Alexander Hacke, Anfang des Jahres erzählte mir Murat Ertel von Baba Zula von der Situation in seiner Heimatstadt Istanbul. Davon, wie schwierig es für ihn geworden ist, sich dort frei zu bewegen. Sie haben Ertel und seine Band vor über zehn Jahren in Fatih Akins Film Crossing The Bridge dem deutschsprachigen Publikum vorgestellt. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Er war vor nicht allzu langer Zeit hier in meinem Berliner Studio. Wir haben ein wenig gejammt und etwas aufgenommen. Er erzählte, wie sich dort die Schlinge langsam zuzieht. Er ist zwar privilegiert genug, um dort abhauen zu können, aber er will das nicht. Jedenfalls soll es sich seit meiner Zeit dort extrem verändert haben.
Waren Sie seitdem nicht mehr in Istanbul?
Das letzte Mal 2011, es ist also schon eine Weile her. Die Neubauten haben ihr erstes Konzert in der Türkei 2003 gespielt. Seitdem versuchen wir jetzt schon seit vielen Jahren dort ein zweites Konzert zu geben. Aus unterschiedlichen Gründen hat es dann nicht mehr geklappt, mal war jemand krank oder Blixa ist am Tag vorher von der Bühne gefallen und hat sich das Bein gebrochen. Zuletzt war es tatsächlich so, dass wir wenige Tage nach diesem Putschversuch da spielen sollten. Das haben wir natürlich abgesagt.
Nicht nur in der Türkei, auch mitten in Europa wird die politische Situation chaotischer und unübersichtlicher, gewinnen autoritäre Strömungen an Einfluss. Leben wir nicht in einer Zeit, in der man sich als Künstler expliziter positionieren müsste? Ist das überhaupt möglich in einer Position wie Ihrer?
Ich habe eine explizite Position und bin auch bereit, mich dazu zu äußern, wenn ich danach gefragt werde. Aber es ist nicht primär meine Aufgabe, Statements abzugeben. Meine Aufgabe ist es, Kunst zu machen und Inhalte mit Hilfe meines Handwerks zu transportieren, die möglicherweise andere Menschen in ihrer Haltung unterstützen können. Oder ihnen im besten Falle die Kraft geben können, eine Haltung zu entwickeln. Wie die geartet ist, hoffe ich irgendwie zu übermitteln, indem man mich einfach kennt oder weiß, wofür ich stehe. Das in meiner Kunst explizit zu machen ist nicht mein Ding.
Aktuell ist Musik, die sich expliziter äußert, in Form von Hip-Hop wieder sehr präsent.
Ich kenne mich mit aktuellem Hip-Hop nicht so gut aus. Die Sachen, die ich interessant finde, haben auch eine Haltung, aber auch die ist nicht vordergründig. So etwas wie Public Enemy beispielsweise kenne ich momentan nicht.
Ich denke da beispielsweise an die Popularität eines Kendrick Lamar.
Kendrick Lamar finde ich super, aber der macht das auf einer ganz anderen Ebene. Es ist im Unterhaltungsbusiness ja auch so, dass man anders argumentieren kann. Wenn man als Aktivist oder als Politiker so argumentieren würde wie ein Hip-Hop-Künstler, würde man als zynisch gelten. So jemand wäre ja nicht ein Mensch deines Vertrauens. Für Künstler ist dieser Zynismus natürlich vollkommen in Ordnung, weil durch die Provokation bestimmte Türen in den Hirnen der Menschen geöffnet werden. Aber das sind zwei komplett verschiedene Sachen. Ich bin mir sicher, dass Kendrick Lamar, würde er zu ernsten Themen befragt, nicht so antworten würde, wie er es in seinen Texten tut. Da würde er nicht sagen: „Bitch / sit down / be humble."
Das Berliner No! Music Festival beschäftigt sich mit der Haltung des Verweigerns. Was wird Ihre Rolle dort sein?
Als mir Detlef Diederichsen von diesem Projekt erzählte, habe ich ihm die Nihilist Spasm Band aus London, Ontario gezeigt. Ihre No Music passt einfach hervorragend zu dem Konzept eines solchen Festivals und Detlef hatte die Kapazität und die Größe, sie nach Berlin einzuladen. Ich habe ihre Musik als Teenager im Zensor Plattenladen in Berlin Schöneberg entdeckt, neben der tschechischen Band Plastic People Of The Universe. Dass ich jetzt, fast 40 Jahre später, in so einem Zusammenhang gemeinsam mit ihnen spielen darf, finde ich sehr amüsant. Ich bin aber auch sehr stolz darauf. Sie haben sich in dem Jahr gegründet, in dem ich geboren bin, wir sind also gleich alt. Das sind alles gestandene ältere Herren, die zunächst ihre Hörgeräte ausschalten, die elektrischen Kazoos anstellen und dann einen Mordsradau machen.
Sie beschäftigen sich auch viel mit Film. Früher öfter auch als Schauspieler ...
Als Schauspieler - nein, nicht wirklich. Wenn das in irgendwelchen Lebensläufen aufgeführt wird, lasse ich das immer wieder rausstreichen. Ich bin kein Schauspieler und bin stolz darauf, kein Schauspieler zu sein.
Aber zumindest sehr stark als Soundtrack-Musiker. Was kann das Medium Film denn, was Musik nicht kann?
Die eigentliche Magie entsteht in dem Zusammenwirken beider Medien. Die Medien Bewegtes Bild und Musik können jeweils Unglaubliches. Wenn man beides zusammenbringt, entsteht ein drittes Element, das sich meiner Meinung nach völlig außerhalb der Kontrolle der jeweiligen Medien abspielt. Gerade im Zusammenspiel dieser beiden Kunstformen sind es so minimale Details, die unglaubliche Wirkungen hervorbringen können. Wenn man zum Beispiel Musik, angelegt auf einen Film, nur um wenige Frames nach vorne oder hinten verschiebt, passieren ganz andere Dinge in der Dramaturgie. Das finde ich total faszinierend. Das ist für mich ein moderner alchemistischer Vorgang. Es spielt sich auf einem ganz anderen Level ab als jede der Kunstformen allein für sich.
Als im letzten Jahr mit Perseverantia das zweite gemeinsame Album mit Ihrer Frau Danielle De Picciotto erschien, hieß es, sie seien schon mehrere Jahre gemeinsam auf Weltreise. Nun treffen wir uns in Ihrem Studio in Berlin. Ist die Reise nun unterbrochen oder beendet?
Sagen wir mal so: Sie ist mutiert. Unser Lebensstil hat sich ein bisschen verändert. 2010 haben wir ein Haus, das wir hier um die Ecke für sieben Jahre gemietet hatten, aufgegeben, weil wir uns nach einem neuen Lebensraum umschauen wollten. Die Suche war auf insgesamt 18 Monate angelegt. Aber nach 18 Monaten war klar, dass wir diesen neuen Ort erstens nicht gefunden haben und dass wir zweitens diesen Lebensstil, in dem wir den Großteil unserer materiellen Güter abgestoßen hatten und uns frei gemacht hatten von diesen ganzen Gewichten, sehr zu schätzen gelernt haben. Wir haben uns dann vorgenommen, das erstmal weiter zu machen. Jetzt ging es uns um das eigentliche Reisen, das Umherziehen. Der eigentliche transformative Prozess war dann, immer besser mit diesem Lebensstil, mit diesem Umstand umgehen zu können. Wenn man keine physische Heimat als Zufluchtsort mehr hat, dann muss man in der Lage sein, den in sich selbst zu generieren, sich in sich selbst zurückziehen zu können oder in sich selbst Entspannung zu finden.
Also war der Lernprozess beim Reisen, sich vom Materiellen loszumachen?
Sich vom Materiellen losmachen und etwas zu finden, was diese Komfortzonen in anderer Form ersetzen kann. Es ist natürlich ein Erkenntnisprozess, denn man merkt, wie sehr einen das ganze materielle Zeug runterzieht und beschwert. Man fängt auch an, darüber nachzudenken, wie viel Zeit und Energie man in Form von Arbeit aufwendet, für Zeug, um das man sich kümmern muss und für das man verantwortlich ist. Andererseits ist es auch so gewesen, dass wir nach fünf Jahren sehr viel Arbeit gemacht haben in den Räumen von Freunden in der ganzen Welt. Ich habe viele sehr gute Freunde belagert und ihre Arbeitszimmer für meine jeweiligen Auftragsarbeiten benutzt. Diese Räume hier wurden uns vor zwei Jahren angeboten, und wir dachten es sei dumm, sie jetzt nicht zu mieten. Wir haben nach wie vor keine richtige Wohnung in Berlin, schlafen in unserem ehemaligen Büro, aber hier können wir wieder recht effektiv arbeiten. Aktuell haben wir allerdings nicht mal ein Wohnzimmer.
Wohin wird es dann als nächstes gehen?
Danielle und ich haben ein drittes Album zusammen aufgenommen. Menetekel wird Anfang Dezember veröffentlicht. Ende des Jahres gehen wir damit auf Amerika-Tour. Ich habe seit vielen Jahren ein amerikanisches Arbeitsvisum. Die Verlängerung meines aktuellen habe ich im letzten Herbst, kurz vor der Wahl, beantragt. Kurz nach der Amtseinführung habe ich es bekommen. Seitdem waren wir sehr zögerlich, in die USA zu reisen. Wir haben mehrere Angebote ausgeschlagen und Touren, die wir im Frühjahr geplant hatten, verschoben. Mit diesen travel bans herrschte so viel Verwirrung in der dortigen Einwanderungspolitik, dass ich es nicht riskieren wollte, dass mein Visum gecancelt wird, wenn ich gerade im falschen Moment dort einreise. Das hätte ohne weiteres passieren können. Ich habe von Freunden gehört, die bloß wegen eines 15 Jahre alten Stempels aus Jemen oder Pakistan tagelang dort festgehalten wurden und im Endeffekt nicht einreisen durften. Das war mir zu riskant. Jetzt fahren wir aber im Dezember in die USA, wo wir unter anderem in New York City zusammen mit Norman Westberg von Swans auftreten werden. Der hat letztes Jahr mit MRI ein ganz hervorragendes Solo-Album veröffentlicht. Wir werden auch in Kanada auftreten, wo sich der Kreis dann wieder zur Nihilist Spasm Band schließt. In Kanada kann man übrigens die Staatsbürgerschaft durch Adoption erlangen, völlig unabhängig vom Alter. Die Band hat mir das schon öfter angeboten: „Alexander Hacke, we love you! If you wanna become a Canadian, we will adopt you!"
Haben Sie das tatsächlich vor?
Das ist eine Option, würde ich sagen. Wenn man den nordamerikanischen Kontinent so liebt wie ich, dann ist Kanada eine Möglichkeit. Einige unserer amerikanischen Freunde haben auch tatsächlich die doppelte Staatsbürgerschaft und sind schon nach Norden über die Grenze umgezogen. Denn bestimmte Probleme werden sich in den USA nicht kurzfristig lösen lassen. Unsere Lebenszeit ist begrenzt und bei solchen Idiotien wie dem Waffengesetz ist es fraglich, wie schnell da Vernunft einkehrt.
Was ist mit den Einstürzenden Neubauten?
Nach der Greatest-Hits-Tour dieses Jahr wird im nächsten Jahr noch einmal das Lament-Programm aufgeführt anlässlich des Kriegsendes 1918. Diesmal kann man es wenigstens ein Jubiläum nennen, 2014 hatte ich immer Schwierigkeiten, dafür die richtigen Worte zu finden. Ziemlich wahrscheinlich werden wir es auch in Hobart in Tasmanien spielen. Dort gibt es einen Herrn David Walsh, ein professioneller Spieler und Milliardär, der angeblich am Asperger-Syndrom leidet. Er veranstaltet dort seit vielen Jahren das „Mofo" Festival. Im australischen Winter, also im Juni zur Sommersonnenwende, gibt es zusätzlich das „Dark Mofo", bei dem wir mit den Neubauten dieses Jahr aufgetreten sind. Ein ganz tolles Festival, auf dem auch Hermann Nitsch seine 150. Aktion gemacht hat. Da werden wir wohl im nächsten Jahr noch einmal Lament aufführen.