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Nippon Connection 2022 - Die Jugend im Fokus

Nach zweijähriger Präsenzpause fand das japanische Filmfestival Nippon Connection vom 24. bis 29. Mai 2022 wieder regulär in den Frankfurter Kinos statt. Ein Schwerpunkt widmete sich den Problemen junger Menschen in Japan, wobei harte Gegenwartsanalysen neben Klassikern standen, die nichts von ihrer Aussagekraft verloren haben. Bei aller Relevanz und Publikumswirksamkeit könnte das Festival in Sachen Politkritik und Provokation jedoch durchaus noch nachlegen.

„The future will be confusing", prangt in bunten Neonlicht-Buchstaben an der Fassade des Künstlerhauses Mousonturm im Frankfurter Ostend. Die Lichtinstallation von Tim Etchells läutete 2012 einen Programmwechsel im geschichtsträchtigen Kulturhaus ein, den der im selben Jahr verstorbene Intendant Niels Ewerbeck angestoßen hatte: „Diese Arbeit von Etchells ist für mich extrem wichtig, da sie den Kern dessen beschreibt, was ein Haus wie der Mousonturm können soll: nämlich den Versprechungen auf eine sichere Zukunft, die uns täglich gegeben werden, zu misstrauen, und dieses Misstrauen produktiv, aber auch lustvoll zu hegen. So sind wir kein Haus, das einfach nur schöne Dinge präsentiert, die den Alltag vergessen lassen. Hier soll vielmehr an der Gegenwart mitgearbeitet werden. Ich will Reibung mit Menschen erzeugen, die Lust haben, sich dem zu stellen, und sie dazu zu bewegen, aus der rein rezeptiven Haltung des Zuschauers herauszutreten", erklärte Ewerbeck damals im mit dem „Top Magazin Frankfurt".

Als Besucher des Nippon Connection Filmfestivals, zu dessen Spielstätten der Mousonturm gehört, wird man öfters an Ewerbecks Ansatz erinnert. Auch bei dem japanischen Filmfestival, das 2022 zum 22. Mal stattfand, sollen Zuschauer und Filmemacher zusammenkommen und über Kultur, Gesellschaft und Politik ins Gespräch kommen und sich aneinanderreiben. Der diesjährige Programmschwerpunkt „Stories Of Youth - Coming Of Age In Japan" bot hierfür dann auch vielerlei Gelegenheiten.

Soziale Kluften und gescheiterte Liebe

Etwa in der Geschichte des 13-jährigen Junpei. Der Junge wird in der Schule gemobbt. Seit dem Tod seines Vaters versucht seine Mutter auf eigene Faust, ihrer beider Leben zu finanzieren. Neben einer Aushilfsstelle als Floristin geht sie auch der Prostitution nach. Doch während der Corona-Pandemie verschärfen sich die Geldprobleme; schon längst wohnt die kleine Familie in einer staatlich geförderten Unterkunft.

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Die Arbeits- und Lebensumstände machen an der Schule bald die Runde, und so sieht Junpei sich einer massiven Anfeindung ausgesetzt. Regisseur Yuya Ishii kommentiert mit „A Madder Red" die gesellschaftliche Ächtung eines Jungen und seiner Mutter während der jüngsten globalen Krise. Unter der oberflächlichen Solidarität gegen den gemeinsamen Feind Covid entdeckt Ishii eine noch tief verankerte Intoleranz gegenüber vermeintlich unmoralischen Berufsfeldern sowie sozialen Kluften und entlarvt mit seinem Sozialdrama die Schattenseiten der tugendhaften Wirtschaftsnation Japan.

Finanzielle Not und soziale Ächtung in „A Madder Red" (© Nippon Connection 2022)

Daigo Matsuis verweilt in „Just Remembering" hingegen nicht im Moment, sondern rollt die Geschichte zweier Geliebter von hinten auf. Zunächst vermutet man keine Verbindung zwischen der redseligen Taxifahrerin Yo und dem routinierten Theatermitarbeiter Teruo. Doch die beiden haben schon ein gemeinsames Leben hinter sich. Mit einer unkonventionellen Erzählstruktur und greifbaren Figurenzeichnungen erzählt Matsui die Geschichte einer jungen Liebe, aus deren Scheitern neben Scherben auch fruchtbare Triebe hervorgehen. Diesen Wurzeln folgt er einfühlsam, wobei sich mitunter charmante Anklänge an ähnliche Werke wie etwa Michel Gondrys entdecken lassen. Auch der renommierte Schauspieler , der dieses Jahr einen Ehrenpreis erhielt, bringt sich in „Just Remembering" als unscheinbarer Rosenkavalier auf einer Parkbank ein.

Coming-of-Age ohne Verfallsdatum

Dass Geschichten über das Aufwachsen und Heranreifen dem Zahn der Zeit widerstehen, bewies die diesjährige Auswahl der Retro-Sektion im Deutschen Filminstitut & Filmmuseum am Museumsufer. So erzählte etwa in „" bereits 1960 vom Schicksal eines Jungen, der nach dem Tod des Vaters mit seiner Mutter aus einem ländlichen Bergdorf in das belebte Tokio zieht. Bald aber wird klar, dass die vermeintlich fürsorgliche Mutter lediglich nach einer Chance für einen Neustart sucht, weshalb sie ihren Sohn kurzerhand im Krämerladen des Onkels ablädt. Naruse vermengt in diesem Spätwerk sein routiniertes Handwerk für den „shomin-geki", also Geschichten aus dem alltäglichen Leben einfacher Menschen, mit dem Heranwachsen von Nachkriegsgeneration auf beeindruckende Weise.

Der junge Hideo will eigentlich nur mit seiner Mutter zusammen sein, Insekten sammeln und mit Gleichaltrigen durch die Wiesen tollen. Stattdessen erfährt er durch alte wie junge Stadtmenschen und sogar durch seine eigene Mutter Ablehnung. Hideos wachsende Vereinsamung und der verzweifelte Widerstand gegen das frühe Kindheitsende hat Naruse berührend wie unbarmherzig auf 35mm-Zelluloidfilm gebannt.

Der japanische Star Masatoshi Nagase (r.) erhielt den Ehrenpreis (© Nippon Connection 2022)

Auch zeichnete 1986 mit „The Young and Wild" das Bild einer kriegsgebeutelten Jugend. Als Handlungsort dient Obayashis Geburtsort Onomichi in der Präfektur Hiroshima, deren Geschichte unumkehrbar mit dem Atombombenabwurf vom 6. August 1945 verbunden ist. Beinahe ausgelassen erzählt der Filmemacher von den Veränderungen des kleinen Dorfes, die mit dem Zuzug eines Jungen und seiner attraktiven Schwester verbunden sind. Im Fokus der Veränderungen stehen die Dorfkinder, die sich aus naivem Trotz dem Neuankömmling entgegenstellen und bei einem kriegerischen Planspiel das gesamte Dorf in ihre Keifereien einbeziehen.

Unter dem Deckmantel der Albernheit kreidet Obayashi die japanische Kriegstreiberei während des Zweiten Weltkriegs massiv an. Auch Themen wie Zwangsprostitution oder Denunziation finden Einzug in das humoristische Kinderspiel, das Obayashi am Ende mit einem Atompilz schlagartig verstummen lässt. Das experimentierfreudige Werk könnte angesichts der aktuellen politischen Lage in Osteuropa nicht relevanter sein.

Facettenreiche Gesellschaftskritik

Im umfangreichen Programm der diesjährigen Nippon Connection fanden sich auch Werke, die abseits des Themenschwerpunkts „Stories of Youth" gesellschaftskritische Themen verhandelten. So rückt Kasho Iizuka in „Angry Son" neben dem Thema Toleranz gegenüber homosexuellen Jugendlichen das Phänomen sogenannter „Jappinos" - Kinder mit philippinischer Mutter und japanischem Vater - in den Vordergrund. Diese dem westlichen Publikum weitgehend unbekannte Art rassistischen Alltagsverhaltens fußt auf dem sogenannten „Entertainment Visum", mit dem etwa Frauen aus den Philippinen aus unterhaltungswirtschaftlichen Gründen an den strengen japanischen Einwanderungsregelungen vorbeigeschleust werden können, um ihre Familien in der Heimat finanziell zu unterstützen.

„Angry Son" handelt von Toleranz gegenüber Homosexuellen und „Jappinos" (© 2022 Les Pros)

Auch der Dokumentarfilm „Tokyo Kurds" von Fumiari Hyuga widmet sich der rigiden Immigrationspolitik in Japan, hier mit Fokus auf zwei Jugendlichen einer kurdischen Minderheit. Eindringlich zeigt Hyuga den Alltag der beiden jungen Männer, die aufgrund bürokratischer wie politischer Blockaden immer noch als illegale Einwanderer eingestuft werden und dadurch keinen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt erhalten.

Mehr Konfrontation wagen

Neben solch schwerer Filmkost lockte die Nippon Connection auch mit einem breiten Kulturprogramm für unterhaltungsfreudige Japan-Fans. So präsentierte Shinichiro Ueda seine neueste Filmblödelei „ um einen Geschäftsmann, dessen bestes Stück kurzerhand mit Schallgeschwindigkeit in die Lüfte davonfliegt und von seinem Eigentümer mit einem Spezialfangnetz durch ganz Japan gejagt wird. Auch Takashi Miike fand einen Platz im Festivalprogramm, mit dem Abschluss seiner überdrehten Gangster-Actionkomödie „". Und auch Anhänger animierter Filmkunst kamen auf ihre Kosten, etwa bei Mamoru Hosodas bildgewaltigem Neuzeit-Märchen oder dem Anime-Musical von Yasuhiro Yoshiura. Wer hingegen eine Auszeit von dunklen Vorführsälen brauchte, konnte bei den zahlreichen Workshops, Konzerten oder kulinarischen Angeboten andere kulturelle Facetten Japans kennenlernen.

Auch nach dem Ende des Festivals konnten japanische Filmliebhaber noch bis zum 6. Juni über den festivaleigenen VoD-Service ausgewählte Filme gegen eine geringe Leihgebühr nachholen. Nach zweijähriger Online-Ausspielung war es absolut begrüßenswert, auf diese Weise am filmischen Geschehen teilhaben zu können. Bedauernswert war lediglich der geringe Umfang von nur knapp 35 Filmen, unter denen sich keiner der prämierten Gewinnerfilme befand.

Auch Klassiker wie „The Approach of Autumn" haben einen festen Platz (© 1960 Toho Co., Ltd)

In der Festivalauswahl fanden sich durchaus Werke, die gesellschaftskritische Haltungen aufgriffen und thematisierten. Gezielt kritisch wie im Dokumentarfilm „TARGET" über den staatlich diffamierten Journalisten Takashi Uemura oder gar provokant wurde es hingegen nur vereinzelt. Hier könnte das Auswahlkomitee künftig durchaus mutiger agieren und mehr Reibung im Sinne von Niels Ewerbeck provozieren.

Dennoch bleibt Nippon Connection ein relevanter und publikumswirksamer Begegnungsort japanischer und westlicher Kultur, dessen in grellem Pink erleuchtete Turmfassade man in einer verwirrend unsicheren Zukunft nicht missen will.

Die Gewinner des 22. Nippon Connection Filmfestivals

Nippon Cinema Award: „The Asadas" von Ryota Nakano

Nippon Visions Jury Award: „Unlock Your Heart" von Rin Shuto

Nippon Visions Audience Award: „Just The Two Of Us" von Keita Fujimoto

Nippon Docs Award: „Tokyo Kurds" von Fumiari Hyuga

Nippon Honor Award: Masatoshi Nagase

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