Thomas Beschorner

Prof.denkt.schreibt, St.Gallen

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Universität: Wirtschaft ist Kultur

Als ich in den neunziger Jahren studierte, gab es unter uns Wirtschaftswissenschaftlern einen Witz: "Soziologen sind diejenigen, die eigentlich Ökonomie studieren wollen, aber nicht so gut rechnen können." Das Traurige an diesem Spruch ist: Eine Vielzahl von Ökonomen würde ihn wohl auch heute noch so ähnlich unterschreiben. Der Kern der modernen Volkswirtschaftslehre ähnelt noch immer und womöglich zunehmend eher einer naturwissenschaftlichen denn einer sozialwissenschaftlichen Disziplin. Das Verhängnisvolle an dieser Sichtweise ist, dass viele Ökonomen stolz darauf sind. Sie feiern die eigenen Methoden als ideologiefrei und deshalb überlegen: Volkswirtschaftslehre, die Königin der Sozialwissenschaften!

Es gibt eine zarte Gegenströmung gegen diesen Kanon an wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, die unter der Bezeichnung Plurale Ökonomik firmiert. Die Bewegung fordert - nomen est omen - eine Öffnung der Ökonomik gegenüber Erkenntnissen aus anderen Disziplinen, etwa den Kognitions- und Neurowissenschaften, aber auch Geschichtswissenschaften oder der Soziologie. Ein breiteres Spektrum von ökonomischen Ansätzen, und nicht nur ein dominanter Mainstream, soll zu einem besseren Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge in der Forschung beitragen und ebenso Studierende zum Nachdenken befähigen, statt sie nur mit theoretischem Standardlehrbuchwissen zu indoktrinieren und abzurichten. Man könnte auch sagen: zu verdummen. Dabei ist man für vieles offen, plural eben.

Thomas Beschorner

ist Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen.

Die Kritiker an der Kritik lassen nicht lange auf sich warten. Die Dogmatiker entgegnen abgekürzt: "Nur, weil ihr nicht so gut rechnen könnt... ." Die gemäßigten Verteidiger der eigenen Zukunft gehen rhetorisch geschickter vor: "Irgendwie habt ihr ja ein bisschen recht, aber das machen wir doch schon alles." Die Reformbemühungen prallen insofern tendenziell an der traditionellen Volkswirtschaftslehre ab, weil man nicht so recht weiß (oder wissen will), was denn Neues zu tun sei. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

Die Wirtschaftswissenschaften müssen reformiert werden

In der Tat ist an Teilen dieser Verteidigung etwas dran: Die moderne Verhaltensökonomik bezieht heute vermehrt psychologische, neurowissenschaftliche und evolutionstheoretische Überlegungen ein. Unternehmen werden nicht mehr nur als gut geölte Maschinen verstanden, bei denen lediglich die richtigen Hebel umgelegt und an Stellschrauben gedreht werden muss. Systemische Zusammenhänge, etwa auf Finanzmärkten, werden nicht mehr als (kalkulierbare) Risiken begriffen, sondern durch verschiedene Szenarien unter Unsicherheit modelliert, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ist also alles schon da, besteht kein Handlungsbedarf für Reformen in den Wirtschaftswissenschaften? Ich denke: Nein!

Erstens scheinen mir diese Entwicklungen weiterhin eher an den Rändern der Disziplin abzulaufen. Zweitens, und noch wichtiger, betreffen sie nicht den Kern eines notwendigen neuen ökonomischen Denkens. Ich sehe insbesondere bei vier Aspekten einen Handlungsbedarf, die eine prinzipielle Sichtweise des Ökonomischen und der Ökonomik als Wissenschaft betreffen. Adressiert sind die folgenden Themen an beide Parteien: Der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften sollte sich öffnen und weiterentwickeln; die Pluralos sollten ihre Anliegen schärfen. Plural ist sympathisch, birgt aber die Gefahr, alles und deshalb nichts zu umfassen. Das ist auf Dauer zu viel und zu wenig zugleich.

1. Der homo oeconomicus ist tot, lang lebe der homo oeconomicus?

Der homo oeconomicus ist die zentrale Kunstfigur (und kein Menschenbild) der Ökonomen, die ihren Analysen wirtschaftlicher Phänomene zugrunde liegt. Erkenntnisse aus anderen Disziplinen zeigen jedoch, dass Menschen nicht stets ökonomisch rational ihren Nutzen maximieren. Tatsächliches Handeln ist komplexer. Menschen treffen Entscheidungen nie losgelöst, sondern innerhalb bestimmter kognitiver Mind-Sets ( frames), oder haben ein Gefühl für Fairness. Solche und ähnliche Aspekte menschlichen Handelns sind längst auch in den Wirtschaftswissenschaften angekommen, wenn auch mit ziemlicher Verspätung.

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