Jean Pierre Hintze

freier Journalist, Autor und Sprecher, Lübeck

23 Abos und 2 Abonnenten

diverse Dachschäden

Gute Neuigkeiten aus Lübeck: Während die „kommissarische“ Bundesregierung durch Handlungsunfähigkeit glänzt, wird in der Provinz neben viel Satire immer noch echte Weltpolitik getrieben. Oder wenigstens so getan.Hauptsache, es ist kurzweilig und politisch korrekt - und wer etwas dagegen hat, ist ein Defätist.

In Lübeck gibt es eine Bürgerschaft. Seit hanseatischen Zeiten gab es zwar Senatoren und Ratsherren, aber immerhin wird seit Jahrzehnten der Schein durch dieses ehrenamtliche Gremium gewahrt. Zwar wurde das Freizeitparlament von den unmittelbaren Bürgern in Lübeck nie geliebt, aber immerhin konnte der historische Bürgerschaftssaal im Lübecker Rathaus weitergenutzt werden. Dennoch wurde in diesen jüngsten Zeiten zunehmender Probleme und Ratlosigkeit der Ruf größer, wichtige Aufgaben und Entscheidungen zum Kieler Landtag um zu delegieren.

Zeit für die Lübecker Kommunalpolitiker, endlich etwas zu unternehmen

Lothar Möller, seines Zeichens "Spitzenkandidat" der nihilistischen Wählergemeinschaft "Bürger für Lübeck (BfL)", weiß, was in Lübeck politisch und gesellschaftlich sowohl gut als auch wichtig ist. Möller schlägt vor, die historische Breite Strasse, die als Fußgängerzone vom Markt am Rathaus vorbei bis zum Stadttheater an der Beckergrube führt, endlich zu überdachen:
"Wetterunabhängiges, schirmlos entspanntes Shoppen; den Cappuccino, das Eis, die Pizza und anderes draußen genießen; die Außenauslagen der Geschäfte; die gern und gut besuchten Straßencafés in der Hüxstraße, Breite Straße - alles einzelne Punkte, die wetterabhängig mehr oder eher weniger Spaß machen",

erklärt der Politiker seine Idee. Mit einer Überdachung entstünde die größte überdachte Fußgängerzone Europas. So Lothar Möller, über dessen Wechsel zur DIE PARTEI bisher nichts bekannt ist.
„Lass mich doch mit den Arschlöchern in Ruhe!“ - K.KinskiBei der Lübecker FDP geht es hingegen um wesentliches, nämlich Eitelkeiten und persönliche Befindlichkeiten. In einer Pressemitteilung erklärte der bisherige stellvertretende Kreisvorsitzende Timon Kolterjahn seinen Abschied von allen Ämtern in Partei und Fraktion. Was war geschehen? Etwas Ungeheuerliches: Er unterlag einem Parteifreund in einer Kampfabstimmung um den Listenplatz 2 für die kommende Kommunalwahl. Ein demokratischer Vorgang in einer demokratischen Partei, der offensichtlich für viel Schmerzen und Frust sorgte. Es soll nie wieder noch einmal einer behaupten, es würde in der Politik um nichts anderes als um das Allgemeinwohl gehen…
Den Sozialismus in seinem Lauf...Den heutigen Vogel schoss allerdings der Lübecker Kreisvorsitzende der SPD, Thomas Rother ab. Der rief alle SPD-Gliederungen sowie „friedliebende Menschen“ auf, einen Aufruf der sozialistischen Jugend Deutschlands, den Falken, zu unterstützen. Besagter Aufruf forderte von der türkischen Regierung, Krieg und Terror gegen die Kurden sofort zu beenden! Sozialistischer Zynismus in Vollendung - schliesslich weiß eigentlich jeder, dass die SPD nicht nur für Waffenlieferungen an die Türkei, sondern auch an kurdische Kämpfer mit verantwortlich ist.
"Der Vernichtungskampf der türkischen Armee gegen das kurdische Volk in Syrien geht auch Deutschland etwas an, weil der Krieg mit deutschen Waffen geführt wird und zudem viele türkische und kurdische Menschen in unserem Land leben.“

Ja - aber diese deutschen Waffen (die übrigens der Bundeswehr fehlen) heizen diese Konflikte eben in beiden Richtungen an. Besonders perfide: Durch die erfolgreichen Bemühungen um Freilassung des deutschen Patrioten Deniz Yücel auf dem politischen Basar Istanbuls durch Außenminister Gabriel (SPD!), rollen wohl bald als Gegenleistung deutsch-türkische Panzer über türkisch-kurdische Freiheitskämpfer. Und wer ist nach sozialdemokratischer Art verantwortlich für solche blutigen Geschäfte? Die "Deutschen", wer sonst. Ausgenommen natürlich das "gute Deutschland". Womit die Sozialdemokraten gemeint sind und alle, die sich links davon verorten. Für Profis beginnt Geschichtsfälschung, bevor die Geschichte geschrieben wurde.

Übrigens: Yücel selbst sass nicht aufgrund seiner rassistischen „Satiren“ ein Jahr im türkischen Knast, sondern aufgrund der berufsübergreifenden Kumpanei mit eben jenen Freiheitskämpfern. Ob Gabriel und Yücel nun Freunde sind? Man weiß es nicht…
Crisis?! - What Crisis...Die Lübecker Genossen können sich jedenfalls jetzt wieder stolz im Spiegel betrachten - schliesslich lieben sie den Frieden - im Gegensatz zu den „Kriegstreibern“, die diesen Aufruf nicht unterstützen. Eben echte Weltpolitik nach hanseatischem Geschmack.

Read the full article