Cybermobbing kann auch den Stärksten fertigmachen. Nämlich dann, wenn man bei einer Hänselei in Sozialen Netzwerken vor 50 oder mehr Facebook-Freunden bloßgestellt wird. Sogar Lehrer können Opfer werden. Polizeioberkommissar Klaus Kratzer* erklärt, wie man sich wehren kann.
Herr Kratzer, was ist an Cybermobbing so anders und besonders schlimm?
Klaus Kratzer: Mobbing hat es immer schon gegeben, früher hieß es halt „Verarschen". Wenn seinerzeit jemand ausgelacht wurde, blieb das im Klassenzimmer. Heute wird jemand in wenigen Sekunden über Soziale Netzwerke wie Facebook oder YouTube vor einer breiten Masse bloß gestellt. Dann entsteht ein Run, den man nicht mehr stoppen kann. Das ist aber vielen Kindern und Jugendlichen nicht bewusst.
Wieso kann man das nicht mehr stoppen?
Es gibt keinen digitalen Radiergummi. Jeder kann ein privates Bild herunterladen und in den Sozialen Netzwerken neu einstellen. Sobald man bei Facebook auf „Upload" drückt, ist das Bild nicht mehr in der eigenen Verfügungsgewalt.
Manche Täter sehen das, was sie tun, aber gar nicht als Mobbing, sondern als Spaß an.
Spaß kann man nicht definieren. Was für den einen ein Späßchen ist, ist für den anderen schon verletzend. Viele Täter verstehen ihre Angriffe als Spaß. Nur konnte man früher, wenn man jemanden persönlich beleidigt hatte, sich bei ihm entschuldigen und keiner bekam davon etwas mit. Heute lesen Hunderte mit. Diese Art der Konfliktausübung finde ich äußerst feige. Das Unrechtsbewusstsein wird durch das Internet ganz außen vor gelassen, weil kein direkter, persönlicher Kontakt besteht.
Warum mobben Jugendliche online?
Sie wollen Macht ausüben. Oft haben sie das auch schon selbst erlebt und verhalten sich dann genauso nach dem Motto „Ich wurde unter Druck gesetzt, jetzt setze ich einen anderen unter Druck."
Die Steigerung davon ist Cyberbullying.
Ja, dabei werden Schüler über das Netz regelrecht tyrannisiert. Da kann man nicht nur Naivität unterstellen, sondern Vorsatz!
Am brutalsten ist die Extremform Happy Slapping.
Das ist Gott sei Dank rückläufig. Aber es gibt immer noch Fälle, in denen ein paar Jugendliche, meist Jungs, einen anderen verprügeln und das mit dem Handy filmen. Das Perverse: Die Motivation jemanden zu verprügeln ist das Filmen.Das ist ganz klar eine Straftat! Neben den Schlägern ist auch der Filmer dran – wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung.
Mobben sich Schüler nur untereinander oder stänkern sie auch gegen Lehrer?
Hauptsächlich werden Mitschüler beleidigt. Die Täter verbreiten Gerüchte oder Lügen, aber zum Teil auch ganz private Wahrheiten, die nichts in der Öffentlichkeit verloren haben.
Passiert denn so etwas nur an Schulen, vielleicht sogar in bestimmten Schularten?
An einer Schulart kann man das nicht fest machen. Das betrifft alle Schularten. Zu 90 Prozent passieren Attacken wie Cybermobbing und Happy Slapping im Umfeld der Schule, etwa auf dem Nachhause-Weg oder auf dem Spielplatz um die Ecke. Ich kann mich an einen Fall erinnern, an dem sogar 50 Schüler beteiligt waren. Sie gingen mit in eine Seitenstraße und feuerten ein paar Jugendliche an, die einen anderen verprügelten.
Wer kann Opfer einer Mobbingattacke werden?
Das trifft nicht immer nur den kleinen, dicken Opfertypen, sondern kann auch den Stärksten der Klasse treffen. Viele machen nur deswegen mit, damit sie nicht selbst zum Opfer werden. Gerade Cybermobbing kann einen in den Wahnsinn treiben. Aber auch unter Erwachsenen und sogar unter Lehrern kommt es vor. Es wird gemobbt, wenn jemand nicht zur Arbeit erschienen ist oder es werden Gerüchte darüber verbreitet, wer mit wem was hat.
Was kann man in so einer Situation tun?
Am besten man antwortet auf solche Kommentare erst gar nicht und wirft den Täter sofort aus der Facebook-Freundesliste. Wenn man zurückschreibt, schaukelt sich das Ganze auf und am Ende mischen sich in einen Streit, an dem zuerst nur drei Personen beteiligt waren, 50 bis 60 Leute ein. Erster Ansprechpartner sind die Eltern des Täters. Die könnten sich mit den anderen Eltern der am Vorfall beteiligten Jugendlichen in Verbindung setzen. Das muss ich allerdings im Frühstadium in die Wege leiten, bevor die Situation eskaliert.
Dann schürt man aber doch noch mehr Hass.
Das kommt darauf an, wie zugänglich die Erziehungsberechtigen der Täter sind. Die nächste Möglichkeit wäre, dem Betreiber der Plattform das unangemessene Verhalten zu melden. Wenn das nichts hilft, wären die Schule oder die Arbeitsstelle die nächste Anlaufstation. Das letzte Mittel wäre schließlich eine Anzeige bei der Polizei. Am besten wäre es aber, die betroffenen Schüler würden sich an speziell geschulte Mitschüler wenden, die bei dem Konflikt vermitteln können.
Interview: Thomas Klotz
*Klaus Kratzer ist Polizeioberkommissar bei der Kripo Augsburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind verhaltensorientierte Prävention in den Bereichen Neue Medien, Cybermobbing, Jugendgewalt und Zivilcourage. Nebenberuflich ist er seit 2002 Trainer für Selbstbehauptung.