Pop-up-Restaurants öffnen ihre Türen nur für kurze Zeit - das macht sie umso beliebter.
Hektischer Betrieb herrscht in der ersten Etage eines Clubs am Schlesischen Tor. Doch um Musik geht es heute nicht. Nele* poliert Gläser, Tina ordnet pastellfarbige Flaschen als Deko auf einer langen Tafel an. Heute ist einer von 12 Dinner-Terminen des Pop-up-Restaurants I eat you, und weil eine Hilfskraft ausgefallen ist, müssen die Organisatorinnen noch mehr Hand anlegen als an anderen Abenden. Improvisation ist normal bei diesem temporären Restaurantphänomen, das ursprünglich aus der Not heraus entstand. Während der Prohibition in den USA wurden illegale Dinner-Veranstaltungen mit Alkoholausschank "Speakeasys" genannt. Auf Cuba entstanden in den neunziger Jahren so genannte private "paladares", als Gegenbewegung zu staatlichen Restaurants. Für beide galt: Weil Waren knapp waren, konnten sie nur spontan öffnen. Um die Jahrtausendwende tauchte das Pop-up-Konzept dann in den Metropolen London und New York auf. Diese Idee ist nicht zu verwechseln mit den Supper Clubs: "Ein Pop-up-Restaurant ist ein temporäres Restaurant, von Profis gemacht und in einem öffentlichen Raum", erklärt Caroline vom Supperclub Thyme, eine der Veteraninnen der Berliner Underground-Dining-Szene. "Im Gegensatz dazu verstehe ich unter Supper Clubs enthusiastische Amateure, die meist in ihrer eigenen Wohnung kochen und nicht profitorientiert arbeiten."
Neles und Tinas I eat you fällt eher in die erste Kategorie. "Ich wollte nie ein klassisches Restaurant aufmachen, ich wollte einen Ort, wo man essen und Kunst ausstellen kann und vielleicht ein DJ dazu auflegt", erzählt Nele. Die beiden haben die Betreiber des Chalets angesprochen, weil sie die unsanierten Räume spannend fanden. Um Mitternacht müssen sie allerdings in rasender Schnelle die Zelte abbrechen, dann beginnt der reguläre Clubbetrieb. Als Koch haben sich die beiden professionelle Verstärkung mit ins Boot geholt, Küchenchef Jonas hat vorher bei Neugrüns Köche und im Kater Holzig gekocht. An diesem Abend produziert er Topinambursuppe mit Chips, mariniertem Lachs und selbstgebackenem Brot, geschmorte Ochsenbäckchen und Kräuter-Crêpes mit verschiedenen Füllungen. Als Dessert gibt es Grieß-Flammeri mit Blaubeeren. Neben den Speisen liegt der Fokus auf Kunst, an den Wänden hängen Bilder von Sahra Polosek, Melle Diete oder Daavid Mörtl, zwischen den Gängen gibt es Performances. Oberste Regel bei I eat you: Ohne Anmeldung kein Essen.
Genauso funktioniert auch Mulax. Mariana und Kristof Mulack (Foto) sind Geschwister und organisieren regelmäßig Dinnerveranstaltungen in einem Kreuzberger Hinterhof. Temporär sind die Mulax-Events auch, allerdings eher in dem Sinne, dass sie nur für einen Abend aufpoppen. "Angefangen hat das Ganze vor ein paar Jahren mit Dinner-Abenden für Freunde. Irgendwann wollten wir es aber professioneller machen", erklärt Mariana. Fürs Kochen ist Kristof zuständig. Er half unter anderem bei Tim Raue in der Küche und hat mittlerweile einen ziemlich anspruchsvollen Stil entwickelt. An einem typischen Mulax-Abend kocht er für 24 angemeldete Gäste beispielsweise Rotkohlessenz, geräucherte Gänsebrust, kross auf der Haut gebratenen Zander, dazu Rote-Bete-Graupenrisotto, Petersilienwurzel-Creme und Butterschaum.
Weder I eat you noch Mulax sind reguläre Restaurants, Profit machen sie nicht und die Preise fürs Essen decken gerade die Kosten für die Zutaten. Doch das Pop-up-Prinzip funktioniert auch auf kommerzieller Ebene. In London war diese Entwicklung besonders rasant, dort engagierten sich sogar schon Sterneköche wie Pierre Koffmann in Pop-up-Restaurants. In Deutschland war Cateringexperte Klaus Peter "KP" Kofler einer der ersten, der ein kommerzielles Pop-up-Restaurant entwickelte. Sein Pret a diner taucht regelmäßig für einige Monate in einer europäischen Metropole auf und funktioniert dann wie ein normales Restaurant, mit Profis in der Küche und im Service. Den Reiz von Pop-ups sieht Kofler in der Verknappung: "Es ist eine Erfahrung, die nicht immer verfügbar ist, man muss zu einem bestimmten Zeitpunkt hingehen, sonst ist das Restaurant weg." Zur Berlinale im Frühjahr wird Pret a diner nach Berlin zurückkehren, an einen neuen ungewöhnlichen Ort.
Ein weiteres kommerzielles Pop-up-Projekt ist Rocco & Sanny in Mitte (Foto oben), eine Mischung aus Restaurant und Bar. Das Ende des Projekts ist absehbar, das Gebäude ist verkauft, spätestens in einem bis anderthalb Jahren ist Schluss. Mario Grünenfelder, früher Barchef im Tausend, wurde eher zufällig zum Pop-up-Betreiber. "Ich arbeite eigentlich lieber längerfristig. Aber dann wurde überraschend dieser Raum frei und vier Wochen später haben wir eröffnet." Ein Jahr ist für ein Pop-up-Restaurant eine lange Lebensdauer, trotzdem hat Grünenfelder Unterschiede zum normalen Restaurantbetrieb festgestellt: "Die Leute sind viel motivierter und enthusiastischer, sowohl Gäste als auch Mitarbeiter. Das hätte ich nicht erwartet".
Das Ganze ist für Grünenfelder eine so positive Erfahrung, dass er überlegt, nach dem Aus von Rocco & Sanny etwas Neues aufzumachen. Das kann ruhig temporär sein, allerdings ist ihm wichtig, dass der Betrieb professionell läuft und dass es eine Konzession gibt. Ein wichtiger Punkt, denn viele der nichtkommerziellen Pop-ups bewegen sich im halb legalen Bereich. Als Kontrahenten begreifen sich die beiden Szenen aber nicht, erklärt Mariana vom Mulax: "Vom Spirit her ist es ein und dasselbe. Es geht darum, in einer ungewöhnlichen Atmosphäre mit netten Leuten ein gutes Essen zu genießen."
Text: Annika Zieske
Fotos: Daniela Friebel (oben), Sandra Wildboer / HiPi
I eat you, Chalet Vor dem Schlesischen Tor 3, Kreuzberg, Termine: 24.-27.10. ab 20 Uhr, Reservierung: Tel. 0152-29 06 94 57, ieatyou.berlin@gmail.com, www.ieat-you.tumblr.com
Mulax Lausitzer Straße 10, Kreuzberg, Termine: 31.10., 3.11., 9.11., Reservierung: Tel. 0176-98 28 44 50, reservierung@mulax.de, www.mulax.de
Rocco & Sanny Friedrichstraße 113, Mitte, Öffnungszeiten: Di-Sa 18-5 Uhr, Tel. 0173-521 93 78, www.roccoandsanny.de
Thyme Supper Club Termine und Reservierung: caroline@thyme-supperclub.de, www.thyme-supperclub.com