KI in der Seelsorge
Seelsorge, die immer verfügbar ist, wenn Ratsuchende sie brauchen. Die findet abseits von persönlichen Begegnungen schon längst statt, per E-Mail, per Videogespräch, in Chats oder auf Social Media. Achim Blackstein kümmert sich in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers darum, dass Menschen seelsorglich dort abgeholt werden, wo sie digital unterwegs sind. Der Beauftragte für digitale Seelsorge und Beratung erlebt sogar, dass Menschen sich an ChatGPT wenden. Dass sie etwa fragen:
"Wie kann Gott Leid zulassen? Ja, oder: Nenne mir fünf Schritte, wie ich mit einer Veränderungssituation oder mit einer Krise umgehen kann. Und dann kommt ja Chat GPT und gibt einem da eine Information und das ist gar nicht unbedingt immer schlecht und kann vielleicht so ein erster Schritt auch sein, den man dann gehen kann. Und sei es, dass ich diese Grundschritte mitnehme und dann mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger weiter spreche. Und sage: Guck mal, das hat mir Chat GPT geraten. Wie findest du das? Oder: Wie gehen wir jetzt weiter vor? Also da erlebe ich schon eine große Offenheit und auch eine Experimentierfreude."
Seit Herbst 2022 ist ChatGPT in aller Munde, der kommerzielle ChatBot, der KI, also Künstliche Intelligenz, nutzt. Eine Software, die nicht nur festgelegten Regeln folgt, sondern die selbst lernen kann. Etwa aus der Interaktion mit Menschen, die fragen, warum Gott Leid zulässt.
Kirchliche Seelsorge, die durch oder mit KI stattfindet, gibt es bisher nicht, sagt Achim Blackstein. Vor allem, weil keine Technologie bisher die dafür nötigen Standards erfülle. Etwa an den Datenschutz. Der unterliegt bei ChatGPT US-amerikanischen Gesetzen. Wenn man also ChatGPT in einer Lebenskrise „um Rat fragt“, landen diese sensiblen „Unterhaltungen“ dann auf den Servern eines Unternehmens, das damit dann auch weiterarbeitet.
Als Unterstützung in der Seelsorge, findet Blackstein, könnten KI-Anwendungen aber durchaus nützlich sein. Seelsorgerinnen und Seelsorger könnten damit beispielsweise in der Ausbildung ihre Lese- und Schreibkompetenzen trainieren.
"In Rollenspielen mit der KI würde sich auch ChatGPT als Beispiel anbieten, sodass man auch eigene Antworten hinterfragen kann, evaluieren kann für sich selbst oder natürlich auch im Team. Für Brainstorming, für Inspiration, Fallbeispiele könnten mit der KI aufgesetzt und durchgeführt werden, sodass man auch als Seelsorgerin und Seelsorger in einem geschützten und sicheren Rahmen schwierige Gespräche führen kann. Suizidale Ankündigung, den Umgang damit üben kann und Ähnliches."
Ziemlich bald sei auch vorstellbar, dass KI-basierte Software bei der Übersetzung hilft. Wenn Menschen eben nicht auf Deutsch, sondern auf Russisch, Türkisch, Englisch oder Französisch Rat suchen. Auch könnten KI-Anwendungen von gesprochener Sprache in Schrift übersetzen oder umgekehrt. Also Barrieren in der digitalen Seelsorge abbauen. Für KI als Hilfsmittel sieht Blackstein bei Seelsorgerinnen und Seelsorgern eine recht große Offenheit. Ohne bestimmte Voraussetzungen ginge es aber nicht: Ratsuchenden müsste transparent gemacht werden, dass KI eingesetzt wird und ihre Daten müssten ausreichend geschützt werden.
Aber selbst wenn diese Probleme gelöst wären, drängt sich vor allem eines auf beim Nachdenken über KI als eigenständige Seelsorgerin: Eine Maschine kann sich nicht einfühlen. Sie hat kein menschliches Verständnis, sondern berechnet mit statistischen Methoden Antworten auf einen Frageimpuls.
Andererseits: Emotionen können der Seelsorge auch im Weg stehen. Deshalb kann sich Peter Zimmerling KI als sinnvolle Ergänzung vorstellen. Er ist in Leipzig Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Seelsorge. KI könnte Impulse geben, sagt er, gerade in der längeren seelsorglichen Begleitung, wenn man dem Menschen notwendigerweise nahe kommt.
"Also nahe im Sinne von: Ich fühle mich ein, ich bin verständnisvoll. Aber das bedeutet natürlich auch, dass meine Betriebsblindheit irgendwie zunimmt. Und da könnte, das ist so meine Hoffnung oder meine Vorstellung, da könnte KI das Spektrum der Interventionsmöglichkeiten erweitern und offenhalten, vielleicht auch. Weil ja KI nicht so eine emotionale Beziehung aufbaut zu einem anderen Menschen."
KI-Anwendungen wie ChatGPT können zu fast allem, auch zu religiösen Fragen etwas sagen. Oder dazu, wie man mit tiefen persönlichen Krisen umgeht. Das liegt vor allem daran, dass sie mit Unmengen von Daten trainiert worden sind. Darunter auch Bibeltexte, Fachtexte aus Psychologie, Theologie und Religionswissenschaft, aber auch Social Media-Beiträge und Diskussionen aus Internetforen. Bei der deutschen Gesellschaft für Informatik hat sich die gebürtige US-Amerikanerin Debora Weber-Wulff Gedanken über KI in der Seelsorge gemacht. Sie ist unter anderem wegen der Vielfältigkeit der Trainingsdaten von ChatGPT skeptisch:
"Das wird alles anstandslos zusammengemischt. Es hängt also teilweise so ein bisschen davon ab, wie viel es von welches gibt. Und ich habe keine Vorstellung davon, wie viel religiöse Unsinn im Internet steht. Ich weiß, dass es das gibt, aber ich weiß nicht, wie viel es gibt."
Weber-Wulff war bis vor kurzem Professorin für Medieninformatik an der Berliner HTW, jetzt ist sie im Ruhestand. Der evangelisch-methodistischen Kirche ist sie als Laienpredigerin verbunden. Selbst für die Trainingsdaten von ChatGPT, die aus ihrer Sicht als „vernünftigere religiöse Darstellungen“ gelten können, stelle sich die Frage, welches Selbstverständnis und welche Rollenbilder sie transportieren. Und auch, wer die Verantwortung trägt, wenn man es einer KI überlassen würde, selbständig mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen umzugehen.
Und was wäre mit eigens für die Kirchen erstellte KI-Anwendungen für die Seelsorge? Teuer und viel zu ressourcenintensiv, meint Weber-Wulff:
"Naja, wir müssen ja nicht alles machen, was prinzipiell machbar wäre mit einem Computer. Wir können es ja auch manchmal sein lassen, weil wir sagen: Nein, das ist nicht das, was wir uns vorstellen unter ein lebenswertes Lebensraum."
Dennoch: Eine Offenheit für KI als Hilfsmittel in der Seelsorge gibt es laut Achim Blackstein von der von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers allemal. Wenn KI aber mehr sein solle als ein Hilfsmittel, müsse man an erster Stelle eine grundsätzliche Frage beantworten:
"Welchen Mehrwert stellen wir als Menschen gegenüber einer KI dann eigentlich - in Anführungszeichen oder in Klammern gesagt - noch dar?"