Andrea Lütkewitz

Freie (Online-) Redakteurin und Journalistin

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Führungen im Schloss Cecilienhof: Eine Frage der Perspektive (70 Jahre Potsdamer Konferenz)

Eine Führung im Schloss Cecilienhof und zur Potsdamer Konferenz erlebt jeder auf eine andere Art - je nach Herkunft und Nationalität.

Potsdam - Seit zehn Jahren führt Nils Hauer Gäste durch das Schloss Cecilienhof. Manchmal sind auch Prominente dabei. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) etwa habe wenig Zeit gehabt, erzählt Hauer. Er habe einfach nur schnell den Konferenzsaal sehen wollen. Ganz anders sei das bei Reiner Calmund gewesen, dem ehemaligen Manager des Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen: „Dieser hörte interessiert und geduldig zu, außerdem wollte er, dass den jungen Leuten in der Gruppe der Vortritt gelassen wurde", erinnert sich Hauer.

Sonderführung zum 70. Jahrestag der Potsdamer Konferenz

An diesem Freitag allerdings sind keine Promis dabei, als der Schlossführer 22 Besucher durch den Cecilienhof begleitet. Es soll um die subjektive Wahrnehmung der Gedenkstätte bei den internationalen Besuchern gehen, um deren „authentische Reaktionen", wie er sagt. Angeboten habe sich die Veranstaltung im Rahmen des Sonderprogramms der Schlösserstiftung zum 70. Jahrestag der Potsdamer Konferenz, in der die Siegermächte UdSSR, USA und Großbritannien über die Neuordnung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg verhandelten.

Und schon nach einer kurzen Einführung in die Veranstaltung wird deutlich, was genau Hauer meint mit den unterschiedlichen Sichtweisen und Emotionen, die hinter den spontanen Reaktionen stecken. Denn es sind vor allem zwei Orte im Haus, auf welche die Besucher, viele davon aus Asien, Polen und den USA, reagieren: Das Zimmer, das der US-amerikanische Präsident Harry S. Truman als Arbeitszimmer nutzte, und der Konferenzsaal, in dem verhandelt wurde.

Trumans Arbeitszimmer thematisiert Atombombenabwurf

Im erstgenannten Raum thematisiert die Ausstellung den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Truman hatte in Potsdam die Nachricht erhalten, dass die Atombombe einsatzbereit sei. Während japanische Besucher in diesem Raum vor allem positiv von der differenzierten Darstellung und dem Aspekt der Versöhnungskultur berührt sind, äußern sich chinesische Gäste häufig weniger freundlich, wie Hauer erzählt, der selbst mit einer Chinesin verheiratet ist. Er erklärt, dass die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges und dessen Folgen in beiden Ländern bis heute nicht offen aufgearbeitet worden seien und die Beziehung nachhaltig darunter leide.

Eher unterhaltsam sei es hingegen, wenn Chinesen während der Führung „verloren gingen", und zwar vornehmlich im „Roten Salon",dem Arbeitszimmer Josef Stalins. Hier gibt es eine Absperrung, hinter der man ins Obergeschoss des Hauses gelange. Viele würden die Absperrung ignorieren und sich dann verirren. „In China hat man ein anderes Verständnis vom Umgang mit historischen Stätten", erklärt Hauer, „Originalität spielt keine große Rolle - wenn etwas kaputtgeht, wird es durch etwas Neues ersetzt." Amerikanischer Gast musste weinen


Bei ehemaligen amerikanischen Militärangehörigen hat Hauer zufolge das Arbeitszimmer Trumans einen ganz besonderen Stellenwert. Es seien auch manchmal ehemalige Militärs oder deren Nachfahren dabei, die im Kalten Krieg in Berlin stationiert waren. Einmal habe ein amerikanischer Gast laut losgeweint. Auf die Frage warum, verwies er auf das aktuelle schlechte internationale Ansehen Amerikas im Vergleich zur Nachkriegszeit.

Im Konferenzsaal steht dagegen der riesige Verhandlungstisch im Mittelpunkt. Drei erhöhte Stühle kennzeichnen die Sitzplätze der sowjetischen, amerikanischen und britischen Staatschefs, in der Mitte stehen die Länderfahnen. „Es kommt immer wieder vor, dass französische Besucher ganz überrascht nach sich selbst suchen", erzählt Hauer, und ein Schmunzeln geht durch die Gruppe. Viele von ihnen wüssten nicht, dass die Siegermacht Frankreich nicht an der Konferenz teilgenommen habe.

Manche Gäste: „Das ist der Tisch unserer Schande!"

Auch den Ausspruch „Das ist der Tisch unserer Schande!" habe er sehr häufig von Gästen gehört - allerdings von Menschen, die 1945 infolge des Potsdamer Abkommens aus den deutschen Ostgebieten vertrieben wurden und nicht selten „die Führung sprengten", indem sie diskutierten oder wütend das Haus verließen. „Ich versuche grundsätzlich immer zu vermitteln, dass man in dem Abkommen nicht nur die Niederlagen sehen kann,sondern auch den Neubeginn nach dem Krieg", so Hauer. Und tatsächlich käme es häufig vor, dass Gäste am Ende äußerten, dass die Gedenkstätte ein Ort bewundernswerter Versöhnungskultur sei.

Emotionaler Blick

Und auch die Teilnehmer der Sonderführung gehen am Freitagabend bewegt nach Hause. „Ich fand diesen ungewöhnlichen, emotionalen Blick auf die Ausstellung heute sehr erhellend", sagt die Potsdamerin Heike Labodda, die häufiger an Schlossführungen teilnimmt. Der Applaus für Nils Hauer fällt an diesem Tag groß aus. Es scheint so, als habe Sigmar Gabriel bei seinem Besuch vor ein paar Jahren etwas verpasst.


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