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Erinnerungskultur - Ein Volltreffer für das Gedenken

Was bleibt? Bild: Sean Gallup/Getty Images

Es war fast zu perfekt: AfD-Politiker Björn Höcke sprach letzte Woche in Dresden über deutsche Erinnerungspolitik und hetzte gegen das Holocaust-Gedenken. Die Aufregung war groß, zu Recht. Revisionismus darf keine salonfähige Position sein. Am Tag darauf ging das Projekt „Yolocaust" online und zeigte, wie Erinnerungskultur im öffentlichen Raum aussieht: Selfies vom Holocaust-Mahnmal in Berlin - unterlegt waren diese jedoch mit Fotos der Shoah. Das Timing war Zufall, der Coup perfekt: 2,5 Millionen Menschen sahen sich das Projekt des in Berlin lebenden Israeli Shahak Shapira an. Zwischenzeitlich war der Server unter der Anzahl der Aufrufe eingeknickt. Der Satiriker und Autor schrieb zwar, dass es jedem selbst überlassen sei, wie er sich am Mahnmal verhalte und dass die Toten ohnehin tot seien, dennoch wolle er die Menschen zum Nachdenken über ihr Verhalten anregen.

Die Bilder hatte er in verschiedenen sozialen Netzwerken gefunden und die originalen Bild-Beschreibungen dazugestellt. Da stand dann „Jumping on dead jews" oder schlicht „#alemaniabonita" (hübsches Deutschland). Als Ortsangabe war stets das Mahnmal angegeben. Schwer vorzustellen also, dass die Menschen nicht wussten, was sie taten. Das Medienecho war enorm. Medien weltweit berichteten über den „deutschesten aller Juden" (so der Untertitel seines 2015 erschienen Buches) und sein Projekt. Shapira wurde viel gelobt, Leute aus aller Welt schrieben ihm: Holocaustforscher, Nachfahren von Opfern aber auch Lehrer, die sein Projekt im Unterricht verwenden wollten. Es gab allerdings auch Kritik: Die jüdische Autorin und Journalistin Mirna Funk schrieb auf Zeit Online: „Ja, wir haben ein Problem mit der Erinnerungskultur, aber darauf hinzuweisen, ist in etwa so wie zu sagen, übrigens die Erde ist rund und keine Scheibe." Ihrer Meinung nach erreicht Shapira mit dem erhobenen Zeigefinger nicht jene, die „die Schnauze voll vom Scheiß-Holocaust haben." Sie wirft ihm gar vor, mit den Fotos von Leichenbergen nur eine Schock-Wirkung erzielen zu wollen und so KZ-Häftlinge und tote Juden zu „instrumentalisieren". Tatsächlich ist seit dem Start der Aktion Shapiras Buch „Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen: Wie ich der deutscheste aller Juden wurde" in die Bestseller-Liste aufgestiegen. Auf Twitter kommentierte er: „Ab jetzt fange ich jeden Satz mit 'Also ich als Bestseller-Autor...' an".

Was bleibt von der Aktion?

Jetzt ist das Projekt beendet. Auf der Seite stehen keine Bilder mehr, sondern ein Statement des Künstlers. Dort schreibt er, dass das Projekt inzwischen alle 12 bloßgestellten Personen erreicht habe und ihn die meisten gebeten hätten, ihre Bilder zu entfernen. Auch „sehr böse Menschen" hätten ihm geschrieben und Denkmal-Selfies ihrer Freunde und Verwandten geschickt. Einige der Reaktionen stellte er kommentarlos untenan. Diese reichen von Danksagungen und Schuldbekenntnissen bis zu antisemitischen Beleidigungen und simplem Spam: „I absolutely love your project! I think what you have done is amazing and so so overdue" schreibt da einer. „If we can't acknowledge and respect the past, we have very little hope for the future" ein anderer. Bei manchen brach sich das hasserfüllte antisemitische Ressentiment Bahn: „Too bad you weren't in a German prison camp during WWII. I hope you are some day." Doch die meisten Reaktionen sind positiv. Auf Facebook schrieb Shapira, dass das Projekt Dimensionen erreicht habe, die über seine Vorstellungen hinausgingen.

Was bleibt? Ein Buzz, gewiss. Eine Debatte über Erinnerungspolitik, die bitter nötig ist, zumal vor dem Hintergrund der Äußerungen Höckes (Shapiras „Lieblings-Neonazi"). Und ein riesiger Bekanntheitsschub für den jungen Israeli, der mit 14 aus Israel nach Laucha in Sachsen-Anhalt zog, wo die NPD 2009 fast 14 Prozent holte und wo der Fußballtrainer ein stadtbekannter Nazi war. Für den Israeli, der bekannt wurde, weil er sich in der Neujahrsnacht 2015 gegen Antisemitismus wehrte und dafür angegriffen wurde. Dessen einer Großvater den Holocaust überlebte, während der andere 1972 in München palästinensischen Terroristen zum Opfer fiel. Am Donnerstag meldete sich Shapira auf Facebook mit einem Live-Video zu Wort. Er beantwortete Fragen seiner Follower - und dies möglichst lustig. Das klang zwar manchmal etwas gezwungen, aber ganz nebenbei erzählte er noch, dass er nun die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt habe, obwohl er die israelische dafür abgeben müsse. Der Grund? Man komme mit dem deutschen Pass „überall rein" und: „Ich muss dieses Jahr unbedingt wählen." Auf die Frage, warum er nicht schon längst in der Satire-Partei DIE PARTEI sei, antwortete er: „Ich bin beleidigt, weil mir noch nicht der Posten des Finanzministers angeboten wurde". Unabhängig davon, wie man zu Shapiras Humor und seiner Aktion steht: Die Debatte um den Umgang mit der Shoah am Leben zu erhalten, ist ein großes Verdienst. Denn die Vergangenheit vergeht nicht, das Grauen bleibt.

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