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Warum gesundes Essen nur scheinbar teuer ist

Gesundes Essen: eine Kiste mit frischem Gemüse

Der Preis für unsere Ernährung ist hoch. Wie hoch, konnte allerdings bislang niemand berechnen. Bis Christian Hiß die Kosten der Bewirtschaftung seines Demeter-Hofes bis ins kleinste Detail aufzeichnete. Heute interessieren sich Konzerne wie SAP dafür.

Billig ist teuer. Das gilt vor allem für Lebensmittel. Die Preise an der Supermarktkasse verschweigen einen Großteil der Kosten für unsere Ernährung. Die zahlen wir alle: mit Steuern, Wasser- und Müllgebühren und vielen anderen Rechnungen. Allein die Folgen des Klimawandels kosten jetzt schon Milliarden.

Das will Christian Hiß ändern. Der 58-Jährige ist auf einem Bauernhof in Südbaden aufgewachsen. Schon in den 50er-Jahren haben seine Eltern den Betrieb auf biologisch-dynamische Landwirtschaft umgestellt. Hiß wurde Gärtner und begann, auf dem Nachbargrundstück Gemüse anzubauen. 1995 hat er dort wie die meisten Agrarbetriebe die doppelte Buchhaltung nach dem Handelsgesetzbuch eingeführt und schnell erkannt: „Da stimmt etwas nicht."

Als Bio-Landwirt investierte er viel Zeit und Geld in den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, in Misch- statt Monokulturen, wechselnde Fruchtfolgen und Gründüngung - also die umweltschonende Bewirtschaftung seines Landes. „Diese Kosten kann ich nicht auf die Preise umlegen", sagt Hiß. „Die Schere zwischen Kosten und Ertrag öffnete sich." So seien seine Gewinne immer weniger geworden.

Wer selbst Dünger produziert oder Leguminose als Zwischenfrüchte anbaut, um dem Boden Stickstoff zuzuführen, zahlt drauf. „Ein Kilogramm Kunstdünger kostet drei Euro, ein Kilo Hornspäne 14 und ein Kilo selbst produzierter Naturdünger 40 Euro", rechnet Hiß vor.

Kunstdünger werde in großen Mengen unter anderem in Russland und der Ukraine hergestellt. Die Mitarbeiter der dortigen Fabriken könnten von den niedrigen Löhnen kaum oder gar nicht leben. Der horrende Energieverbrauch für die Produktion belastet nicht nur die weltweite Klimabilanz.

Gärtner Hiß, der Social Banking und Finance studiert hat, will all diese Kosten in die Preise für Lebensmittel einrechnen. Neu ist die Idee nicht. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts suchen Wirtschaftswissenschaftler nach Methoden, diese sogenannten externen Kosten in die Bilanzen der Betriebe aufzunehmen, also zu internalisieren. Doch wie viel ist eine gesunde Umwelt wert? Was kostet fruchtbarer Boden, der Wasser aufnehmen und speichern kann und weniger erodiert als die ausgelaugten Flächen der großen Agrarunternehmen?

Externe Kosten in Bilanz aufgenommen

Um eine genauere Vorstellung zu bekommen, setzt Hiß beim Aufwand an. Er berechnet den Mehraufwand für Bodenpflege und andere nachhaltigere Wirtschaftsweisen der Landwirte. Wer weniger schwere Landmaschinen einsetzt, sorgt dafür, dass der Boden luftdurchlässig bleibt und weniger Kleinstlebewesen sterben. Die wiederum lockern das Erdreich auf und erhöhen seinen Nährstoffgehalt. Bauern, die Hecken pflanzen und Wildkräuter blühen lassen, erhalten Lebensräume für Insekten, die Nutzpflanzen bestäuben. All das macht Arbeit und kostet deshalb Geld.

Christian Hiß, Regionalwert AG Freiburg - Foto: Regionalwert AG / Christian Hiß

In Freiburg hat Hiß mit einigen Verbündeten die Regionalwert Aktiengesellschaft gegründet. Mit dem Geld der Aktionäre kauft diese Bauernhöfe, die sie an Bio-Landwirte verpachtet, beteiligt sich an nachhaltig wirtschaftender Verarbeitung von Lebensmitteln, Handel, Catering und Gastronomie.

„Wir investieren in die ganze Wertschöpfungskette", erklärt Hiß. Inzwischen hat er Nachahmer gefunden. Deutschlandweit haben fünf Regionalwert AGs von etwa 2.500 Aktionären rund acht Millionen Euro Stammkapital eingesammelt. Damit haben sie sich unter anderem an zehn Bio-Bauernhöfen beteiligt. Als Rendite verspricht der von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) genehmigte Wertpapierprospekt „soziale und ökologische Vermögenswerte" sowie den Erhalt von Bodenfruchtbarkeit und eine artgerechte Tierhaltung. Direkt kaufen können sich die Aktionäre davon nichts. Es gibt keine Dividende.

Trotzdem springen immer mehr große Unternehmen auf. Hiß nennt als Beispiele den Versicherungskonzern Allianz und das Chemieunternehmen BASF. „Auch die großen Wirtschaftsprüfer wie Ernst & Young oder PWC unterstützen Hiß bei der buchhalterischen Erfassung von Leistungen, die Bio-Betriebe für das Allgemeinwohl erbringen. Vier Unternehmen wurden bisher genauer untersucht: Für einen Umsatz von rund einer halben Million Euro erbringen sie einen Zusatzaufwand von etwa 100.000 Euro, der bisher in keiner Bilanz erscheint. Auch das Institut der deutschen Wirtschaftsprüfer (IDW) habe anerkannt, dass die betriebliche Gewinn- und Verlustrechnung auch nicht-finanzielle Faktoren berücksichtigen müsse.

Unter anderem mit SAP erarbeiten die Regionalwert AGs Programme zur Erfassung des Mehrwerts, den zum Beispiel Bio-Landwirte durch ihre umweltfreundlichen Anbaumethoden schaffen. Im Projekt Quarta Vista hat die international aufgestellte Softwareschmiede SAP die Konsortialführung übernommen. Dort entwickeln die Fachleute hier Methoden, mit denen sich der Beitrag eines Unternehmens zum Gemeinwohl messen und belegen lässt. Dr. Joachim Schnitter, SAP-Projektleiter von Quarta Vista, nennt die erste Schwierigkeit: „Viele Werte, die ein Unternehmen schafft oder zerstört, lassen sich kaum oder gar nicht in Zahlen ausdrücken." Schon die Frage, wie viele Euro eine Tonne sauberer Luft wert ist, lässt sich kaum beantworten. Selbst mögliche Umwelt- und Klimaschäden lassen sich nur vorausberechnen, wenn man davon ausgeht, dass man diese wieder beheben oder anderweitig ausgleichen kann. Und: Spätere Folgeschäden sind heute oft noch nicht einmal vorhersehbar. Deshalb gehen Schnitter und sein Projekt-Team einen anderen Weg: „Ich frage, welche Risiken wir verringern oder vermeiden, wenn wir uns an dieser oder jener Stelle umwelt- oder sozialverträglicher verhalten." Risikovermeidung senke die Notwendigkeit, Rückstellungen zu bilden und erhöhe so den Wert eines Unternehmens.

„Versteckte Kosten sind enorm"

Mit den CO₂-Zertifikaten und der geplanten Pestizidabgabe gibt es erste Ansätze, die Verursacher an den Folgekosten ihres Wirtschaftens zu beteiligen. SAP geht davon aus, dass uns „die Zukunft zwingen wird, Unternehmen ökologischer als bisher zu führen". Darauf will der Konzern vorbereitet sein. Außerdem entstehe hier ein neuer Markt für Software, die die sozialen und ökologischen Auswirkungen eines Betriebes sichtbar macht. Von der Politik ist Schnitter wie viele enttäuscht. „Es fehlen weiterhin klare Vorgaben." Auch deshalb gingen nun viele Unternehmen voran.

Auf seiner Internetseite natureandmore.com präsentiert Projekt-Partner Soil and More erste Beispielrechnungen - aufgegliedert unter anderem nach Auswirkung auf Bodenqualität, Artenvielfalt, den einzelnen Menschen, Gesellschaft, Klima und Wasser: Berücksichtigt man nur die Auswirkungen auf die Bodenfruchtbarkeit, kostet der Ertrag von einem Hektar Apfelanbau pro Jahr im konventionellen Anbau 1.163 Euro, in Bio-Anbau 254 Euro. Beim CO₂-Ausstoß sind es im konventionellen Anbau 3.084 und in der Bio-Landwirtschaft 2.492 Euro.

„Diese versteckten Kosten sind inzwischen so enorm, dass sie die vermeintlich kleinen Preise unserer Lebensmittel schnell verblassen lassen", schreibt Soil and More. Die Politik könnte das ändern, in dem sie die Verursacher für die Folgeschäden zur Kasse bittet, nur noch nachhaltige Landwirtschaft subventioniert und die Mehrwertsteuer auf Bio-Produkte senkt.

Gärtner und Betriebswirt Hiß sieht sich auf dem richtigen Weg. „Seit mehr als 100 Jahren externalisieren wir die Kosten unseres Wirtschaftens. Die Folgen sehen wir in Waldsterben, Klimawandel und dem Verlust der Bodenfruchtbarkeit." Um das zu ändern fehlen noch Methoden, Folgekosten zu erfassen und in die Bilanzen der Unternehmen einzurechnen. Aber sie kommen. Wenn dann Bauern und Agrarindustrie neu rechnen, werden vermeintlich billige Lebensmittel aus konventioneller Landwirtschaft sehr teuer. „Buchhaltung", ergänzen Jan Köpper und Laura Marvelskemper von der GLS Bank, „bildet immer nur die Vergangenheit ab." Immer mehr Unternehmen wollten jedoch wissen, wie zukunftsfähig ihr Geschäftsmodell ist - und in Zeiten des Klimaschutzes geht es auch ums Image.

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