Der Maler Hartmut Kiewert stellt mit seinen großformatigen Bildern in leuchtenden Farben Tiere ins Zentrum. Oft greift er dabei auf kunsthistorische Sujets zurück, die er umdeutet. Und das alles mit überzeugendem Können. Wir haben ihn für ein Interview gewonnen.
Schon als Kind habe ich viel gezeichnet und wollte eigentlich damals schon Maler werden. Von 2003 bis 2010 habe ich Malerei und Grafik an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle studiert. Nach einem Aufbaustudium ebenda bin ich seit 2012 selbstständig als freischaffender Künstler tätig. Ich habe das Glück, meinen Lebensunterhalt mit Malerei bestreiten zu können. Seit 2014 lebe ich in Leipzig, wo ich mein Atelier auf dem Gelände der ehemaligen Baumwollspinnerei habe.
Während meiner Studienzeit habe ich angefangen, mich in verschiedenen sozialen Bewegungen, wie etwa der Anti-Atom-, Antimilitarismus- und Umweltbewegung zu engagieren. Schließlich wollte ich mein gesellschaftspolitisches Engagement in meine Malerei einfließen lassen. Da die Beziehung von Menschen zu anderen Tieren zum einen schon seit den ersten Höhlenmalereien fester Bestandteil der bildenden Kunst ist, dachte ich, dass sich dieses Thema im Medium der Malerei auch gut neu verhandeln lassen könnte. Zum anderen war die krasse Gewalt vor allem gegenüber sogenannten „Nutztieren" eine der ersten großen Desillusionen über den Zustand der Welt, als ich als Kind herausfand, wo Fleisch her kommt. Es ist also auch ein Thema, das mich schon sehr lange beschäftigt.
Es gibt einige Pigmente und Malmittel, die tierlichen Ursprungs und damit nicht vegan sind. Elfenbein- bzw. Knochenschwarz, das aus Knochen von anderen Tieren gewonnen wird etwa oder Malmittel wie Eitempera, Hautleim oder Pinsel aus Tierhaaren. Da ich mich für die Befreiung aller Tiere aus Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen einsetze, ist es für mich selbstverständlich, keinerlei tierliche Produkte zu verwenden.
Welche anderen Bereiche sind für dich beim Thema Tierschutz wichtig - außer deiner Kunst?Da Tierschutz meist eher einen reformistischen und paternalistischen Ansatz darstellt, sympathisiere ich eher mit den Begriffen Tierrechte und Tierbefreiung. Wie schon angeklungen bin ich neben meiner Malerei auch aktivistisch engagiert, etwa beim Verein die tierbefreier*innen e.V. oder dem Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie. Mir ist es sehr wichtig, auch auf der Straße für die Befreiung aller Tiere einzustehen.
Durch Verschiebung und Neukontextualisierung versuche ich in meinen Bildern nichtmenschliche Tiere, insbesondere so genannte „Nutztiere" als Akteur*innen und Subjekte ihres eigenen Lebens zu zeigen. Ich möchte die Objektifizierung und die Abriegelung des Mitgefühls ihnen gegenüber durchbrechen. Schweine, Hühner und Kühe sind den Mastanlagen und Schlachthöfen entrückt und erobern Wohnzimmer, Parks und Shoppingmalls. Die Begegnung zwischen Menschen und anderen Tieren gestaltet sich in meinen Bildräumen auf Augenhöhe und freiwilliger Basis. Die Tierindustrie ist ruiniert und gehört der Vergangenheit an.
Allerdings ist in meinen Malereien die notwendige Transformation hin zu einer Welt ohne Ausbeutung und Herrschaft noch nicht abgeschlossen, sondern nur angerissen. Die Bildräume sind noch den heutigen Alltagswelten entlehnt und zeigen somit keine abgeschlossene Utopie. Sie stehen eher für ein fragend schreiten wir voran, um ein Motto der Zapatistas zu zitieren. (Die Zapatistas sind sozialrevolutionäre indigene politische Gruppierungen im Süden Mexikos, vor allem im Bundesstaat Chiapas.) Ich möchte mit meinen Bildern zum Antizipieren dieser Transformationsprozesse einladen.
Um eine funktionierende, zukunftsfähige Welt zu erreichen, die allen Arten gerecht wird, müssen sich die Strukturen unserer heutigen Gesellschaften radikal ändern. Architektur, Städteplanung, Mobilität, Produktion und Distribution wären nicht mehr durch die ausschließende, zerstörerische patriarchal-kapitalistische Perspektive geprägt. Ausgangspunkte für die Organisation dieser neuen Strukturen wären die diversen Körper und Bedürfnisse der unterschiedlichen tierlichen und menschlichen Individuen. Das Ermöglichen einer freien Entfaltung müsste tierliche und menschliche Akteur*innen gleichermaßen inkludieren. Hierbei ist es sicherlich eine große Herausforderung, die Einbeziehung von anderen Tieren auf eine möglichst nicht paternalistische, empowernde Weise zu gestalten.
Selbstverständlich würden keine Lebewesen, egal ob Mensch, Kuh oder Maus mehr eingesperrt und ausgebeutet. In von Autos befreiten Städten würde der Asphalt weitgehend weichen. Die entstehenden Freiräume böten neue Mit-Gestaltungsmöglichkeiten auch für Igel, Schweine, Käfer und viele weitere Bewohner*innen. In diesen neu zu gestaltenden Habitaten der Begegnung könnten sich dann auch vormals domestizierte Tiere, wie Katzen oder Hühner, schrittweise von Menschen emanzipieren, sich praktisch selbst de-domestizieren.
Ansätze solcher Praxen konkreter, bereits gelebter Multispezies-Utopie bzw. den Vorschein davon, finden wir heute etwa schon bei Lebenshöfen, der Idee des Animal Aided Designs oder dem architektonischen Ansatz der Kohabitation. Und ich hoffe, dass auch ich mit meinen Malereien einen kleinen Beitrag auf dem Weg in eine multispeziesgerechte Welt leisten kann.