Susanne Greiner

Journalistin, Landsberg am Lech

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„Indien" - oder „Vom Ei zum Omelette"

Landsberg - Mit dem Arbeitskollegen verbringen viele mehr Zeit als mit dem Partner: Zwangsgemeinschaften oft unterschiedlichster Charaktere. Doch scheinbar verbündet sich der Mensch mit seinem ‚Leidensgenossen'. Aus Zwang wird Freundschaft - oder so. Denn zusammen lässt sich das da draußen besser ertragen, auch wenn dieses ‚zusammen' eigentlich gar keines ist. So ungefähr könnte die Inhaltsangabe des Stückes „Indien" von Josef Hader und Alfred Dorfer lauten. Eine hessisch-bayerische Version des urösterreichischen Stoffes zeigte das Ensemble „Theaterkultur" am Wochenende im Stadttheater. Drei glänzende Schauspieler. Und eine absolut überzeugende Inszenierung.

„Indien" erzählt die Geschichte, wie aus Heinz Bösel und Kurt Fellner Heinzi und Kurti werden. Im Original reisen die beiden durch Österreichs Hinterland und testen Hotels. In der Theaterkultur-Inszenierung ist Heinz (Andreas Bittl) der grantelnde Bayer, Kurt (Sven Hussok) der unerträglich besserwisserische und unaufhörlich quasselnde Hesse; gereist wird durch Niederbayern. Heinz testet die Küche, isst Schnitzel, immer. Kurt drangsaliert das Gastropersonal, aus reiner Freude an der Macht, die die Hotelbewertung verleiht.

Anfangs sind sich beide fremd. Bis Kurt den ersten Satz sagt, vergehen Minuten. Bis Heinz das ‚Maul' aufmacht, gefühlt Stunden. Sie sprechen, aber nicht miteinander. Kurt schwadroniert übers Wetter, Heinz schweigt und isst. Das erste, was durchs Schnitzelfett dringt: Kurts Weisheiten über andere Länder und da immer wieder Indien. Das Wort, das für alles steht, was fremd ist. Und das den einen gemeinsamen Nenner der beiden nennt: das Fremde, das Unverständliche, das da draußen. Das verkörpert in der Theaterkultur-Inszenierung auch Sophia Rogall in ihrer Rolle als Gastwirtin und, nach der Pause, als Ärztin: Sie die von den beiden Männern entweder gar nicht oder nur verachtend wahrgenommen wird, weiß die Antworten - auf alles.

Erste Annäherungen der Männer laufen über Schadenfreude: gegenüber anderen und gegenüber dem Kollegen, über das Schmalzbrot, das Heinz dem Hessen statt Torte ins Gesicht schmettert. Oder über Beleidigungen, wenn Kurt den Bayern als „ignorante blöde Arschgeige" benennt. Dann geht es übers Körperliche, die Magenschmerzen nach dem „frisch gepressten Orangensaft" (Fanta), der Alkoholexzess samt einem der sicher frauenverachtendsten Monologe der Theaterwelt, schließlich der Dialog zwischen dem vor und dem auf dem Klo. Fäkalien schweißen zusammen, aus Fellner und Bösel werden Heinzi und Kurti.

Nach der Pause dann der Bruch: Aus Hotels wird das Krankenhaus, Heinz besucht Kurt, denn der hat Hodenkrebs und nur noch zwei Wochen zu leben. Die Hilflosigkeit in den Dialogen zweier sich eigentlich fremder Menschen, die der drohende Tod auf ihre Gemeinsamkeit, das Menschsein, reduziert, zeigen Haders und Dorfers Dialoge so deutlich, dass Zuhören fast wehtut. Kurt hangelt sich am Gedanken der Wiedergeburt, derWeg vom Ei zum Omelette, entlang. Eigentlich alles gar nicht so schlimm - bis die Ohnmacht und Angst gewinnt: „Warum ich? Warum nicht du?", brüllt er Heinz entgegen. Der kontert mit Durchhalteparolen. Was Kurt mit dem wohl essentiellen Satz des Stückes kommentiert: „Heinzi, schön, dass du da bist, weil du nichts verstehst". Wenn's ans Eingemachte geht, muss der andere nicht verstehen. Nur da sein gegen das drohende Nichts.

Alle drei Schauspieler überzeugen. Bittl badet im Bayern-Klischee, Hussok genießt die feiste Besserwisserei bis ins letzte Zehenglied. Und Rogall spielt durch, diverse Gastwirtinnen und eine Ärztin, alle ein Bollwerk der Weisheit gegen die Verachtung der Männer. Alles andere unterstützt dezent im Hintergrund: Das Bühnenbild ist reduziert, Tische, Stühle, ein Rollstuhl, der Tropf. Wenn Kurt über seine Idee von Indien spricht, ertönt ein Glockenspiel, im Krankenhaus wird der unerträgliche Tod im Presslufthammer samt Stroboskopeffekt hör- und sichtbar. Aber im Zentrum stehen die Worte.

Die sind schon im Original jenseits von ‚politically correct' und fern hochgestochener Formulierungen. Es menschelt, exzessiv. Doch was der originale Wiener Schmäh noch charmant erscheinen lässt, machen Hessisch und Bayerisch zunichte. Weshalb in der Theaterkultur-Version einiges, was die beiden Männchen von sich geben, noch derber und unkorrekter wirkt. Wett macht das hier die Musik mit dem genialen Griff zum Volkslied „In einem kühlen Grunde", Eichendorffs romantisch-düstere Zeilen: „Ich möcht' am liebsten sterben, Da wär's auf einmal still!" Das Lied, gesungen von den drei Schauspielern, ist das erste, was zu hören ist, Poesie noch vor Kurts Auslassungen über Schweinefett, Rosenkränze und Hotelflur-Teppiche. In den ‚Pausen', die die einzelnen Tage markieren, sorgt das Lied, bis auf das Wort „sterben" nur gesummt, für prophetisch-düstere Untermalung. Und es hat auch das letzte Wort. Wenn Kurt schließlich seinen ‚Weg zum Omelett' geht, wird wieder gesummt. Bis auf das letzte Wort: „still".

Das Publikum im gemäß der aktuellen 75-Prozent-Regel fast ausverkauften Saal belohnte das Ensemble mit Bravo-Rufen.

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