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25 Jahre Deutsche Einheit: Einheitskind vermisst Quarkkeulchen

In der Nacht zum 3. Oktober 1990 war der Medienrummel auf der Görlitzer Entbindungsstation groß. Das erste Baby im vereinten Deutschland wollte niemand verpassen. Christin Blobel erblickte um 0.05 Uhr das Licht der Welt - und ist damit eines der ersten Einheitskinder. Vor allem an Jahrestagen der Wiedervereinigung fällt ihr immer wieder auf, wie besonders ihr Geburtstag ist. Dann wird sie gern zu ihrem Leben als Einheitskind gefragt.

„Am meisten nervt die Frage, ob ich lieber in der DDR gelebt hätte", sagt die junge Frau.

Aufgewachsen im vereinten Deutschland, spielte das Thema Ost-West in Blobels Leben eine herausgehobene Rolle. „In der Schule fand ich es eher doof, an einem Feiertag Geburtstag zu haben", sagt die Wahl-Leipzigerin: Das Geburtstagsständchen der Klasse fiel jedes Mal aus.

Geschichte habe zwar damals nicht zu ihren Lieblingsfächern gehört, die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands interessierten sie dann aber doch, sagt Blobel. „Ich glaube, ich habe mich schon immer mehr mit der Geschichte der DDR befasst als andere Kinder." Ihre Fragen beantworteten ihr damals vor allem die Großeltern und Eltern.

Bis 2009 lebte die junge Frau in Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands. Danach ging sie für ihre Ausbildung zur Mediengestalterin den Schritt in den Westen. Sie zog nach Hösseringen, ein 600-Seelen-Dorf mitten in der Lüneburger Heide in Niedersachsen. Bis auf ein paar Ossi-Witze habe sie zunächst keinen Unterschied zwischen West und Ost gespürt, sagt Blobel.

„Doch dann habe ich in Niedersachsen nach Quarkkeulchen gefragt, aber die gab es im Westen einfach nicht." Die Süßspeise ist eine regionale Spezialität. Heimweh habe sie vor allem in dieser Zeit wegen ihres Freundes gehabt, der auch damals schon in Leipzig lebte. „Die Entfernung zwischen Ost und West war schwierig."

Die Familie Blobel betrieb zu DDR-Zeiten eine Tischlerei, 2009 schloss der Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen. Sie habe bereits im Werkunterricht gemerkt, dass der elterliche Betrieb nichts für sie sei, sagt Blobel. Die Arbeit als Mediengestalterin - das sei ihr Traumberuf. „In der DDR hätten sie wohl Buchsetzer dazu gesagt."

Heute lebt und arbeitet die junge Frau in Leipzig. Sie fand in der Buchstadt eine Stelle bei einem Verlag. Mit ihrem Freund teilt sie sich eine Neubauwohnung - und ist froh, wieder in einer Stadt zu wohnen. „Die Ablenkungsmöglichkeiten sind einfach viel größer." Das habe für sie aber nichts mit Ost oder West zu tun, sagt die fast 25-Jährige. „In Hamburg ist es auch schön."

Ein Kind der Einheit wird die gebürtige Sächsin immer bleiben. Das Deutschland, das sie kenne, habe ihr alle Freiheiten von der Berufswahl bis hin zur Wahl des Wohnsitzes geboten, sagt sie. Über die DDR werde in ihrer Familie manchmal noch gesprochen. „Meine Tante war in der DDR politisch aktiv, das ist dann schon immer mal ein Thema." Am Deutschland ihrer Eltern, das sie gar nicht mehr kennenlernte, vermag Blobel auch etwas Positives zu erkennen. „Der Trend zu mehr Kinderkrippen beispielsweise, der kommt definitiv aus dem Osten."

Eigene Kinder hat Blobel noch nicht. Wenn es so weit ist, möchte sie denen aber ganz genau erklären, warum ihr Geburtstag etwas Besonderes ist. „Für Tiefergreifendes müssen dann allerdings Oma und Opa herhalten", sagt die junge Frau. Denn was sie ihrem zukünftigen Nachwuchs auch klarmachen möchte, ist die Gewissheit, dass sie zwar im Osten geboren wurde - nicht aber in der DDR. Birgit Raddatz (dpa)

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