Sie gehört zum linksliberalen Flügel der Freien Demokratischen Partei (FDP), hat den „Freiburger Kreis" stark geprägt und war im Deutschen Bundestag zwei Legislaturperioden lang Justizministerin. 1996 trat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus Protest gegen den von ihrer Partei befürworteten „Großen Lauschangriff" zurück. Ihr politisches und gesellschaftliches Engagement gilt vor allem den Menschenrechten, der Europapolitik, dem Datenschutz und einer sozialen Marktwirtschaft. Nun, nach über dreißig Jahren Mitgliedschaft in der FDP, liegt ihre Partei am Boden. Wir haben unsere Justizministerin a.D. in Berlin getroffen und uns mit ihr über die Zukunft der Liberalen unterhalten.
freistuz: „Keine Sau braucht die FDP", lautete kürzlich eine Kampagne der Brandenburger FDP. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, sagen Sie uns, warum wir die FDP heute doch noch brauchen!
L-S: Das sollte natürlich aufrütteln und sehr zynisch wirken. Warum braucht man aber die FDP? Weil wir jetzt zwar rechts von der Union mit der AfD eine neue Gruppierung haben, die aber ausländerfeindlich ist, gegen eine offene Gesellschaft, gegen Abtreibungen, die dann zusätzlich noch den Euro und wahrscheinlich am liebsten auch Europa zerschlagen möchte. Und genau das macht den Platz für die FDP klar: als eine Partei, die sehr wohl sozialmarktwirtschaftlich ist, aber eben für eine offene Gesellschaft und natürlich für ein vernünftig gestaltetes Europa. Das ist eine FDP ganzheitlich in der Mitte der Gesellschaft. Auf keinen Fall hat die FDP Zukunft als „AfD light".
(Überlegt) ...weil mir die CDU einfach in ihrer Grundausrichtung zu konservativ ist. Für mich spielt das Sich-Einsetzen für eine offene Gesellschaft eine Rolle, aber auch generell die Stellung jedes Einzelnen in der Gesellschaft unabhängig von seiner Herkunft, von seiner Religion, auch von seiner sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität. Und das ist doch eine Grundeinstellung, die man so - das ist nämlich gelebte Freiheit - nicht in der Union findet.
Nein, habe ich nicht. Aber ich habe mich viel mit programmatischen Fragen befasst. Nach meinem Rücktritt habe ich den Freiburger Kreis organisiert, also Parteifreunde, die sagen: "Markwirtschaft ja, aber soziale Verantwortung genauso ja und Gerechtigkeit ist für uns auch ein Ziel und nicht ein Kampfbegriff." Aber immer in der FDP. Wenn man sich einmal aus Grundüberzeugung, nicht aus rein opportunistischen Überlegungen, für eine Partei entschieden hat, kann man sich auch in keiner anderen Partei mehr wohlfühlen.
Ich habe einen Erfolg, der sich in zwei konkreten Punkten niederschlägt. Ich habe in der FDP das Thema Bürgerrechte sichtbar gemacht. Einmal als es noch nicht die digitale Herausforderung gab: Mit dem großen Lauschangriff. Das war aber mein Erfolg und auch meine größte Niederlage. Denn da hat sich die Partei damals anders entschieden. Der zweite Punkt: Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Da hat die FDP erreicht, dass wir in Deutschland nicht ein zweites Mal eine europarechtswidrige und wahrscheinlich auch verfassungswidrige anlasslose Vorratsdatenspeicherung eingeführt haben. Das zeigt auch, wie notwendig Liberale sind, denn solche Haltungen haben nie Vertreter von Volksparteien. Die suchen immer irgendein Kompromiss und wenn die Mehrheit der Bevölkerung sagt, bei Terrorismus sind wir für alles zu haben, dann ist das eine schwierige Situation. Und genau das ist die Aufgabe einer liberalen Partei, auch solche Themen zu vertreten, ob nun alle davon überzeugt sind oder nicht. Und das würde ich längerfristig für die Bevölkerung als den größten Erfolg bezeichnen, der nachwirkt.
Es ist ein wichtiger Aspekt. Man kann auf keinen Fall offenkundig europarechtswidrig in Deutschland agieren. Wenn man an die unsäglichen Debatten zur Maut denkt, die ja kein Bürger mehr hören kann... nur weil Herr Seehofer sich selbst verwirklichen will. Dafür habe ich null Verständnis und das ist offenkundig europarechtswidrig. Wir müssen uns in Deutschland in diesem Rechtsrahmen bewegen.
Anwaltskanzlei.
Justizministerin.
Lieber Linke! Pest oder Cholera. (Lacht)
Ähm... ja! Die transatlantische Partnerschaft ist ein wichtiges Gut. Dennoch verstehen in meinen Augen die Amerikaner nur glasklare Kritik. Von der FDP wären da doch deutlichere Worte gekommen. Ich bin enttäuscht, dass jetzt die SPD, die in der Opposition noch so wahnsinnig kritisiert hat, überhaupt nichts mehr macht. Da wäre sicher mehr gekommen als nur ein auf dem Papier stehender vollkommen nutzloser Cyberdialog.
Ich bin gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Aber die Sanktionen kamen viel zu spät. Man hat von Anfang an Putins Interessen überhaupt nicht richtig gesehen, denn das sind ganz klar die, auch von der Ostukraine einen Zugang von Russland zur Krim zu haben. Das sind einfach geopolitische Interessen. Da hat man einiges versäumt.
Sprache macht Politik. Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen geht ja nur über Erklärung, über Sprache. Und zwar über verständliche Sprache, die ankommt. Ich kann juristisch Sachverhalte erklären und dann zu einem Ergebnis kommen, das nur wenige Bürgerinnen und Bürger verstehen und sich abwenden werden. Aber wenn Sie sagen: „Lauschangriff", dann sagen die „lauschen", belauscht werden wollen wir nicht, was ist da los? So. Sprache ist das A und O, die Wortwahl, das Verständliche und auch verbunden mit Erscheinung, mit Auftreten. Das zusammen macht Politik aus.
Also populär formulieren: ja! Populistisch: nein! Populismus, das heißt ja, was überziehen, was instrumentalisieren, auch ein Stück weit Menschen manipulieren - das lehne ich wirklich auch aus tiefer Überzeugung ab.
Ich bewerte einmal den Umgang insgesamt mit der NSA-Debatte für viel zu zurückhaltend und geprägt davon, dass man möglichst schnell wieder zur Tagesordnung übergehen will. Letztendlich muss man sehen, wie Snowden jetzt ein Aufenthaltsrecht bekommen kann, ob das Asyl oder was anderes ist, vielleicht auch irgendwann mal wieder in Amerika. Von daher sollte man jetzt, da das nicht mehr das Topthema ist, ganz pragmatisch daran gehen.
Frau Hildegard Hamm-Brücher hat mich immer sehr beeindruckt, weil sie so eine klare Haltung hat, sich nicht hat beirren lassen. Außerdem Hans-Dietrich Genscher, denn auch wenn man ihn immer mal wieder in Punkten kritisiert hat: Ein Politiker mit so einer Linie, als Außenminister aus dem Kalten Krieg kommend, in Richtung Entspannungspolitik gehend und dann in die deutsche Einheit und in eine gestärkte Europäische Union mit dem Euro zu münden - das ist in meinen Augen wirklich grandios.
Dann fluche ich zuerst etwas, weil ich sage, das ist eine Unverschämtheit, es gibt einfach längere Namen! Und fange dann an, auszufüllen, lasse den Bindestrich weg, und gucke, ob ich noch viel von „Schnarrenberger" irgendwie reinbekomme. Ich schreibe meinen Namen dann immer nach den Kästchen noch weiter, wohl wissend, dass das nicht Eingang in das Computerprogramm finden wird.
Das ist unterschiedlich. Also manches geht mit „Schna" noch, bei den Flugtickets von Air Berlin geht's bis „Schnarrenb" und bei manchen passt sogar nur „Leutheusser" rein. Also letztendlich bin ich dann im Computer eigentlich immer mit Leutheusser erfasst.
Das Interview führten Gregor Bauer und Louisa Theresa Braun.