Wenn das den osmanischen Sultanen zu Ohren gekommen wäre! Geschüttelt hätte es sie! Nur ein einziges Mal soll sich Ludwig der XIV. in seinem 65-jährigen Leben gewaschen haben. Pfui Deibel! Doch ganz gleich, ob sie es wussten oder nicht, dass ausgerechnet der Sonnenkönig so wasserscheu war: Die hygienischen Zustände an europäischen Höfen des Mittelalters waren den Orientalen, die ihre Paläste mit prächtigen Hamams ausstatteten, ohnehin ein Graus. Der Prophet Muhammad hat es seinen Getreuen vorgeschrieben: Intensive Körperpflege gehört zu den Reinlichkeitsgeboten des Islam. Und zwar nicht in einer stehenden Brühe, wie es der Europäer seit jeher in seinem Bad zu genießen pflegt, sondern bei fließendem Wasser.
Die Stadt Bursa war bereits in der Antike wegen des frischen Klimas, Wasserreichtums und der satten Vegetation berühmt. Schwefel- und eisenhaltige Thermalquellen des Stadtviertels Cekirge ließen schon damals die Hautausschläge und Pickel der römischen Kaiser verschwinden. Bis heute schwört man auf die heilende Kraft dieser Bäder. Deshalb gilt Bursa als türkische Hauptstadt der Hamams (gesprochen mit einer Längung auf dem "a", also Hamaam) und zieht Hautgeplagte aus dem ganzen Land an.
Das "Yeni Kaplica", die "Neue heiße Quelle", ist eines der ältesten Hamams der Stadt. Großwesir Rüstem Pascha ließ dieses Bad Mitte des 16. Jahrhunderts für seinen Schwiegervater bauen, den berühmten Süleyman den Prächtigen, jenen Sultan, der als erster osmanischer Feldherr an die Tore Wiens klopfte. Bekanntlich öffnete ihm niemand.
Zusammen mit seinem Baumeister Sinan gab Süleyman so manches Prachtgebäude in Auftrag. Betritt man heute allerdings die Anlage, so empfangen den Besucher Neonlicht und Plastikstühle, sultanische Atmosphäre stellt man sich anders vor. Nun gut, herrschaftliches Gebaren ist auch lange her.
Plastiklatschen gegen Aquaplaning
Apropos Plastik: Nachdem mit den alten Holzlatschen immer wieder Badende ausgerutscht sind, gibt es jetzt gegen das Hamam-Aquaplaning Plastikschlappen, die wohl der Alptraum jedes deutschen Hautarztes wären. Aber sie erfüllen ihren Zweck.
An der Rezeption mit dem obligatorischem Atatürk-Porträt entrichtet man seinen Obulus von umgerechnet vier Euro, inklusive Allround-Massage-Abschrubb-Wellnesseinlage. Dann kommen die Wertsachen in ein Holzschatullchen, das der Empfangs-Meister verschließt, den Schlüssel bindet er dem Gast ums Handgelenk.
Die Kabine, die man zugewiesen bekommt, ist plastikfrei, nämlich holzvertäfelt und weitaus bequemer als eine Hallenbadumkleide. Auch hier werden die Habseligkeiten in einer kleinen Truhe verschlossen, schon schlurft man auf den Plastiklatschen und mit einem elegant um die Hüften gebundenen Leinentuch in die heiligen, kuppelüberwölbten Hallen. Die feuchtheißen Luftschwaden lassen erahnen, was einem im Innern bevorsteht.
"Mein Hautpilz hat kapituliert"
Die Hamams von Bursa haben jedoch wegen ihrer Thermalwirkung eine Besonderheit. Während man sich in klassischen Bädern im Dampfbad auf den "Göbek Taschi", den "Nabelstein" in der Mitte setzt und die Unreinheiten ausschwitzt, gleitet man in Bursa direkt in das heiße schwefelhaltige Wasser.
So wie Nizamettin, der mit verschrumpelten Fingern im dampfenden Wasser entspannt, als mache ihm die Hitze von rund 50 Grad nichts aus. Amüsiert beobachtet er, wie der unerfahrene Ausländer mit eingezogenem Bauch und schmerzverzerrtem Gesicht langsam, gaanz langsam ins heiße Nass gleitet. Schnell rötet die Haut, die Luft wird dünn, aber ja, es ist ja alles für die Gesundheit, gegen die Schuppen, Flecken und Mitesser.
Nizamettin ist extra aus Musch in der Osttürkei angereist, da Luft und Wasser seine Lungenbeschwerden lindern sollen. "Ich habe schon alles versucht", sagt der 51-Jährige, "jetzt hat mir unser Dorfarzt diese Kur verordnet." Und? "Doch, doch, schon besser."
Der alte Mann, der neben ihm sitzt, wohnt nur wenige Häuserblocks entfernt von dem Bad. "Ich komme jeden Tag und setze mich zwei bis drei Stunden in das Wasser. Mein Hautpilz hat kapituliert", sagt er.
Abschied von der obersten Hautschicht
So liegen die Badenden entspannt und zum Teil ermattet im Wasser oder auf den Boden, das Klatschen der Latschen und Geplätscher des Wasser hallt in den einzelnen Kuppeln wider und verliert sich als schwaches Echo in den kleinen Nebennischen. Dort wartet der "Tellak" auf Besucher. Er selbst nennt sich Bademeister, Folterknecht wäre eine treffendere Bezeichnung.
Denn mit seinem rauen Baumwollhandschuh, dem "Kese", schrubbt er so martialisch auf der Haut, dass sich jene in Form vieler kleiner brauner Röllchen und Kügelchen verabschiedet und durch die Luft wirbelt. Nun kippt der Meister literweise Duschgel in einen riesigen Baumwollsack, pustet ein paar Mal hinein und lässt den Delinquenten in einer Seifenwolke verschwinden, die nach der Kese-Folter sehr entspannend wirkt.
Zuckerbrot und Peitsche
Abschließend schüttet der Tellak aus Plastikschalen Massen von Wasser über die gerötete Haut – heißes für Hartgesottene (also Türken), kühles für Schwächlinge (also Ausländer). Schließlich wird der Gehäutete in die ersehnte Freiheit entlassen. Als Zwischengang setzt man sich auf den warmen Boden, schwitzt genüsslich vor sich hin und gießt wieder ab und an Wasser über sich.
Wer aber das Rundum-sorglos-Programm gewählt hat, ist selbst schuld. Denn als Abschluss der feuchten Folter wartet noch Metin, der Masseur. "Keine Sorge", beruhigt er. "Ich mache das seit 15 Jahren. Bisher hat sich noch niemand die Knochen gebrochen." Doch, beruhigend.
Er zieht an Armen und Beinen, knetet Füße und Hände, schrubbt mit der Faust über den Rücken, es knackt und kracht, man spürt Knochen und Muskeln, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hat. Und das tun sich Türken bei jedem Besuch freiwillig an? "Nein", sagt Metin. "Das war jetzt nur die sanfte Tour. Türken mögen es härter."
Aufgeweicht, verschrumpelt, durchgeknetet, erschlagen aber glücklich schlurft man wieder in das Foyer, kleidet sich in neue Leinen- und gelbe Handtücher, setzt sich auf die gelben Plastikstühle, und erfrischt sich an einem Glas Tee oder einem kühlen Ayran, dem klassischen Joghurtgetränkt mit viel Salz, das man nach dem vielen Schwitzen gut gebrauchen kann.
Zufrieden und mit der Genugtuung, überlebt zu haben, zahlt man einen weiteren Obolus als Trinkgeld und wird mit dem traditionellen Abschiedsgruß "Güle güle kirlen" entlassen, "Werde lachend wieder schmutzig!" Ludwig XIV. hat sicher viel gelacht.
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