Der eine putzt die Schuhe, die andere liest ein Buch, die Fernseher laufen, das Hotelpersonal tummelt sich im Stiegenhaus. Doch die Harmonie im „Hotel Strindberg", Simon Stones Fassung von Werken August Strindbergs, täuscht. Die Uraufführung des Stücks fand gestern im Wiener Akademietheater statt - und konnte das Publikum begeistern.
„Freunde? Du hast keine Freunde!" Bei Alfred und Charlotte geht es schon lange nicht mehr romantisch zu. Einen Stock höher sieht es auch nicht rosiger aus: Da entblättern ein verhaltensauffälliger junger Mann und seine Schwester die Mutter - zu keiner Liebe fähig, dafür dem Schwiegersohn umso mehr angetan. In einem anderen Zimmer lebt ein junges Paar Unverbindlichkeit in Form von Polyamorie, wie sie in Zeiten von Dating-Apps salonfähig geworden ist, oder sehnt sich ein Mann nach Muttermilch.
Alice Babidge hat für all diese Szenen ein dreistöckiges Hotel samt Treppenhaus gezaubert, das es dank Plastikfronten erlaubt, überall ein bisschen hineinzuspechteln. Um die Schauspieler zu verstehen, sind alle Schauspieler mit Mikroports verstärkt.
Freud lässt grüßen
Narzisstische, machtbesessene und nach Mutterersatz suchende Männer zeigt Stone in seiner Strindberg-Melange. Der Regisseur hat für seinen „Strindberg nach Simon Stone" Kammerstücke des exzentrischen und zeitlebens wohl auch paranoiden Autors umgeschrieben, zusammengewürfelt und in ein zeitgemäßes, an Fäkalausdrücken nicht mangelndes, Theaterstück verwandelt. Diese verschiedenen Geschichten zusammen auf die Bühne zu bringen ist keine leichte Aufgabe.
Stone gelingt es dennoch, die einzelnen Szenen über Blicke und Gesten zu verbinden, Ton einzuschalten, wo es wichtig wird, Licht anzulassen, wo man zusehen soll. Er lässt den hervorragenden Schauspielern ihre Freiheit und lenkt subtil, wo es nötig wird. Da reicht ein Blick über die Zimmergrenzen hinweg oder ein Stöhnen, um zu verstehen.
Vom hervorragenden Ensemble sind vor allem Martin Wuttke und Caroline Peters hervorzuheben. Als Ehepaar Alfred und Charlotte begeistern sie mit einem ins Skurrile ausufernden Ehestreit der Sonderklasse. Martin Wächter gibt den Frauenschläger beängstigend real, Roland Koch überzeugt unter anderem als Concierge. Eine mehr als gelungene und zu Recht bejubelte Ensembleleistung, Bravorufe und lauter Beifall für Stone und sein Leading Team.
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