Stefan Rochow

Journalist und Medienunternehmer, Schwerin

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Artikel

Ideologiespiele

V.l.n.r.: Der Landesvorsitzende der Linken, Klaus Lederer, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Ramona Pop bei der Vorstellung des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags.

„Impulslos, hoffnungslos, trostlos“ – Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag – Eine Analyse.

Die Ernennung des Stadtsoziologen Andrej Holm zum Staatssekretär für Wohnen steht im Mittelpunkt, wenn es um die neue rot-rot-grüne Koalition in Berlin geht. Holm hatte sich noch 1989 als hauptamtlicher Mitarbeiter für die Stasi verpflichten lassen. Damals war er 18 Jahre alt und spricht heute von einer „Jugendsünde“. Weniger bekannt ist Holms Engagement im linksextremistischen Milieu. 2007 wurde er mit dem Vorwurf verhaftet, Mitglied der „militanten gruppe“ zu sein, einer terroristischen Vereinigung, die regelmäßig Brandanschläge verübte. Der Bundesgerichtshof hielt die Beweise für nicht ausreichend und setzte den Soziologen wieder auf freien Fuß. Im Urteil macht der Gerichtshof aber deutlich, dass Holm eine „linksextremistische Einstellung“ habe. Er sei „in die entsprechende Szene im Raum Berlin eingebunden“ und es gebe Hinweise auf „seine Gewaltbereitschaft“.

Die Personalie Holm ist so etwas wie der letzte Mosaikstein. Schaut man in den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag, dann strotzt er an vielen Stellen vor Ideologie. Mit vollen Händen greift man in den links-alternativen Wühltisch und hübscht das alles noch mit ein paar Zusatzangeboten aus der Sozialdemokratie auf. Am Ende sind es dann 177 Seiten geworden, die detailliert Auskunft geben, wohin die Reise gehen soll. Die Koalitionäre präsentieren sich als eine Art progressives Versuchslabor: „Die Koalition will die Potenziale der Hauptstadt Deutschlands als Schmelztiegel für zukunftsfähige, progressive Ideen und Forschungen entwickeln und wird sich mit politischen Initiativen und Zukunftskonzepten in die Diskussionen zur sozialen, ökologischen und demokratischen Modernisierung der Gesellschaft einbringen.“


Wie diese Modernisierung aussehen soll, das wird beim Blick in das Kapitel „Die Hälfte der Macht den Frauen“ deutlich. „Die Koalition verpflichtet sich auf allen Ebenen der Doppelstrategie von Gender Mainstreaming und spezifischen Angeboten zur aktiven Gleichstellungspolitik. Die Koalition intensiviert Bildungsangebote zur Überwindung stereotyper Rollenbilder und Sexismus in Schulen, im Lehramt und der Weiterbildung“, heißt es dort. Und weiter kann man lesen: „Die Koalition wird öffentliche Mittel geschlechtergerecht ausgeben. In der Verwaltung, den landeseigenen Betrieben und solchen mit Landesbeteiligung wird Gender Budgeting und Gender Mainstreaming konsequent auf allen Ebenen umgesetzt.“ Geschlechtergerechtigkeit zieht sich hier durch das gesamte Kapitel. Schaut man etwas genauer hin, kann man nur einen einseitig ausgelegten feministischen Gerechtigkeitsbegriff entdecken. Der Mann als Repräsentant des „Patriarchats“ scheint sowieso privilegiert zu sein und spielt in den Überlegungen nur dann eine Rolle, wenn er in die gleichstellerischen Aspekte hineinpasst. Weiter möchte die neue Regierung die Familien- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen ausbauen. Was davon zu erwarten ist, lässt sich nur erahnen. Berlins alter und neuer Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte im September das sogenannte „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ unterstützt, das gegen den alljährlich stattfindenden „Marsch für das Leben“ mobilisierte. Müller hat damit deutlich gemacht, wie er Lebensrecht sieht. Seine Koalitionäre der Linken und Bündnis 90/Die Grünen standen ebenso auf der Seite derer, die Stimmung gegen die Lebensrechtler gemacht hatten. Der Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, Martin Lohmann, sagte damals: „Mir ist unverständlich, wie ein regierender Bürgermeister etwas Antidemokratisches unterstützen kann. (...) Ein Berlin, das diese Botschaft (Recht auf Leben – Anm. der Redaktion) nicht erträgt, ist keine weltoffene Stadt.“


Was beim Lebensrecht an Weltoffenheit fehlt, das findet man im Koalitionsvertrag unter dem Stichwort „Regenbogenhauptstadt Berlin“. Der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ (ISV) möchte man neuen Schwung verleihen. Das Ziel der Initiative ist die Förderung der Akzeptanz von LSBTTIQ (Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen, Transgendern, Intersexuellen und Menschen, die sich als Queer verstehen) in der Schule, bei Behörden, in Verbänden, in Betrieben sowie in der Zivilgesellschaft. Dafür sollen die Haushaltsmittel verdoppelt werden. Beim Bund möchte man die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Regenbogenfamilien und Mehrelternschaften verbessern. So tritt die neue Koalition für das volle Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ein.


In Sachen Religion erwähnt der Koalitionsvertrag Muslime und die jüdischen Gemeinden. „Die Koalition wird die Verankerung der islamischen Feiertage und religiösen Feste im Bewusstsein der Stadt und die Verstärkung in der öffentlichen Wahrnehmung vorantreiben.“ Auch möchte man das jüdische Leben fördern und „Antisemitismus entschieden entgegentreten“. Über die Kirchen sucht man im Koalitionsvertrag allerdings vergeblich etwas.


„Impulslos, hoffnungslos, trostlos“, so fasst der CDU-Fraktionsvorsitzende Florian Graf die rot-rot-grünen Koalitionspläne zusammen. Seriöse Haushaltspolitik werde über Bord geworfen, um „jede Parteiströmung einzukaufen und Ideologie zu finanzieren“. Tatsächlich besteht das größte Risiko für die Koalition und die ganze Stadt in der Finanzierung der rot-rot-grünen Wundertüte. Nach der Euphorie über den Ausbau Berlins zu einer rot-rot-grünen Musterstadt kann schnell der Katzenjammer folgen. Die Fallhöhe für Rot-Rot-Grün kann enorm sein. Die überregionale Aufmerksamkeit ist garantiert.

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