Seit Jahren hat Lok Leipzig rechte, gewalttätige Fans. Nun hat sich die wichtigste Gruppe aufgelöst. Ist das nur ein Deal mit dem Verein, wie Skeptiker fürchten?
Von Thomas Fritz
Leipzig. An einem Tag im August setzt die rechtsextreme Fan-Gruppe Scenario Lok ein letztes Ausrufezeichen. Als Martin Mieth, der Sicherheitschef des 1. FC Lokomotive Leipzig, gegen das Aufhängen eines verbotenen Banners protestiert, stürmen gut ein Dutzend Vermummte auf den Funktionär zu. Mieth flüchtet sich in die oberen Ränge der Fan-Kurve 1966, einer toleranten Ultra-Fraktion.
Ein Angreifer verpasst ihm dennoch einen Hieb. Seine Brille geht zu Boden, auch die rund fünfzig Ultras sind verängstigt und stellen ihre Gesänge für zwanzig Minuten ein. Der Fünftligist gewinnt das Spiel gegen den SV Schott Jena durch ein Tor in der Nachspielzeit mit 2:1, aber der Sport wird in Leipzig-Probstheida wieder einmal vom Geschehen abseits des Rasens überschattet.
Drei Monate später soll der Spuk plötzlich vorüber sein. Scenario Lok gibt seine Auflösung bekannt. Es gebe Wichtigeres, "als sich mit Vorstand und Verein zu streiten", heißt es in einer knappen Erklärung der Fan-Gruppe. Sie ruft Erleichterung hervor, aber auch Skepsis. In Leipzig grassiert die berechtigte Sorge, dass hinter der Selbstauflösung nur Kalkül steckt.
Der Umgang von Fußballvereinen mit rechten Fans ist nicht erst seit Ende Oktober ein Thema, als sich in Köln rund 5.000 Rechte und Schläger der Bewegung Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) versammelten, darunter viele Fußball-Hooligans. Alemannia Aachen hat jahrelang zugesehen, wie rechte Fans eine antifaschistische Ultragruppe aus dem Stadion prügelten. In Duisburg und anderen Standorten beobachtete man Ähnliches.
Image-Schaden für den VereinAuch Lok Leipzig hat in seiner Geschichte das Problem von Rechts meist ignoriert und auf das Prinzip Hoffnung gesetzt. "Ob sich Einzelne neu gründen oder zu alt dafür sind, können wir nicht beurteilen, aber wir hoffen, dass es ruhig bleibt", sagt Lok-Präsident Heiko Spauke jetzt. Nur: Vernunft, Gewaltverzicht und eine Abkehr von der braunen Ideologie stellten sich bei den wenigsten ein. Dabei sind die Probleme beim 1893 als VfB Leipzig gegründeten Traditionsverein und ersten deutschen Meister hausgemacht. Nach der zweiten Insolvenz des VfB hauchten dreizehn Anhänger dem 1. FC Lokomotive, einstiger Europapokalfinalist und viermaliger DDR-Pokalsieger, im Dezember 2003 neues Leben ein. In der Elften Liga.
Den Vorsitz übernahm der frühere Hooligan Steffen Kubald, am Tisch saß ein bekennender und in Leipzig bekannter Rechtsradikaler und NPD-Anhänger. Kubald versuchte, das Nazi-Problem mit steigendem Erfolg seiner "Loksche" in den Griff zu bekommen, aber er ging nicht konsequent vor. Im Jahr 2009 stieg Scenario zur dominierenden Kraft in der Kurve auf. Vier Jahre zuvor gegründet, galt die Gruppe lange als Scharnier zwischen dem Nazi-Hooligan-Milieu und der Fan-Szene. Zum harten Kern gehörten rund dreißig Mann, darunter ein lokal bekannter Freefighter sowie Dutzende Sympathisanten und Mitläufer. Durch aufwendige Choreografien, Spendensammeln und freiwillige Arbeitseinsätze erlangte SL, so das Szene-Kürzel, Anerkennung. Aufgrund des martialischen Auftretens, teils rassistischen Gesängen und ihrer Brutalität blieben sie gefürchtet.
Drohungen gegen den eigenen Club
Die Gruppe fiel immer wieder durch Randale auf. Bei einer Regionalliga-Partie in Babelsberg im August 2013 prügelten sich Lok-Anhänger gemeinsam mit Hools des BFC Dynamo Berlin und des Halleschen FC mit einheimischen Fans. Es war nur ein Beispiel von vielen. Auch auf der Demonstration Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) Ende Oktober soll eine Gruppe aus Leipzig, Erfurt und Halle nach Köln gereist sein.
Scenario zwang die Verantwortlichen zum Handeln. Der im Frühjahr 2013 gewählte neue Vorstand um Heiko Spauke und Vize René Gruschka reagierte auf den bundesweiten Image-Schaden mit einem Erscheinungs- und Auftrittsverbot für Scenario im Bruno-Plache-Stadion. Zudem sprachen sie einige Hausverbote aus und führten einen Verhaltenskodex ein. Ein Jahr später wurde der Ausschluss unbefristet verlängert: Lok darf und will sich im Kampf gegen Rechts keine weitere Pleite erlauben, sonst könnte durch abspringende Sponsoren die finanzielle Konsolidierung in Gefahr geraten. Immer wieder reagierte die im Sächsischen Verfassungsschutzbericht 2013 als Teil der "subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene Leipzigs" bezeichnete Gruppe auf den Rauswurf mit Drohungen und Gewalt - gegen den eigenen Club.
Das ist der Grund für die Skepsis, die der Gruppe auch nach ihrer Auflösung entgegenschlägt. "Von diesen Leuten geht ein hohes Bedrohungspotenzial aus", sagt die Landtagsabgeordnete und Stadträtin Juliane Nagel (Linke) aus Leipzig, die den Club in ihrem Blog seit Jahren kritisch begleitet. "Auch noch nach der Auflösung." Sie hält zwei Szenarien für denkbar: Entweder werden die Mitglieder als unorganisierte Einzelpersonen noch unkalkulierbarer oder sie unterwandern andere Fan-Gruppen. Die Leute seien schließlich nicht einfach verschwunden, fürchtet Nagel. "Sie haben nur ihr Label abgelegt."
Für das Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden ist die Auflösung ebenfalls kein Grund, die Beobachtungen einzustellen. "Erfahrungsgemäß ist davon auszugehen, dass sich Rechtsextremisten, die Vereinigungsstrukturen aufgeben, weiterhin in der Szene bewegen. Meist halten sie an ihrem extremistischen Gedankengut fest", heißt es auf Anfrage. So könne repressiven Maßnahmen staatlicher Behörden entgangen oder diese zumindest erschwert werden. Das Fanprojekt Leipzig äußert sich nicht zu dem Thema.
Werden Fans immer noch bedroht?
Leipzig, 1. November. Wenige Tage nach ihrer knappen Erklärung hängt das SL-Banner ein letztes Mal unauffällig im Fahnenmeer des Bruno-Plache-Stadions, trotz des Auftritts- und Erscheinungsverbots, trotz der Schläge gegen einen Funktionär. Der Verein nimmt diesen leisen Abschied hin, will endlich ein Ende der Querelen. Die ehemaligen SL-Mitglieder verhalten sich tatsächlich ruhig: keine Sprechchöre, keine Provokationen, keine Gewalt.
Die Stadträtin Nagel kritisiert dieses Entgegenkommen – mit Verweis auf das Jahr 2011. Damals lockerte der Club nach einem Trauermarsch für einen verunglückten SL-Anhänger, der im Bruno-Plache-Stadion endete, ebenfalls viele Hausverbote. Öffentlich sprach sich Lok weiter für Vielfalt und Toleranz aus, hinter den Kulissen wurde die politisch neutrale Fangruppe Blue Side Lok kurz darauf aus der Kurve verdrängt. Es heißt, von Scenario-Anhängern.
"Wir werden so etwas nicht noch einmal zulassen, sondern ganz genau hinsehen. Wir arbeiten eng mit dem Fanprojekt, dem Fanbeirat und der Polizei zusammen", sagt Spauke. "Aber wenn es aktuell tatsächlich Drohungen geben sollte, müssen Namen genannt werden, damit wir handeln können."
Zunächst gab es dafür keinen weiteren Anlass. Eine Woche nach dem Scenario-Abschied bleibt es ruhig. Die Ultras der Fankurve 1966 peitschen ihre Elf beim 2:1-Sieg gegen Carl Zeiss Jena II nach vorne. Viele heisere Stimmbänder, als weit rechts, neben der 1932 erbauten denkmalgeschützten Holztribüne die untergehende Sonne den Himmel im Leipziger Westen orange färbt.
Links, ganz nah, stehen ein Dutzend Polizisten mit wachsamem Blick, noch weiter links beginnen die Blöcke der Gegengerade. Sie ist gut gefüllt, nur Sektor 1 ist ziemlich verwaist. Es ist der Platz, an dem sich zuvor Scenario Lok gruppierte. Die Ehemaligen stehen jetzt verteilt im Stadion. Heiko Spauke hofft, dass es dabei bleibt. Allein auf Hoffnungen wollen sie beim 1. FC Lok nicht mehr vertrauen.
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