Es ist eine Sensation. Seit der letzte Teil der Viviane Amsalem-Trilogie „GET - Der Prozess der Viviane Amsalem" in Israel ins Kino kam, wird ein über 1000 Jahre altes Gesetz, das männliche Recht auf den Scheidebrief, heiß diskutiert. In Israel darf eine Ehe, die vor dem Rabbinatsgericht geschlossen wurde, nur durch den Mann aufgelöst werden. Die Geschwister Ronit und Shlomi Elkabetz über eine Frau, die für ihr Scheidungsrecht kämpft.
globe-M: Sie sind Bruder und Schwester. Ronit, Sie übernehmen die Hauptrolle und gemeinsam führen Sie Regie. Welchen Effekt hat diese Konstellation auf die Zusammenarbeit?
Ronit Elkabetz: Das funktioniert sehr gut. Die Tatsache, dass wir Bruder und Schwester sind, bereichert unsere Zusammenarbeit und macht sie sehr interessant. Zum Beispiel nehmen wir im Hotel keine Einzelzimmer, sondern immer ein gemeinsames Zimmer. So befinden wir uns immer in der Schaffensphase. Wir verlassen fast nicht das Haus und sprechen mit Niemandem. Das ist eine sehr intensive Zeit. Ich weiß nicht, wie das mit einem Fremden möglich sein sollte. Wir wollten seit unserer Kindheit etwas gemeinsam machen. Es ist einfach perfekt, ein großes Glück und ein Geschenk des Lebens.
globe-M: In „GET" will Viviane die Scheidung, die nur mit Zustimmung ihres Ehemanns möglich ist. Warum ist der „Get", der Scheidebrief, so wichtig?
Ronit Elkabetz: Warum braucht Viviane dieses Schriftstück? Was sagt das aus? Es gibt nur eines, was diese Frau möchte. Sie ist unabhängig, sie verließ ihr zu Hause und will frei sein. Ihr Mann möchte das nicht, und das Rechtssystem in Israel lässt sie nicht frei sein. Viviane fordert nichts: Sie fragt nicht nach dem Haus oder nach dem Sorgerecht für die Kindern. Sie sind bereits erwachsen. Wir fragen auch: Was ist Freiheit? Vielleicht sieht sich Viviane als freie Frau, aber um frei zu sein, muss sie von der Gesellschaft als freie Frau anerkannt werden. Darum benötigt sie diese Bestätigung. Nur so kann Viviane Freiheit erlangen.
globe-M: Hatten Sie Vorbilder für Viviane?
Ronit Elkabetz: Wir haben uns von vielen Frauen in Israel inspirieren lassen. Es gibt keinen speziellen Fall. Hunderte von Frauen warten auf ihre Scheidung. Der erste Teil der Trilogie, in dem man Viviane nur zu Hause mit ihrem Mann und ihren Kindern sieht, beruht auf der Geschichte unserer Mutter. Die Trilogie beginnt also mit etwas, was uns sehr nah steht. Das war besonders für uns.
globe-M: Vivianes Kampf für ihre Freiheit ist das einzige Thema in „GET", die Szenen finden nur im Rabbinatsgericht statt. Woher wussten Sie, dass das im Film funktioniert?
Shlomi Elkabetz: Wir wussten, dass wir ein sehr radikales Drehbuch hatten. Schon auf Grund des Themas, weil das bisher niemand anrührte. Die Gerichtstüren in Israel sind verschlossen. Man kann das Gericht nicht betreten, also weiß keiner, was wirklich dort geschieht.
Ronit Elkabetz: Wir wussten nicht, ob es funktionieren wird. Es war eine lange
künstlerische Suche wie wir eine Geschichte erzählen, die das Rabbinatsgericht niemals verlässt. Das Gericht ist ein Ort, der objektiv sein muss, aber nicht objektiv ist. Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht und uns gedacht, dass man die Geschichte aus der Perspektive jeder Person erzählen muss. Deshalb haben wir keinen Mastershot, keine Außenperspektive.
Shlomi Elkabetz: Ob Winter, Sommer, Morgen, Regen - wir versuchten, all diese Stimmungen ins Gericht zu bringen. Daher kommt die Beleuchtung auch von Außen. Die wirkliche Arbeit war, zu filmen, wer auf wen blickt. Wir produzierten deshalb zwei Filme: einen normalen Film und einen Stummfilm.
globe-M: Sie zeigten „GET" in Cannes, waren für den Golden Globe nominiert und hätten Israel bei den Oscars vertreten. Wussten Sie von Anfang an, dass der Film so wichtig sein würde?
Shlomi Elkabetz: Den Film in Cannes zu zeigen, war eine fantastische Erfahrung. Leute aus aller Welt waren da und es fühlte sich an, als wären sie aus Israel. Sie verstanden den kompletten Film. Da hatten wir eine gute Vorstellung davon, dass der Film weite Kreise ziehen wird. Am nächsten Tag hatten wir den Film weltweit verkauft.
globe-M: Haben Sie die Situation in Israel durch Ihre Trilogie verbessert?
Shlomi Elkabetz: Als der Film vor fast drei Monaten in Israel rauskam, konnte man für die ersten Wochen kein Kinoticket für den Film bekommen. Jeder wollte den Film sehen. Und dann gab es zwei Ebenen für den Film. Zum einem die künstlerische Ebene, die Kombination aus einem Schuss schwarzem Humor mit einer Tragödie und die Geschichte dieser Frau. Zum anderen gibt es eine sehr starke politische Ebene. Letzten Monat wurden der Vorsitzende der Rabbinatsgerichte und der Oberrabbiner in Israel gefragt: Haben Sie den Film gesehen? „Nein, haben wir nicht." Seitdem wurden die Rabbiner immer und immer wieder gefragt. Später erklärten sie einem Journalisten: „Wir haben eine Entscheidung gefällt: Wir werden den Film auf der jährlichen Konferenz der Rabbinatsgerichte zeigen."
globe-M: Ist der Film also ein historisches Ereignis?
Shlomi Elkabetz: In den letzten 40 Jahren versuchten die großen politischen Parteien Israels das Scheidungsgesetz zu ändern. Niemandem gelang es, eine Gesetzesänderung durch die erste Anhörung zu bringen. Es ist das erste Mal, dass die Rabbinatsgerichte den Weg zum Scheidebrief aus der Perspektive einer Frau sehen werden - ein Verfahren, das allein die Rabbiner in den letzten 1000 Jahren bestimmt haben. Das ist etwas ganz Großes, was da passiert. 200 Rabbinerrichter sitzen im Kino und sehen sich selbst auf dem Bildschirm. Als ich das hörte, schrie ich vor Freude.
globe-M: Zog der Film noch weitere Kreise?
Shlomi Elkabetz: In Israel wurde der Film auch von vielen politischen Parteien empfohlen, von vielen Mitgliedern des Parlaments, dem Justizminister, von Professoren verschiedener Universitäten. Wir werden den Film sehr bald im israelischen Parlament zeigen. Und hoffentlich bald auch vor der UN in New York. Der Film wurde eine politische Bewegung für sich, weil die meisten Menschen, die diesen Film sehen, nicht in Bedrängnis geraten. Wer kann sich eine Frau vorstellen, die nur ihre Freiheit möchte, ohne weitere Forderungen zu stellen?
Weitere Informationen
Die Viviane Amsalem-Trilogie begann im Jahr 2004 mit „Getrennte Wege", 2008 folgte „Shiva". „Get - Der Prozess der Viviane Amsalem", der letzte Teil der Trilogie, läuft ab 15. Januar 2015 in den deutschen Kinos. Ronit und Shlomi Elkabetz schrieben gemeinsam das Drehbuch und führten gemeinsam Regie. Ronit Elkabetz spielt Viviane Amsalem. Zur Kritik von "GET" auf globe-M.