der Journaktivist
Das Gespenst der „Lügenpresse“ ist so diffus und populistisch, weil es genauso pauschalisierend widerlegbar wie politisch durchschaubar ist. In den Propagandakriegen zwischen Linken und Rechten um die Deutungs- und Diskussionshoheiten der Meinungen ist die Lüge hingegen tägliches Kanonenfutter.
Auf den social-media-Feldern von facebook, twitter und anderen werden behauptete Beobachtungen, unbestätigte Gerüchte und gewagte Thesen zu unzweifelhaften Erkenntnisse und wirklichen Erlebnissen, die zu glasklaren Schlussfolgerungen führen, in manchen Fällen ach zu existenziellen Konsequenzen. Doch fangen wir bei den behaupteten Beobachtungen an.
In Hamburg demonstrieren derzeit Menschen gegen die Regierung. Insbesondere gegen die Regierungschefin, nämlich unter dem Hashtag #Merkelmussweg organisieren und kommunizieren darüber Teilnehmer und Organisatoren. Darunter ist auch an sich überhaupt nichts einzuwenden; schliesslich gehört Protest zu einer funktionierenden Demokratie. Gegen die Hartz-Reformen der Agenda2010 unter der Regierung Gerhard Schröder wurde schliesslich auch demonstriert. Und gute Gründe, um zu demonstrieren, gibt es viele.
Das findet auch der Hamburger Verfassungsschutz. Und warnt Teilnehmer öffentlich davor, nicht allzu blauäugig den falschen Anführern zu folgen. Den zu den Organisatoren der Hamburger Bewegung gehören auch bekannte Persönlichkeiten aus dem rechtsradikalen bis neonazistischen Rand, außerdem Kontakte mit dem, so wörtlich, „Zuhälter- und Türstehermilieu“.
In der rechtspopulisten Szene sozialer Medien und unabhängiger Blogs schien man sofort zu wissen, von wem da die Rede war. Stasi- und Vergleiche mit der Gestapo des Dritten Reichs schossen ins sprichwörtliche Kraut und
https://twitter.com/chrisselbst/status/968418353600716800
Auf diesem unspektakulären und merkwürdig geschnittenen Filmdokument plaudert ein offensichtlicher Teilnehmer, den die Interviewerin völlig zufällig aus der Menge der Kundgebung heraus angesprochen hat, über seine Anreise und Freude, dabei zu sein.
Dann eine plötzliche dramaturgische Unterbrechung, mit der aufgeregten Meldung, dass dieser Mann nach dem Gespräch von einem Beamten der Staatsschutzes aus der Menge gezogen sei und sich ausweisen musste.. - Schnitt: Interviewer scheint wieder befreit, steht wieder bereit: Ja, da war ein Mann vom Staatsschutz… Ausweis… SPD-Mitglied? - Nein - SPD aber gewählt - ob er denn nicht wisse? Von wem er denn da gerade interviewt wurde - Oliver Flesch?! - WAS?! - UM GOTTES WILLEN, ein RIESENknüller.
Soweit, so gut. Eigentlich nicht schlecht gemacht.
Wackelnde Kameras, aufgeregtes Licht, Menschen im Stress.
Vielleicht bessere Darsteller, vielleicht auch unterlegt mit sparsamer Spannungsmusik.
Nicht schlecht. Als Agenten-Mockumentation.
Als journalistischer Beweis für den politischen Wandel bei der Polizei oder gar einer repressiven Verfolgung freiheitlicher Widerstandskämpfern durch Gestapo-ähnlichen Schärgen eines Gewaltregimes ist dieser Clip hingegen völlig wertlos. Gänzlich schlecht und plötzlich nur noch peinlich. Diese Inszenierung des Ex-Journalisten und jetzigen „Aktivisten“ Oliver Flesch. Der startet sogleich auf seinem twitterkanal die zweite Stufe des Propagandangriffs: Von der „behaupteten Beobachtung“ zu einem „wirklichen Erlebnis“:
https://twitter.com/FleschOliver/status/968387035613532162
Zeit, nachzufragen. Als ausgewiesener Journalist, sowohl twitter-Profil als auch wikipedia-Eintrag weisen Oliver Flesch als ehemaligen BILD- und Hamburger Morgenpost-Mitarbeiter sowie Buchautor aus, der allerdings bereits vor geraumer Zeit in das rechtspopulistische Lager wechselte. Heißt deshalb aber nicht, dass der Kollege über keine Berufsehre und Prüfungspflicht verfügt und des Recherchieren unkundig sei.
Wobei - merkwürdig war das schon: Die Pressestelle des Hamburger Landeskriminalamtes gab zu dieser Schilderung eine kurze und knappe Äußerung ab: Unsinn - der Staatsschutz macht so etwas nicht. Und sollten da Figuren herumlaufen, die sich als Beamte des Staatsschutz oder der Polizei ausgeben, würde dies ein Ermittlungsverfahren nach sich ziehen. Warum auch? Warum sollte eine Ermittlungsbehörde einzelne Teilnehmer einer Veranstaltung über den Hintergrund eines weiteren Teilnehmers informieren? Hanebüchener Unsinn, der eigentlich nur innerhalb einer verschwörerischen, konspirativen Rahmenhandlung irgendeinen unterhaltsamen Sinn macht.
https://twitter.com/FleschOliver/status/969191080397869056
Nein - offenbar hatte er auch keinen Schimmer von journalistischen Sorgfaltspflichten:
https://twitter.com/FleschOliver/status/969208560830898176
… und da kann man ja dann behaupten, was man will.
Und alte Männer plappern nach
Für Matthias Mattusek ist das obige Video Grund genug und Beweis, dass es mit diesem Land abwärts geht.
Das ausgerechnet der Verfassungsschutz vor jenen Verfassungsfeinden warnt, die sich in Deutschland ständig auf jeglichen Anschein gesellschaftlicher Veränderung stürzen, in ihrer Sehnsucht nach irgendeiner sozialistischen Diktatur. Unfassbar - aber dass ausgerechnet die linken und rechten Totalitären Freiheit und Individualität bedrohen, hat Mattusek schon als junger Linker nicht verstanden. Und dass wird er auch jetzt, als alter Rechter, nicht kapieren.
Kleiner Schlagabtausch im Zeichen der Meinungsfreiheit und journalistischen Sorgfalt gefällig? Bitteschön:
In diesem Interview ging es aber auch nicht um Staats- oder Verfassungsschützer, die sich unter Demonstrationen mischen und vor falschen Führern warnen - es war auch keine Rede von Oliver Flesch, seinen Interviewpartnern und Staatsschützern, die Aktivisten überprüfen und anschließend für Protestbloger Werbung machen. Es ging um legitimen Protest und um die Extremisten, die sich an den Rändern reiben:
https://www.youtube.com/watch?v=bKTdueeoJLw
Und um fragwürdige Gestalten, die sich unter die Organisatoren mischen.
Der Verfassungsschutz macht also das, was vom Verfassungsschutz erwartet wird: Vor Extremismus zu warnen und Erkenntnisse über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln. Natürlich ist ganz sicher davon auszugehen, dass Beamte der polizeilichen Staatsschutzabteilungen und der Verfassungsschutzämter auch sehr aufmerksam die Entwicklungen politischer Demonstrationen beobachtet. Und sich natürlich auch konspirativ unter die Teilnehmer mischen.
Im Gegensatz zu den Geheimdiensten repressiver Staaten und in Diktaturen wie dem Dritten Reich und dem SED-Staat arbeiten deutschen Inlandsnachrichtendienste als ausschliessliche Nachrichtenbeschaffer, Auswerter und Analysten.
Dabei es ging immer noch um den eigentlichen Kern der vermeintlichen Tatsache, nämlich "Dass bei der letzten Montagsdemo (...) tatsächlich der Staatsschutz aufgetaucht ist (...)" (Mattusek). "Tatsächlich" wurde aber innerhalb eines fragwürdigen Kontext die Behauptung aufgestellt, vom Staatsschutz heraus- oder herangezogen worden zu sein, sich ausweisen zu müssen und befragt worden zu sein. Innerhalb oder am Rande einer gut besuchten Kundgebung oder Demonstration kann so eine Art Überprüfung und Ansprache jedoch nicht im Unsichtbaren ablaufen, doch konnten bisher keinerlei Zeugen benannt oder erwähnt werden, die eine derartige Szene beobachteten.
Und ohne auch auf die wesentlich näherliegende Vermutung einzugehen, dass es sich nämlich bei dem besagten Video tatsächlich um das verunglückte Werbevideo für die Eigenproduktionen des Journaktivisten Oliver Flesch handelt, bezweifelte ich grundsätzlich, dass Staatsschützer im Rahmen ihres operativen Dienstes der Aufgabe nachgehen, sich unter die Teilnehmer einer politischen Veranstaltung zu mischen um deren Teilnehmer über die bedenklichen Werdegänge der Veranstalter zu informieren.
Mattusek ist einem Gerücht anheimgefallen, was passieren kann. Doch dannn wurde dieses Gerücht umgehend zu einer Tatsache aufgebauscht wurde, und zwar auch durch Matthias Matussek als nicht unerheblicher Multiplikator. Und als gestandener Journalist.
Schliesslich muss befürchtet werden, dass sich Matussek selbst vielleicht in zweifelhafter Gesellschaft begeben hat. Vor Leuten, vor denen der Verfassungsschutz eher warnt. Ein deutscher Teufelskreis...
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