Angefangen hat das Ganze mit einer Nachbarschaftsinitiative: Als 2010 die alte Kreuzberger Markthalle in der Eisenbahnstraße an eine Supermarktkette verkauft werden sollte, formierte sich im Kiez Widerstand. Florian Niedermeier, Bernd Maier und Nikolaus Driessen legten ein innovatives Konzept vor, dessen Herzstück ein Wochenmarkt mit dem Schwerpunkt regionale Produkte ist. Seit Ende 2011 ist nun jeden Freitag und Samstag Markttag in der Markthalle Neun
Warum glauben Sie, dass es ein Interesse an regionalen Lebensmitteln gibt? Florian Niedermeier: Es gab lange einen Niedergang der Markthallen, mittlerweile läuft 90 Prozent der Lebensmittelproduktion über Discounter. Deshalb gibt es eine Nische von Leuten, die etwas anderes wollen.
Ist das eine Berliner Besonderheit? FN: Das gibt es auch anderswo, aber ich glaube, gerade in Berlin ist diese Bewegung sehr stark, sodass die Aufmerksamkeit wieder da ist für gute, regionale Lebensmittel. Berlin hat die historisch besondere Situation, dass durch die Teilung Deutschlands der Westteil, lange entkoppelt war vom Umland. Dieser Kontakt zwischen Stadt und Land musste erst wieder geschaffen werden. Und das fällt einem natürlich leichter, wenn man jemanden hat, der die Woche über auf dem Land ist, und am Wochenende kaufst du bei dem direkt dein Essen und kommst ins Gespräch.
Und das ist Ihre Mission. Was erfährt man denn zum Beispiel bei diesen Gesprächen am Marktstand? FN: Da gibt es hier bei uns zum Beispiel den Ziegenwagen vom Capriolenhof. Hans-Peter Dill, der den Ziegenhof als Bauer betreibt, kommt eigentlich aus der Schweiz und ist in Süddeutschland aufgewachsen. Dort war es für ihn nicht möglich, Bauer zu werden, weil die Höfe alle nur vererbt werden. Und nach der Wende war es eben möglich, da ist er nach Brandenburg gegangen, und jetzt gehört er zu den besten Ziegenkäseproduzenten in Berlin. Diese ganzen Typen und diese Geschichten dazu, diese Leidenschaft, das ist etwas Besonderes.
Ist das der Unterschied zu anderen Markthallen? FN: Bestimmt. Während andere Markthallen nur Traditionsbetriebe haben, sind hier auch viele neue. Und das passt irgendwie hierher. Ich freue mich also nicht nur an den Produkten, sondern auch an den Leuten dahinter. Die Region wird einfach besser erfahrbar, schmeckbar sozusagen. Nikolaus Driessen: Wer nimmt sich denn schon die Zeit, wirklich rauszufahren? Bei uns kommt das Land in die Stadt. Und du hast aus erster Hand die Möglichkeit, zu erfahren: Wo kommen die Sachen her? FN: Und das führt dazu, das man dann doch mal rausfährt. Da wird man eingeladen zum Frühlingsfest oder zum Osterfeuer, und hat einen Anlass für einen Ausflug.
Und was ist für Sie das Rezept für einen funktionierenden, runden Markt? Welche Art von Produkten muss es geben? FN:Wesentlich ist immer Gemüse, Fleisch und Käse. Dazu Blumen und Backwaren. Das ist das Standardsortiment. Aber wir wussten von Anfang an, das wir uns entwickeln wollen. Wir haben den Grundstein gelegt und schauen, wie wir weiterwachsen. ND: Was natürlich auch damit zu tun hat, dass die Strukturen, mit denen wir arbeiten, so klein sind, dass viele unserer Betriebe gar nicht von heute auf morgen eine neue Verkaufsstation aufmachen können. Auch die Produktion muss ja darauf eingestellt werden, dass man einen zusätzlichen Verkaufspunkt hat. Oder überhaupt einen Verkaufspunkt, wir haben hier auch viele Leute, die vorher gar nicht verkauft haben.
Das heißt, viele Produkte bekommt man sonst gar nicht in Berlin? FN: Genau. Zum Beispiel die vom Prignitzer Landhof. Die Inhaberin hatte mich schon vorletztes Jahr angerufen. Am Anfang hatte sie gar nicht genug Tiere für einen Stand. Sie kam dann im nächsten Herbst zurück und der Stand lief super. Ich finde es toll, dass nicht nur der Markt wächst, sondern auch die einzelnen Händler. Alles in einem gesunden Maß und verträglich für ihren Betrieb. ND: Die Pilzfrau wiederum ist eher eine Nachbarschaftsbeziehung. Sie wohnt hier ums Eck, das war also eine Existenzgründung. Sie hat familiär Kontakte nach Polen, von dort bekommt sie ihre Pilze. Zu denen kommen jetzt auch noch Bio-Zuchtpilze, viele davon aus Brandenburg, das ist wiederum etwas, was aus unserem Netzwerk kommt.
Es kommen also nicht alle Produkte auf dem Markt aus Brandenburg? ND: Das Ziel ist schon, dass wir so eine Art Schaufenster in der Stadt für das Land Brandenburg sein wollen. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht - und das ist gerade an diesem Standpunkt hier ganz wichtig -, dass wir die anderen ausschließen wollen. FN: Natürlich ist so eine Markthalle auch immer Porträt eines Ortes, und das ist in Berlin einfach einzigartig, was für eine Mischung man hat, auch international, das spiegelt sich auch bei uns wieder. ND: Aber wenn man sich für das Thema regionale Lebensmittel interessiert, dann ist man hier richtig. Zumal wir hier ja nicht nur Markt sind, sondern auch Marktplatz: Wir versuchen ja bewusst, hier eine Plattform zu schaffen für das Thema regionale Lebensmittel. Das soll im Rahmen einer politischen Diskussion als Thema hier in Berlin verankert werden.
In diesem Diskussionsrahmen hatten Sie hier ja auch schon mal einen Vortrag zum Thema „Regional das neue bio?". Interessiert Sie diese Frage? ND:Mit bio ist das so eine Sache. Die Strukturen von unseren Händlern sind teilweise einfach zu klein, als dass es sich überhaupt lohnen würde zu zertifizieren. Dazu kommt, dass auf dem Biomarkt ja auch schon Ketten gegründet wurden, die natürlich zunehmend nach dem gleichen Prinzip funktionieren wie Discounter. Sprich: Die haben die gleichen Notwendigkeiten, große, homogene Stückzahlen zu produzieren, da kommt man zwangsläufig zu dem Punkt, wo man die gleichen kommerziellen Produktionsstrukturen hast, nur unter dem Label Bio. Bei uns ist das was ganz anderes, eher das Gegenteil, wir wollen handwerkliche, kleine Strukturen fördern. FN: Bei manchen Sachen geht regional nicht, bei Seefisch zum Beispiel. Ich will da auch nicht zu dogmatisch rangehen. Mir ist auf jeden Fall ein unzertifiziertes Hähnchen, vom Prignitzer Landhof tausendmal lieber als eines aus dem Bio-Discounter. Wie das produziert wird, will man nicht wissen. Ist es denn für ganz kleine Betriebe in Brandenburg organisatorisch zu schaffen, bei Ihnen einen Stand zu haben? ND: Eine sehr interessante Vertriebsform ist zum Beispiel das Schaufenster Uckermark. Das ist im Rahmen eines Förderprogramms entstanden, Simone Nuss bündelt sozusagen die ganz kleinen, und ist damit die Botschafterin der Uckermark in Berlin. Alles an ihrem Stand kommt aus der Uckermark. Ich finde es total spannend, dass man verschiedene Regionen Brandenburgs noch mal als solche hier vertreten hat. Dieser Botschafter-Aspekt für das Land ist generell ganz wichtig für uns.Was mich auch immer wundert, ist, wie wenig regionale Lebensmittel als wirtschaftlicher Aspekt wahrgenommen werden. In dem Moment, wo man die Identität von Brandenburger Produkten schärft, wird im Umkehrschluss mehr davon produziert und am Ende auch mehr konsumiert. Das schafft ja auch Arbeitsplätze. Der Wirtschaftsfaktor regionale Lebensmittel steht immer noch viel zu wenig im Fokus der Debatte.
Was für Resonanzen bekommen Sie für Ihr Projekt? ND: Die Resonanz ist bisher sehr positiv. Für mich ist es ganz wichtig, dass man das Thema den Leuten langsam näherbringt: Erst mal kommen die Leute hier rein und alles sieht lecker aus, und dann erst im zweiten Schritt stoßen sie auf das Thema regionale Lebensmittel. Das funktioniert gut, und durch Projekte wie unseren Streetfood Thursday kommen teilweise auch ganz neue Leute.
Gab es denn auch Kritik? FN:Wir hatten nicht viel negative Reaktionen. Manchmal kommt eben die Preisdiskussion auf: In Deutschland hat sich einfach die Linie durchgesetzt, dass Lebensmittel in erster Linie billig sein sollen. Das ist hier natürlich nicht so, die Preise sind normal, aber klar muss man hier mehr Geld ausgeben als beim Discounter. Andererseits gibt es in Berlin sonst fast nur noch Discounter. Und es ist doch absurd, dass, wenn man dazu einen winzigen Gegenpol setzt, gemeckert wird, dass die Lebensmittelpreise zu teuer sind. ND: Es ist einfach auch so, dass wir hier ja nicht mit einem Ufo gelandet sind und was komplett Neues machen, es ist ja eher die Wiederbelebung einer Struktur, die es bis vor 30 Jahren hier gab. Uns geht es um kleine Strukturen und die waren immer hier zu Hause. FN: Und vor allem, was ist die Alternative dazu? ND: Genau, das wäre nämlich gewesen, das hier noch ein Supermarkt reinkommt. Wo, wenn nicht hier, kann man versuchen, etwas Neues zu machen, eine Bewegung für regionale Sachen loszutreten? In Berlin, in Kreuzberg, in einer alten Markthalle?
Interview: Annika Zieske
Markthalle Neun Eisenbahnstraße 42/43, Tel. 577 09 46 61, www.markthalleneun.de, Wochenmarkt Fr+Sa 10-18 Uhr,
weitere Wochenmärkte
Charlottenburg: Wochenmarkt am Karl-August-Platz Der Hof am Weinberge aus Beeskow ist nicht der einzige Brandenburger Betrieb, der auf dem Wochenmarkt regionales Gemüse anbietet.
Karl-August-Platz, Mi 8-13 Uhr, Sa 8-14 Uhr, U-Bhf. Wilmersdorfer Straße
Friedrichshain: Wochenmarkt Boxhagener Platz Der Samstag gehört hier den Liebhabern guten Essens. Neben Obst und Gemüse aus dem Umland ist zum Beispiel auch Pesto aus regionalen Manufakturen im Angebot.
Boxhagener Platz, www.boxhagenerplatz.de, Sa 8-14.30 Uhr, U-Bhf. Samariterstraße
Kreuzberg: Ökomarkt Chamissoplatz Einer der ältesten und größten Ökomärkte Berlins. Er besteht schon seit 1994. Die Waren kommen größtenteils von Direktanbietern. Neben Lebensmitteln gibt es auch Spielzeug, Kunsthandwerk und Haushaltsartikel.
Chamissoplatz, Tel. 843 00 43, www.oekomarkt-chamissoplatz.de, Sa 8.30-15 Uhr, U-Bhf. Gneisenaustraße
Neukölln: Markt am Maybachufer Besonders freitags ist jede Menge los am Ufer des Landwehrkanals. Unter anderem sind die Frauen vom Gärtnerinnenhof Blumberg vor Ort.
BiOrientalmarkt, Maybachufer 1-13, www.tuerkenmarkt.de, Di+Fr: 11-18.30 Uhr, U-Bhf. Schönleinstraße
Neukölln: Schillermarkt Der Kiezmarkt ist perfekt für einen kleinen Imbiss und Einkauf konventioneller und Bio-Produkte.
Herrfurthplatz, www.schillerkiez.de, Sa 10-16 Uhr, U-Bhf. Boddinstraße
Prenzlauer Berg: Ökomarkt Kollwitzplatz An über 40 Ständen sind Händler aus Berlin und dem Umland vertreten. Auf dem Markt lässt es sich prima einkaufen, aber auch einfach ein Besuch für Kaffee und Kuchen oder einen Snack lohnt sich.
Kollwitzplatz, www.grueneliga-berlin.de, Do 12-19 Uhr, U-Bhf. Senefelderplatz, Tram M2
Schöneberg: Wochenmarkt am Wittenbergplatz An drei Tagen findet am Wittenbergplatz der Wochenmarkt statt. Hier gibt es viele Stände aus Brandenburg, zum Beispiel den Stand Werderaner Spezialitäten.
Wittenbergplatz, www.bbm-maerkte.de, Di 8-14 Uhr, Do 10-18 Uhr, Fr 8-16 Uhr, U-Bhf. Wittenbergplatz
Tiergarten: Ökomarkt Thusneldaallee Kaffee- und Crêpesstand sowie der Grillstand mit Bio-Wurst und -Fleisch bilden das kommunikative Zentrum des Marktes. Bereits seit 1996 wird an der Thusneldaallee ökologisch eingekauft.
Thusneldaallee, www.ökomärkte-berlin.de, Mi 12-18 Uhr, U-Bhf. Turmstraße
Ökomarkt Hansaviertel An der St.-Ansgar-Kirche im Hansaviertel werden unter anderem Ziegenkäse, Ziegenfleisch und Käsekuchen von der Ziegenkäserei Schleusenhof Regow angeboten.
Hansaviertel, Altonaer Straße/Ecke Klopstockstraße, www.ökomarkt-im-hansaviertel.de, Fr 12-18.30 Uhr, U-Bhf. Hansaplatz
Zehlendorf: Ökomarkt Domäne Dahlem Ein Familienausflug zur Domäne Dahlem mit eigenem Bio-Bauernhof und Museum lohnt sich immer. Am Samstag lockt zusätzlich der Wochenmarkt mit Direktanbietern aus der Region.
Königin-Luise-Str. 49, www.domaene-dahlem.de, Sa 8-13 Uhr, U-Bhf. Dahlem Dorf
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