VON STEFANIE HEITMANN
Neuenkirchen. Seit der Nuklearkatastrophe im Atomkraftwerk von Fukushima in Japan 2011 steht die Energiewende ganz oben auf der Liste der Bundesregierung. Doch wie sie gelingen soll, darüber wird seit Jahren diskutiert und debattiert. Eine Option: Statt gefährlicher Radioaktivität und dreckiger Kohle sehen vor allem die fördernden Unternehmen Erdgas als „saubere" Alternative. „Diese Ansicht hatte sich auch bei vielen Politikern verbreitet. Dabei kann die Energiwende mit einer besseren Energieeffizienz und dem Ausbau erneuerbarer Energien komplett gelingen", sagte Dr. Julia Verlinden, Mitglied des Bundestages der Partei Bündnis 90/Die Grünen und Sprecherin für Energiepolitik, bei einer Podiumsdiskussion am vergangenen Dienstag im Schröers Hof in Neuenkirchen, bei der es um das Thema Fracking und die Folgen für Mensch und Umwelt ging.
Dabei ist das Fördern von Erdgas aus tiefen Gesteinsschichten mittels Chemikalienlösungen umstritten. Neben auftretenden Erdbeben sind insbesondere die vermehrten Krebserkrankungen in den Gebieten mit Erdgasbohrstellen beunruhigend.
Der Landkreis Rotenburg hatte gemeinsam mit den Landkreisen Heidekreis und Verden beim Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsen (EKN) eine Untersuchung der Krebserkrankungen in allen drei Landkreisen in Auftrag gegeben. Dabei wurde festgestellt, dass zwischen 2003 bis 2012 41 Männer aus der Samtgemeinde Bothel an Blutkrebs erkrankten - fast doppelt so viele wie statistisch erwartet. Für den Bereich der Stadt Rotenburg wurden statt der erwarteten 55 Fälle 72 Erkrankungen registriert. Im Bereich Neuenkirchen-Schneverdingen wurden 29 Erkrankungen registriert. Dies sei laut EKN aber keine signifikante Erhöhung. „Das zweifel ich an", sagt Bernd Ebeling. „Für die Auswertung wurden Bereiche aufgeteilt, in denen mindestens 6000 Einwohner leben. Weil Neuenkirchen aber kleiner ist, wurde Schneverdingen hinzugezählt. Dort gibt es aber keine Bohrstellen. In Tewel, Brochdorf oder Behningen, also an den Bohrstellen, sollten Erhebungen gemacht werden, denn da gibt es erhöhte Krebsraten wie in Hemslingen oder Söhlingen zu sehen", sagte der Ingenieur. Auch Katrin Otte vom Gemeinnützigen Netzwerk für Umweltkranke glaubt an einen Zusammenhang. „Die verwendeten Schadstoffe können toxisch sein, schädigen Hormone und Gene oder lösen Mutationen aus.
Dass die beim Fracking eingesetzten Chemikalien für vermehrte Krebserkrankungen im Landkreis Rotenburg verantwortlich sein könnten, ist bisher nur eine Vermutung. Dass die verwendeten Stoffe, wie Arsen, Blei, Benzol oder Strontium gesundheitsgefährdend sind, ist jedoch Fakt. „Was bei dem Abfackeln etwa für Schadstoffe und in welchen Konzentrationen wirklich in die Luft gelangen, dazu gibt es keine Messwerte", sagte Otte.
Ebeling nahm im Auftrag der Grünen aus dem Heidekreis an verschiedenen Bohrsonden nach sogenannten Abfackelungen Wasser und Bodenproben und wies einen stark erhöhten Quecksilbergehalt nach. So waren in einem Kilogramm Erde nahe der Bohrstelle Giltenheide Z1 bei Behningen 5,7 Milligramm (mg) Quecksilber nachzuweisen. Proben von der Asphaltoberfläche der Bohrstelle ergaben sogar 13,4 mg. Die Richtlinien verbieten in Deutschland die Nutzung von Flächen, die mit mehr als 2 mg Quecksilber belastet sind. Die fördernden Unternehmen ihrerseits veröffentlichen ebenfals Messdaten, die aber unterhalb der Grenzwerte liegen. Ebeling kam bei seinen Untersuchungen aber immer auf Werte weit jenseits der 2 mg. „Ich traue den offiziellen Zahlen deshalb nicht ", sagt er. Dafür zuständig ist das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG). Ebeling hat seine Ergebnisse sofort gemeldet, doch bis jetzt sei nichts passiert.
Dass die Sicherheitsvorschriften nicht ausreichten, zeige sich in den USA und den Niederlanden, wo seit Jahren Fracking im großen Stil betrieben wird. „Die Beton-Verschalungen der Bohrlöcher zeigten bereits nach drei Jahren Brüche", sagte Katrin Otte. Auch die anwesenden Bürger stimmten zu. „Die Unternehmen fackeln ja nicht ab, weil sie zu viel Gas haben, sondern weil sie die Bohrgestänge reinigen wollen", sagte eine Dame. „Dazu wird etwa Ameisensäure genutzt um Rückstände in den Rohren zu lösen. Einen Messwagen habe ich bei diesen Abfackelungen noch nie gesehen", sagte sie weiter.
Ein weiterer Punkt, den Ebeling ansprach, ist der hohe Wasserverbrauch beim Fracking. 1,9 Millionen Kubikmeter Wasser benötigt etwa Exxon Mobil in einem Jahr für das Schiefergas-Fracking, hat Ebeling errechnet. Im Vergleich dazu werden vier Millionen Kubikmeter Wasser zum Bewässern einer Fläche von 260 Quadratkilometern Feldfläche benötigt, geht aus einem Gutachten des Umweltbundesamtes hervor. „Der Grundwasserverbrauch ist viel zu hoch", sagte Ebeling. Auch die Klimabilanz von Fracking sei negativ, denn bei der Gasgewinnung werde Methan freigesetzt, dass viermal schädlicher für die Atmosphäre ist, als Kohlendioxid.
Die Folgen für Natur und Umwelt seien nicht abschätzbar. „61 Prozent der Bürger sind laut einer Infratest-Umfrage für ein vollständiges Frackingverbot", sagte Sven-Christian Kindler, Mitglied des Bundestages für die Grünen. Dafür setzen sich die beiden MdB's Verlinden und Kindler in Berlin ein. „Wir wollen eine Novellierung des Bundesberggesetzes", sagte Verlinden. So sollen Risiken genau untersucht transparent gemacht und bewertet werden, bevor darüber entschieden wird, ob eine Erdgasförderung zulässig ist. Dies soll auch für Lagerstätten gelten. „Die Politik muss das Vorsorgeprinzip leisten. Das Credo 'Es könnte etwas passieren' muss ausreichen", so Verlinden.
Artikel erschienen in der Walsroder Zeitung