Selbstversuch: Sea-Survival-Training, Teil 1
Vorhin
in der Umkleidehabine, da haben wir noch geflachst. Haben uns
gegenseitig versichert, wie bescheuert wir aussehen in den dicken blauen
Teddyfellanzügen, die uns warm halten sollen, wenn der Sturm losbricht.
Haben uns geholfen, die orangenen Trockenanzüge darüber zu ziehen, mit
den unangenehm engen Gummilaschen an Hals und Handgelenken und den
verwirrenden Reißverschlüssen. Haben uns Knüffe gegeben und über die
Witze der anderen gelacht, selbst wenn sie flach waren.
Was man eben so macht in einer Gruppe von Männern, die nervös ist wegen der Aufgabe, die auf sie wartet.
Aber
das Lachen ist uns längst vergangen. Wir sind Teilnehmer eines
Sea-Survival-Trainings der Firma Falck Safety Services in Bremerhaven.
Acht Männer und eine Frau, die meisten von uns sehen sich heute zum
ersten Mal.
Was uns zusammengeführt hat, ist die
Offshore-Windkraft. Wir alle wollen raus zu den Windparks in der Nord-
und Ostsee. Die anderen, weil sie dort als Monteure arbeiten, als
Ingenieure oder im Housekeeping auf einem der Hotelschiffe, auf denen
die Bautrupps untergebracht sind. Ich, weil ich als Journalist vor Ort
von ihrer Arbeit und dem Megaprojekt Energiewende berichten will.
Dafür
benötigt jeder von uns eine Reihe von Zertifikaten, die uns die
erfolgreiche Teilnahme an verschiedenen Überlebenstrainings
bescheinigen. Erst dann dürfen wir einen Helikopter oder ein Schiff
besteigen, um hinaus in die Windparks zu fahren. So verlangen es die
Sicherheitsbestimmungen der Branche.
Selbst Konzernvorstände
haben schon Anzug und Krawatte gegen die signalfarbenen Overalls von
Falck ausgetauscht, um zu trainieren, wie sie in eine Rettungsinsel
klettern oder aus einem ins Meer gestürzten Hubschrauber entkommen. Rund
2.700 Teilnehmer schult die Firma jedes Jahr in ihrem Trainingszentrum
am Handelshafen in Bremerhaven.
Eigentlich müsste mich das
zuversichtlich stimmen. Schließlich werden die meisten von ihnen das
Training irgendwie gemeistert haben. Trotzdem ist mir gerade ziemlich
mulmig zumute.
Ich stehe in fast kompletter Finsternis am Rand
einer knapp vier Meter hohen Brüstung und um mich herum wütet ein Orkan.
Ein künstlicher Orkan, um genau zu sein. Irgendwo in der Trainingshalle
hat einer der Ausbilder auf einen Knopf gedrückt und jetzt veranstaltet
eine Windmaschine ein ohrenbetäubendes Getöse.
In der Trainingshalle tobt die Hölle
Ab
und zu zerreißen Blitze die Dunkelheit, dann sehe ich für
Sekundenbruchteile die schäumenden Wogen im Schwimmbecken unter mir.
Mittendrin rudern zwei Kollegen heftig mit den Armen, um gegen die
Wellen anzukommen. Weiter hinten tanzt eine Rettungsinsel auf und ab.
Am
Beckenrand steht breitbeinig einer der Trainer und richtet den Strahl
eines Wasserschlauchs in die Windmaschine. Sollte er eine sadistische
Ader haben, dürfte ihm dieser Teil der Ausbildung besonders viel Spaß
machen. Die Gischt prasselt scharf auf die beiden Schwimmer ein.
Und in dieses Chaos soll ich jetzt hinunterspringen.
Ich
hole tief Luft und verschränke die Arme über meiner Rettungsweste.
„Sonst kann sie euch beim Eintauchen das Gesicht zerreißen“, hat der
Trainer gesagt, als wir die Übungen in der Theorie durchgegangen sind.
Dann nehme ich meinen Mut zusammen und springe.
Als ich wieder
auftauche und Luft schnappen will, rollt eine Welle über meinen Kopf
hinweg. Ich schlucke Wasser und huste. Nicht zum ersten Mal heute. Wir
haben das Ganze schon mehrfach trainiert, allerdings bei Licht und ohne
Windmaschine. Jetzt, in der Abschlussübung, sind die Bedingungen härter.
Die
Ausbilder von Falck müssen für ihre Trainings einen Mittelweg finden.
Einerseits sollen die Übungen die Teilnehmer nicht fertigmachen oder so
verängstigen, dass sie sich gar nicht erst auf ein Schiff oder in einen
Helikopter wagen. Andererseits muss das Training eindrucksvoll genug
sein, um ihnen die elementaren Überlebensregeln einzuprägen.
Das Training erhöht die Überlebenschancen
Wie
schnell der Ernstfall eintreten kann, liest man immer wieder in den
Zeitungen. 2014 etwa stürzte ein Hubschrauber über der Ostsee ab. Drei
Mann kamen ums Leben, nur der Co-Pilot konnte unterkühlt aus dem Wasser
gerettet werden. Und erst Ende Dezember ist bei einem heftigen Sturm mit
14 Meter hohen Wellen ein Mann auf einer Bohrinsel in der Nordsee
getötet worden, mehrere andere wurden verletzt, viele Plattformen
mussten evakuiert werden.
Natürlich garantiert ein
Überlebenstraining nicht, dass alle Teilnehmer solche Katastrophen
unbeschadet überstehen. Aber es erhöht die Chancen. „Das Wichtigste ist,
dass ihr zusammenbleibt. Als Gruppe seid ihr stark, allein habt ihr
verloren.“ So haben es uns die Ausbilder immer wieder eingeschärft.
Und
daran halten wir uns jetzt auch. Inzwischen sind alle Teilnehmer
gesprungen. Im Wasser haben wir eine achtköpfige Raupe gebildet: Auf dem
Rücken liegend umklammern wir mit den Beinen unseren Vordermann, mit
den Armen rudern wir gemeinsam im Takt durch die Fluten, rückwärts auf
die Rettungsinsel zu. Jedes Mal, wenn ein Blitz zuckt, sind wir ihr ein
Stück nähergekommen.
Einer nach dem anderen kämpfen wir uns über
die schlingernde Gummiwand ins Innere, wobei uns die Schwimmwesten und
die unförmigen Trockenanzüge zu schaffen machen. Wenigstens liegt die
Insel richtig herum im Wasser. In den Übungen vorher mussten wir sie
noch mit Hilfe einer an ihrem Boden befestigten Leine auf die richtige
Seite drehen: hinaufklettern, sich ganz an den Rand stellen und dann mit
der Leine in der Hand rückwärts ins Wasser kippen lassen, sodass die
Insel über dem eingenen Kopf aufschlägt.
Wir schließen das
Verdeck und wähnen uns in Sicherheit, auch wenn es eng ist, der Boden
heftig schwankt und die Luft schnell stickig wird.
Plötzlich gellen Hilferufe durch die Halle
Doch wir haben uns zu früh gefreut. Von draußen dringen schrille Pfiffe durch den Lärm der Windmaschine. Ein Ausbilder liegt im Wasser und simuliert einen verletzten Nachzügler, der mit einer Pfeife um Hilfe ruft. Das war nicht angekündigt – aber echte Katastrophen halten sich ja auch nicht an einen Ablaufplan.Es dauert eine Weile, bis wir das Verdeck öffnen und einer von uns ins Wasser springt, von den anderen durch ein Seil gesichert. Gemeinsam schaffen wir den Verletzten auf die Insel – und vermeiden dabei den verbreiteten Fehler, den Geretteten bäuchlings mit dem Gesicht in eine Pfütze auf dem Inselboden zu legen.
Nun wartet nur noch eine letzte Prüfung auf uns, angekündigt durch ein dumpfes Dröhnen. Nach und nach schwillt es an, bis es als brutales Knattern alles übertönt: Der Rettungshubschrauber ist gekommen. Einer der Ausbilder steht oben auf der Plattform, von der ich vorhin gesprungen bin. Über eine Kabelwinde lässt er einen Tragegurt zu uns herunter. Mühsam streife ich mir das enge Geschirr über die Rettungsweste. Dann zieht mich die Winde langsam nach oben auf die Plattform.
Geschafft! Die Windmaschine lässt nach, das Licht in der Halle flammt und ich lasse mich schwer atmend auf dem Boden nieder.Ich mag gar nicht daran denken, dass in den kommenden Tagen noch ein Hubschrauber-Rettungstraining auf mich wartet.
http://www.energie-winde.de/mensch-und-umwelt/details/unfall-auf-knopfdruck-teil-1.html