Ffffft, Fffffft. Pause. Fffffft, Fffffft. Die Schritte des Erdnussverkäufers, der über die Pflastersteine der Plaza de la Catedral von Havanna schlurft, klingen wie der Rhythmus von Musik.
Plötzlich gesellt sich dazu ein weiteres Geräusch: prasselnder Regen. Der Himmel hatte es schon düster angekündigt, nun zeigt er, was Niederschlag im karibischen Sommer bedeuten kann. Als hätte jemand alle Hähne aufgedreht, ergießen sich die Fluten über den Platz, umströmen die barocke Kathedrale und die Kolonialvillen aus dem 18. Jahrhundert.
Die Habaneros nehmen es gelassen, der Regen bringt schließlich ein bisschen Abkühlung. Sie steigen eine Stufe höher auf das Trottoir, stellen sich in die Säulengänge der Häuser und warten. Nach einer guten Stunde ist alles vorbei, die Sonne schiebt die Wolken zur Seite, die Luft ist noch ein bisschen feuchter, das T-Shirt klebt an der Haut.
Die Kellner wischen Tische und Stühle trocken, eine Band baut ihre Instrumente auf, schlägt den Takt und spielt - wenig originell, aber trotzdem schön - "Chan Chan". Die Gäste des Cafés wippen mit den Füßen, ein paar stehen auf und fangen an zu tanzen, während unter ihren Füßen die Pfützen verdampfen.
Musik ist Kuba, Kuba ist Musik. Ein Klischee? "Nein", sagt die Sängerin Dayami Grasso Toledano. "Musik ist unsere Seele". Manchmal ist es nur der Rhythmus der Straße, in der Altstadt, in den Wohnvierteln. Aus allen Ecken kommen Geräusche, Laute, Rufe, die sich mal zu einer Symphonie, mal zu einer Kakophonie vereinen: Nachbarn unterhalten sich von einem Garten zum anderen, ein Händler preist lautstark seine warmen Bohnen an, ein anderer Kinderspielzeug, ein weiterer kann Matratzen reparieren. Hunde bellen dagegen an, Fernseher krächzen dazwischen.
"Musik war in Kuba immer ein Ventil"
Doch meistens ist es der Rhythmus der Musik, der aus den Häusern, den Clubs, den Restaurants, von den Stränden, dem Malecón, dem kilometerlangen Prachtboulevard an der Küste, erklingt. Er legt sich über die Straßen wie der warme Sommerregen. "Die Straßen in Havanna", schreibt der kubanisch-französische Schriftsteller Alejo Capentier, "bieten ein fortwährendes Schauspiel: Theater, Karikatur, Drama, Komödie oder was auch immer."
Fidel Castro und seine Getreuen hätten vor über 50 Jahren schnell wieder die Revolutionskoffer packen können, hätten sie die kubanische Gesellschaft nicht nur in eine sozialistische umgewandelt, sondern den Einheimischen das Tanzen und Singen verboten. Also hat Fidel ihnen die Musik gelassen. Und damit ihre Seelen.
"Der Son ist wie ein zu Klang gewordener Rum, den man mit den Ohren trinkt", schreibt der Musikethnologe Fernando Ortiz Fernández über den Musikstil, der mit der Seniorenband Buena Vista Social Club Ende der neunziger Jahre ein internationales Comeback feierte. Der Son entstand wie auch die melancholischen Boleros, die wilde Rumba, der fetzige Mambo und der Chachacha auf Kuba. In den dreißiger Jahren gingen all diese verschiedenen Stile schließlich in einer neuen Soße auf - in einer "Salsa" eben.
"Musik war nie angepasst in Kuba, sie war immer ein Ventil und auch eine Möglichkeit, der Mangelwirtschaft des Alltags zu entfliehen", sagt Dayami Grasso Toledano, die inzwischen in Berlin lebt. Ein Gang über einen Markt zeigt, dass das Leben selbst in Havanna noch immer schwierig ist. Die Stände sind voll, die Auslagen üppig. Aber es ist die immer gleiche Auswahl: Kochbananen, Knoblauch, rote Zwiebeln, aromatische Mangos und Avocados, schwarze und weiße Bohnen, Paprika und Zitronen.
"Immerhin wird hier noch in Pesos bezahlt", sagt Grasso Toledano und zeigt auf einen Schein mit dem Konterfei des Revolutionärs Camilo Cienfuegos, "und nicht in CUC." Das ist der Peso Cubano Convertible, der 2004 den US-Dollar als zweite offizielle Währung abgelöst hat und der in Kuba zu einer Zweiklassengesellschaft führte: Entweder man hat CUC, oder man hat Pesos. Das angenehmere Leben, das man nur für CUC bekommt, bleibt den meisten Kubanern verschlossen. An die begehrte Währung kommt man nur über Devisen ran. Daher sind Jobs in der Tourismusbranche, die zu den dynamischsten Wirtschaftssektoren der Insel gehört, so beliebt.
Beim Tanzen ist das System nur noch Nebensache
Raúl Castro, der 2008 offiziell die Staatsgeschäfte von seinem Bruder Fidel übernahm, hat kürzlich angekündigt, den CUC abschaffen zu wollen. Wann genau, hat er nicht gesagt. Dass sich etwas ändern muss, wissen aber auch die Castros. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor gut 20 Jahren und den ausbleibenden Milliardensubventionen der sozialistischen Brüder, ist Kuba wirtschaftlich am Boden. Es muss heute mehr als die Hälfte seiner Lebensmittel einführen - ausgerechnet die USA sind inzwischen der fünftgrößte Handelspartner.
So soll die Privatwirtschaft helfen, in kleinen Schritten zwar, aber immerhin. Kubaner können nun Firmen gründen und Handel treiben. Man kann Häuser und Wohnungen kaufen und verkaufen, davor war nur Tausch erlaubt, da Fidel Castro findet, dass Besitz Diebstahl ist. Einige bauen ihre Paladares, familiengeführte Restaurants, und Casas Particulares, Privatunterkünfte, aus; hier lassen sich am schnellsten CUC verdienen. Aber ganz gleich, in welche Richtung sich das System entwickelt - sobald die Kubaner anfangen zu tanzen, zu musizieren, ist das System nur noch Nebensache.
Das Nachtleben tobt vor allem im Viertel Vedado und in der Altstadt, gleich hinter der Uferpromenade Malecón. Dort liegt die Casa de la Música, in der jeden Abend eine andere Band spielt und den riesigen Tanzsaal einheizt. Hier, in einem ehemaligen Kino im Centro, treten berühmte Bands wie Los Van Van oder La Charanga Habanera auf. Heute hat sich Adalberto y su Son angekündigt, einer der Großen des Salsas.
Die Stimme der kubanischen Jugend
An der Kasse bildet sich eine lange Schlange, obwohl der Einlass stolze zehn CUC kostet. Um 23 Uhr sollte Adalberto auftreten, weit nach Mitternacht gibt er sich die Ehre. "Völlig normal", sagt die Sängerin Grasso Toledano und lacht. "Und hierher kommen die Leute nicht zum Zuhören oder Zugucken, sondern zum Tanzen." Und zwar alle. Zusammen. Im Rhythmus.
Son, Salsa, Mambo, alles schön. Doch gerade für jüngere Kubaner gibt es etwas viel Besseres. Über Panama und Puerto Rico schwappte Ende der neunziger Jahre der Reguetón nach Kuba rüber. So, wie einst die Salsa verschiedene Tanz- und Musikstile aufgenommen hatte, ist auch der Reguetón eine Mischung verschiedener Genres: Reggae, Dancehall, Hip-Hop, dazu der Salsa Südamerikas geben hier den Ton bei Kubas Jugend an. Die Texte sind frech, schonungslos, aufrührerisch. Es geht meistens um Sex. Die Konzerte von Eddy K oder Gente de Zona sind zwar auch in CUC zu bezahlen, die Hallen füllen sich trotzdem.
So weit sind die jungen Straßenmusiker an der Malecón noch nicht, aber sie arbeiten daran. Ihre Anlage drehen sie voll auf, die Musik wummert über die Promenade. Immer mehr junge Kubaner versammeln sich vor den mannshohen Boxen und tanzen, etwas verdreht, dafür akrobatisch. Nicht so elegant wie zu Salsa und Son. Aber dafür kostet es keinen CUC. Nicht mal einen Peso.
Tipp: Zum Thema Havanna ist von Dayami Grasso und Lutz Jäkel ein neues Buch erschienen (2016). Mehr dazu auf der Website von "The Taste of Havana"
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