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Viel Einigkeit, wenig Fortschritt

Will Europa bis 2050 klimaneutral sein, braucht es einen Boom der Elektromobilität. Zentrale Voraussetzung dafür ist eine Lade-Infrastruktur. Viele Länder vernachlässigen sie jedoch sträflich. Dabei wissen sowohl Politik als auch Industrie und NGOs, was es braucht.

- Webinar des ACEA zur Ladeinfrastruktur in der EU.
- Politik, Industrie und NGOs bei Elektromobilität grundsätzlich einig.
- Die Ziele sind klar, doch es fehlt an Fortschritt.

Es war eine demonstrative Einigkeit, die Industrie, Politik und Umweltorganisationen bewiesen. Als der ACEA, der Dachverband der europäischen Automobilhersteller, zu einer gemeinsamen Online-Diskussionsrunde luden, schienen alle drei Parteien bemüht zu sein, ein Zeichen setzen. Jeder für sich wollte beweisen, dass es nicht an ihnen liegen würde, sollten die Europäische Union und deren Einzelstaaten am Ausbau der Ladeinfrastruktur oder der Verbreitung der E-Mobilität scheitern. Platz für zukünftige Schuldzuweisungen blieb dennoch.


Es war an Ismail Ertug, der für die SPD im Europäischen Parlament sitzt, den Stand der Dinge zu erläutern. Aktuell gäbe es in der EU rund 200.000 öffentlich zugängliche Ladestationen, die allerdings ungleichmäßig verteilt seien. 70 Prozent davon seien in nur drei Ländern installiert - Deutschland, Frankreich und Holland. Kämen in Holland auf eine öffentlich zugängliche Ladestation rund 109 Fahrzeuge mit Elektromotor (Plug-in-Hybrid oder reiner Batterieantrieb), seien es in Deutschland bereits 1.014 Autos. Damit lande die Bundesrepublik auf Platz zwölf. In Spanien (Platz 23) gäbe es pro Ladestelle üppige 3.108 Autos.


Enttäuschender IST-Zustand der Ladeinfrastruktur

Für Ertug sind diese Zahlen enttäuschend. Hoffnung mache ihm, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur mittlerweile keine Richtlinie mehr sei, sondern eine Verordnung. Diese sind verbindlich. Sie verpflichtet die Mitgliedsstaaten, zukünftig eine Lade-Kapazität von einer Kilowattstunde pro elektrifiziertem Fahrzeug im Markt zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet, dass mehr Ladestellen installiert sein müssen, je mehr Fahrzeuge verkauft werden. Das Ziel sei es, im Jahr 2025 auf den zentralen Verkehrsrouten in Europa alle sechzig Kilometer eine Ladestation zu haben. Im Jahr 2030 gelte diese Vorgabe auch für das erweiterte Straßennetz.


Dass die EU bislang mit dem Ausbau der Infrastruktur versagt habe, verdeutlichte auch Petr Dolejsi, Mobility & Sustainable Transport Director bei der ACEA. Er forderte daher, die angestrebte Kapazität auf drei Kilowattstunden pro Auto zu verdreifachen. Die Ladeinfrastruktur müsse sichtbarer (vor Geschäften oder Fitnessstudios) gemacht und Distanzen verkürzt werden, damit Kunden sich mit der Elektromobilität wohlfühlen würden. Die Forderung der Industrie nach einem massiven Ausbau der Ladeinfrastruktur ist natürlich nachvollziehbar. Schließlich soll damit (mit EU-Geldern) ihr eigenes Produkt attraktiver gemacht werden. Etwas, das die Hersteller selbst über Jahre versäumten und jetzt aufholen müssen.


Dennoch: Sowohl Politik als auch Industrie sind sich einig, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur schneller vorangehen muss. Julia Poliscanova, Senior Director Vehicles & E-Mobility bei Transport & Environment (T&E), dem Dachverband einiger europäischer Verkehrs- und Umweltorganisationen, stieß deswegen offene Türen auf mit ihren Forderungen.


Die bereitgestellte Lade-Kapazität müsse sich sowohl an der Anzahl der elektrifizierten Autos im Verkehr als auch an der Distanz zwischen den Ladepunkten orientieren. Würde ein Land seine Infrastruktur erst ausbauen, wenn es genug Elektroautos auf der Straße gäbe, könnte dies zu einem Henne-Ei-Problem führen, das zu einem Stillstand des Ausbaus führen würde.


Budgetprobleme verursachen Stillstand

Zumal schon die bestehende Infrastruktur mehrere Probleme aufweisen würde, so Poliscanova weiter. Zum einen gäbe es ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Es ist kein Zufall, dass mit Frankreich und Deutschland die Länder den Infrastruktur-Ausbau anführen, die eine starke Autoindustrie im Land haben und es sich auch leisten könnten. Allen Mitgliedsländern müsse jedoch klar sein, dass ohne einen Boom der Elektromobilität die CO2-Ziele der EU nicht erreichbar sein werden.


Das größte Handicap auf dem Weg dahin seien die Haushaltsbudgets der Mitgliedsländer, erläutert Ertug. Aktuell würde der Markt ohne Subventionen nicht funktionieren. Genau das sei aber das Ziel. Selbst in diesem Punkt stimmt Dolejsi zu. Die größte der Sorge der Industrie sei die finanzielle Nachhaltigkeit der Elektromobilität.


Ganz andere Fragen müssen beim Thema batteriegetriebene Lastwagen beantwortet werden, so Thomas Fabian, Commercial Vehicles Director bei der ACEA. Zum einen sei es schwerer, die Heavy Duty Vehicles (HDV) auf Batterieantrieb umzustellen, zum anderen bräuchten deren Käufer einen klaren finanziellen Vorteil.


Auch bei der Ladeinfrastruktur müssten spezielle Lösungen gefunden werden, da es leistungsstärkere Varianten bräuchte - Megawatt-Charging nennt Fabian diese Modelle. Allerdings sei es leichter diese zu planen. Es seien bereits exakte Daten vorhanden, die zeigen würden, auf welchen Strecken Lkw unterwegs seien und wann sie wie lange Pause machen würden.


Im Jahr 2021 werden etwa 40.000 batteriebetriebene HDV in Europa unterwegs sein- Wolle die Europäische Union auch hier den Umstieg erleichtern, müssten bis zum Jahr 2025 etwa 100.000 bis 150.000 öffentlich zugängliche Ladestationen verfügbar sein. Plötzl strich heraus, dass staatliche Subventionen eine große Rolle spielen würden. Sei es in Form kostenloser Autobahnvignetten oder der Übernahme von Mehrkosten.


Ertug wies allerdings darauf hin, dass sich im Lkw-Bereich noch keine einheitliche Richtung erkennen lasse, welche Technologie in Zukunft die erste Wahl bei der Reduktion von Co2-Emissionen sein werde. Während Scania und MAN auf E-Trucks setzen, glaube Daimler daran, dass sich in diesem Bereich der Wasserstoffantrieb durchsetzen werde.


Lösungen dringend gesucht

Der Transport-Sektor verursacht ein Viertel der europäischen CO2-Emissionen. Ohne die Elektromobilität ist die Klimaneutralität im Jahr 2050 nicht denkbar. Und für die braucht es eine kundenfreundliche Infrastruktur. Wirtschaft, Politik und NGOs wissen das.


Mit dem Green Deal arbeitet die Europäische Union gerade an einem Strukturwandel, der alle Sektoren betrifft. Vom Verkehr über das Bauwesen bis zur Industrie. Es ist klar, dass die Mobilität, wie sie in den letzten Jahrzehnten betrieben wurde, nicht weitergehen kann. Doch auch die Elektromobilität tut sich stellenweise schwer, die Lücken aufzufüllen.

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