ohnmacht gefallenen Imam" zu tun, wie ein anderes Auberginengericht übersetzt heißt (Imam Bayildi) und mit dem es gerne verwechselt wird. Der "Imam" wird mit Gemüse gefüllt und meist kalt als "Meze", als Vorspeise, gegessen.
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