Der Freistaat Sachsen hat in den letzten Jahren viel Kritik einstecken müssen. Der Vorwurf: Im bundesweiten Vergleich führe die politische Bildung in sächsischen Schulen ein Schattendasein. Laut einer neuen Studie der Universität Bielefeld, über die wir vergangene Woche berichteten, befindet sich Sachsen zwar im bundesweiten Vergleich nicht am unteren Ende der Skala, aber doch im unteren Mittelfeld. Dem will die sächsische Landesregierung nun etwas entgegensetzen und hat ein neues Handlungskonzept für die politische Bildung entworfen. Iris Milde stellt es vor.
Autorin
Zu wenig politische Bildung in der Schule – so lautete die häufig geäußerte Kritik am sächsischen Bildungssystem. Eine vor kurzem veröffentlichte Studie der Universität Bielefeld zeigte ebenfalls, dass Sachsen im Ländervergleich weit hinten liegt. Nun hat das Kultusministerium auf die Vorwürfe reagiert. Ab dem Schuljahr 2019/20 soll an allen weiterführenden Schulen das Fach Gemeinschaftskunde bereits in der 7. Klasse eingeführt werden. Das war eine wesentliche Forderung im neuen Handlungskonzept, das eine Expertenkommission im Auftrag des Ministeriums erarbeitet hat. Leitgedanke des Konzepts sei aber nicht die reine Wissensvermittlung, sagt Kultusminister Christian Piwarz.
Piwarz
Ich glaube, der Leitgedanke ist, Menschen, junge Menschen dazu zu befähigen, aktive Teile in unserer Gesellschaft zu sein. Ihnen Vorteile aber auch Nachteile demokratischen Handels näher zu bringen, dass Demokratie eine Staatsform ist, die Zeit braucht, die Menschen einbinden muss, wo man viel miteinander reden muss, wo man Kompromisse und Lösungen gemeinsam nur finden kann.
Autorin
Deshalb sollen im Lehrplan mehr Freiräume für Diskussionen entstehen. Schüler sollen sich in Schulentscheidungen einbringen, die Schülerräte sollen mehr Gewicht bekommen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Kooperation mit außerschulischen Partnern. Das heißt: Schulkassen werden vermehrt an bestehenden Demokratieprojekten teilnehmen, beispielsweise von der Landeszentrale für politische Bildung. Lehrer können Zeitzeugen oder Politiker in die Schule einladen. Und Klassenausflüge in den Landtag oder in Gedenkstätten werden integraler Bestandteil des Unterrichts.
Piwarz
Wir haben lange auch über das Thema einer Klassenleiterstunde diskutiert. Bildungspolitisch gesehen ist das sehr, sehr wünschenswert, so eine Klassenleiterstunde zu haben, aber man muss an der Stelle auch ehrlich sein, wir sind momentan in Zeiten von Lehrerknappheit und wenn ich die Klassenleiterstunde noch zusätzlich ausbringe, würde das allein 700 Lehrer mehr bedeuten, die ich momentan schlicht und ergreifend auf dem Arbeitsmarkt nicht habe.
Autorin
Derzeit wird intensiv darüber verhandelt, Lehrer wieder zu verbeamten. Das soll den sächsischen Schuldienst für Hochschulabgänger attraktiver machen.
Unterm Strich, so der Kulturminister, werden alle 31 Maßnahmen aus dem neuen Handlungskonzept umgesetzt - allerdings Stück für Stück. Dazu gehören dann auch: mehr Fortbildungen für Lehrer aller Fächer.
Atmo
Winterakademie, Lehrer diskutieren
Autorin
Einen ersten Vorgeschmack darauf haben sächsische Lehrer schon bekommen, in der „Winterakademie zur politischen Bildung“. Teilnehmerin Kerstin Erler, Gemeinschaftskunde-Lehrerin an einer Förderschule in Dippoldiswalde bei Dresden, ist erleichtert, dass das Thema politische Bildung endlich grundsätzlich angepackt wird.
Erler
Ich finde, das muss irgendwann mal bisschen forciert werden, weil wir sonst unsere nächsten Generationen verlieren.
Rößler
Ich denke, es ist ein guter Ansatz.
Autorin
Sagt Birgit Rößler aus Dresden über das neue Handlungskonzept. Sie ist Fachberaterin für das Fach Gemeinschaftskunde.
Rößler
Einige Dinge darin sind Dinge, die eigentlich schon da sind, die also da nur nochmal reingeschrieben sind, von denen ich glaube, dass es eben wichtig ist, die auch tatsächlich umzusetzen. Oder auch Schulen die Möglichkeit zu geben, dass sie sie umsetzen können.
Autorin
Birgit Rößler begrüßt vor allem, dass der Gemeinschaftskunde-Unterricht bereits ab der 7. Klasse beginnen und dass politische Bildung fächerübergreifend in den Unterricht einfließen soll. Sie warnt aber vor verfrühter Euphorie.
Rößler
Ehrlich gesagt habe ich schon ein bisschen Bauchschmerzen, was die Umsetzung angeht, weil politisch natürlich die Weichen gestellt werden müssen. Und die Weichen müssen so gestellt werden, dass auch wirklich eine nachhaltige politische Bildung erfolgen kann. Ich hoffe nicht, dass wir über einen Schnellschuss sprechen, der dann möglicherweise bei der nächsten Landtagswahl wieder verpufft.
Autorin
2019 wird in Sachsen wieder gewählt. Alle Augen werden dann auf die AFD gerichtet sein, die aus den Bundestagswahlen im vergangenen Herbst in Sachsen als stärkste Kraft hervorging und der politischen Bildung in ihrer jetzigen Form kritisch gegenüber steht.
Deutschlandfunk, Campus & Karriere, 9.2.2018
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