Veggie-Schnitzel sollen Fleischesser zu Gemüse verführen. Es gibt nur ein Problem: Sie schmecken ihnen nicht.
Der erste Biss schmeckt nach Kartoffelchips mit Sour Cream und leichter Paprikanote. Das soll ein Schnitzel sein? Ich bin in Wien geboren und aufgewachsen, bei uns gehören Schnitzel auf jede gute Speisekarte, ich habe schon unzählige gegessen. Nun stehe ich in der Testküche des Wurstproduzenten Rügenwalder Mühle und probiere mein erstes Veggie-Schnitzel. "Und, wie schmeckt's?", fragt Hannes Timmermann. Ich will nicht unhöflich sein. Aber mit dem Wiener Original hat dieses faserige, hühnerfleischähnliche Ding nichts zu tun.
Eine halbe Stunde zuvor noch hat der 27-jährige Hannes Timmermann in der Testküche eingeweichte Weizenkeime, Sojabohnen, getrocknetes Eiweiß, Soja- und Weizenmehl, Verdickungsmittel, Rapsöl und Gewürze verrührt. Die hellbeige Masse stach er mit einer Kunststoffschablone in identisch aussehende Schnitzel, panierte sie und brutzelte sie in der Fritteuse. Man sah ihm an, dass er das nicht zum ersten Mal gemacht hat. Veggie-Schnitzel sind sein Beruf.
Hannes Timmermann ist Lebensmittelingenieur. Er hat seinen Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen Lebensmittelproduktion an der Hochschule Osnabrück absolviert und davor eine Lehre zum Chemielaboranten gemacht. Seit zwei Jahren ist er für die Entwicklung neuer Fleischersatzprodukte bei der Firma Rügenwalder Mühle zuständig.
Nicht nur Lebensmittelingenieure wie Timmermann, sondern auch Chemiker und Biologen arbeiten an fleischlosen Produkten, die wie Fleisch schmecken sollen. Denn die Lebensmittelbranche hat ein Problem: Zwar wollen immer mehr Deutsche ihren Fleischkonsum verringern. Aber ganz aufs Schnitzel verzichten wollen sie nicht.
Nach einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung sind 37 Prozent der deutschen Haushalte sogenannte Flexitarier-Haushalte, die mindestens dreimal pro Woche auf Fleisch verzichten. Den radikalen Schnitt des kompletten Verzichts gehen aber nur die wenigsten: Etwa vier Prozent der Deutschen sind Vegetarier. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie des Robert-Koch-Instituts Anfang 2017.
Es gibt verschiedene Gründe dafür, warum die Deutschen weniger Fleisch essen wollen, obwohl es ihnen doch eigentlich so gut schmeckt. Die einen sorgen sich um den Planeten: Die Fleischproduktion trägt wesentlich zur Erderwärmung bei. Andere um ihre Gesundheit: Der Verzehr von viel rotem Fleisch erhöht das Risiko für Schlaganfälle und Krebs. Und vielen verdirbt auch die Massentierhaltung den Appetit.
Erwartung oder Enttäuschung: Was ist größer?"Die Welt steht vor einer gewaltigen Ernährungsumstellung und pflanzliche Nahrungsmittel werden immer wichtiger", sagt Godo Röben, Geschäftsführer von Rügenwalder Mühle. Für sein Unternehmen ist das einerseits sehr unerfreulich, weil es seit rund 200 Jahren Fleisch verarbeitet. Andererseits öffnete sich eine Marktlücke. Denn Fleischalternativen gab es lange nur von kleinen Herstellern wie Topas, man musste dafür in Bioläden einkaufen. Rügenwalder Mühle hingegen erreicht mit seinen Produkten viele Supermärkte überall in Deutschland. 2014 brachte das Familienunternehmen als erster Wurstproduzent eine Veggie-Wurst in die Kühlregale. Inzwischen gibt es 18 Produkte im Sortiment, darunter fleischlose Frikadellen, Chickenburger, Salami und Leberwurst.
Die Produkterweiterung brachte anfangs viel Geld: 40 Millionen Euro Umsatz machte Rügenwalder Mühle im ersten Jahr allein mit der Veggie-Produktion. Auch andere Wurstproduzenten wie Meica, Wiesenhof oder Herta zogen mit fleischfreien Alternativen nach.
Ihre Produkte richten sich nicht an Tierschützer und überzeugte Vegetarier, die ohnehin schlecht beraten wären, mit ihren Einkäufen Wurstfabrikanten zu unterstützen. Veggie-Schnitzel sind Produkte für Flexitarier mit Fleischeslust. Doch die Produkte überzeugen sie nicht. In einer Studie der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft aus dem März 2017 sagten 67 Prozent der Befragten, dass ihnen Fleischprodukte besser schmecken als Fleischersatzprodukte. In Untersuchungen von Stiftung Warentest und Öko-Test nennen die Testesser die Gründe: Die Veggie-Produkte seien überwürzt oder zu salzig, sie enthielten häufig glutamathaltige Geschmacksverstärker oder seien schlichtweg zu weich. Nur eines der 22 von Öko-Test untersuchten Produkte erhielt die Note "gut", mehr als die Hälfte schnitt mit "mangelhaft" oder "ungenügend" ab.
Möglichkeiten im Überblick Was studieren? Pfeil nach rechts One-Hit-Wonder Veggie-WurstDie Folge: "Viele Kunden probieren das nur einmal aus, aber kehren dann zum Altbekannten zurück", sagt Herbert Buckenhüskes, Präsident der Gesellschaft Deutscher Lebensmitteltechnologen. Das zeigt auch die Studie der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft: Rund jeder dritte der Befragten hat schon mal Veggie-Produkte gekauft. Aber relativ viele danach nie wieder. Nur drei von hundert Befragten greifen wöchentlich im Supermarkt zu solchen Produkten. Der Veggie-Hype ist abgeflaut, das zeigt sich auch an den Umsätzen: Seit Herbst sind die Verkäufe insgesamt rückläufig, meldet die Gesellschaft für Konsumforschung.
"In den vergangenen Monaten ist das Wachstum unseres Veggie-Absatzes langsamer geworden", sagt auch Godo Röben, der Geschäftsführer der Rügenwalder Mühle. Das sei normal, da der Markt Schwankungen unterworfen sei, aber vor allem weil die Konkurrenz durch die anderen großen Fleischfabrikanten, die auf den Veggie-Markt drängen, eben deutlich gewachsen sei. Was er nicht sagt: dass zumindest ein Teil des Problems ist, dass Kunden von den fleischlosen Alternativen enttäuscht sind. Weil das vegetarische Schnitzel eben nicht nach echtem Schnitzel schmeckt.
"Die Optik ist eine Herausforderung"Hannes Timmermann, der 27 Jahre alte Lebensmittelingenieur, arbeitet mit seinen Kollegen daran, die Rezepturen für den Geschmack und die Konsistenz zu verbessern. Was sie tun, hat weniger mit Kochen zu tun als mit Wissenschaft: Sie stellen Hypothesen auf, die sie anschließend überprüfen, sie tüfteln an Dosierungen und experimentieren.
Timmermann erzählt von seinen Fortschritten: Zum Beispiel werde nur noch so viel Salz wie nötig eingesetzt, um die Haltbarkeit zu gewährleisten. Geschmacksverstärker setzten die Produktentwickler von Rügenwalder Mühle gar nicht ein. "Das wollen weder wir noch unsere Kunden, aber es würde unsere Arbeit enorm erleichtern", sagt Timmermann. Denn Geschmacksverstärker können die Wahrnehmung der Rezeptoren auf der Zunge austricksen, ein Veggie-Schnitzel schmeckt so intensiver und mehr wie Fleisch.
Mit welchen Aromen und Gewürzen Hannes Timmermann den Fleischgeschmack erzeugt, ist Betriebsgeheimnis. Was er erzählen darf: "Die Veggie-Produkte enthalten mehr Gewürze als ihre fleischlichen Pendants." Mit sechs Gewürzen, darunter Pfeffer und Knoblauch, enthält die vegetarische Salami, Timmermanns erste eigene Produktentwicklung, "im Vergleich wenig" Gewürze. Für die vegetarische Salami brauchte es über 500 Versuche. Aber hundert Prozent wie eine richtige Salami schmeckt auch sie nicht. Ihr fehlt das Aroma der Reifung - und das Fleisch für den Geschmack.
Es muss Umami schmeckenDie Veggie-Produkte bekommen ihren Geschmack vor allem auch durch die Zutaten, die man als Basis verwendet. Bei Rügenwalder Mühle sind das Soja, Weizen oder Erbsen. Lupinen, eine heimische Hülsenfrucht, sind noch nicht ausreichend getestet, um sie einzusetzen. Der Vorteil wäre: Sie müssten nicht importiert werden. "Je nach Herkunftsland schmecken Soja oder Weizen ein bisschen anders. Das muss man beachten", sagt Timmermann. Auch das Mundgefühl ist wichtig: Weizen ist elastischer als Soja und erzeugt deshalb mehr Biss.
Besonders Ei sei in der Produktion wichtig. Das erzeugt nicht nur Festigkeit, sondern löst, genauso wie Fleisch, auch den sogenannten Umami-Geschmack auf der Zunge aus. Daher sind die meisten Fleischersatzprodukte zwar vegetarisch, aber bisher nicht vegan.
Auch die richtige Farbe ist wichtig: Pflanzliche Proteine haben verarbeitet meist die Farbe von Pappe. Zum Färben werden hauptsächlich pflanzliche Farbstoffe verwendet, bei der Salami von Hannes Timmermann musste aber für das kräftige Rot ein Pigment eingesetzt werden, das aus Eisen gewonnen wird.
Von der Idee bis zum verpackten Produkt im Supermarkt dauert es im Schnitt ein Jahr. Timmermann ist dabei nicht nur für die Umsetzung einer Idee zuständig, sondern auch für die Kalkulation der Zutaten und die maschinelle Herstellung. Dafür hat seine Abteilung eine kleine Fabrik, die aussieht wie die Produktionshalle eine Tür weiter, nur in Miniaturformat. Jedes Produkt wird hier in kleinen Mengen hergestellt, um den Ernstfall zu proben und so mögliche Fehler zu vermeiden. Timmermann muss darauf achten, ob sich die Qualität des Produktes verändert, wenn es durch eine Maschine läuft, die sich beim Herstellen erhitzt und dabei möglicherweise das Eiweiß stockt. Oder ob sich die Masse gut durch die Maschine befördern lässt.
Fleischlose Zukunft nur per GesetzAuch die Produktsicherheit gehört zu Timmermanns Arbeit. Sind die Produkte in der kleinen Fabrik fertig, werden sie gelagert. Einmal pro Woche wird im Labor geprüft, ob sich Keime bilden, sich der pH-Wert verändert oder Partikel von der Verpackung auf das Produkt übertragen werden. Erst wenn das Produkt alle Tests besteht, wird es in der großen Produktionshalle hergestellt.
Kann es Lebensmittelingenieuren wie Hannes Timmermann gelingen, deutsche Fleischesser dauerhaft zu Gemüse zu verführen? Geschäftsführer Godo Röben ist überzeugt, dass der Veggie-Markt weiter wachsen wird. Herbert Buckenhüskes, der Präsident der Gesellschaft Deutscher Lebensmitteltechnologen, glaubt nicht an eine komplett fleischlose Zukunft, "außer es gibt ein Gesetz, das die Leute dazu zwingt".
Bis dahin arbeitet Timmermann am perfekten Fleischimitat. Am schwierigsten ist das herzustellen, was sich nicht hinter einer Panade verstecken lässt: ursprüngliche Fleischstücke mit durchwachsener Struktur, etwa bei Kochschinken oder Steak. "Die Konsistenz bekämen wir schon hin", sagt Timmermann, der zu dieser Frage schon in seiner Bachelorarbeit geforscht hat, "aber die Optik ist eine Herausforderung."
Ein medium rare gebratenes Steak, ganz ohne Fleisch! Das würde ich nach der mäßigen Erfahrung mit dem Veggie-Schnitzel gerne probieren. Dass so ein Produkt auf den Markt kommt, ist aber unwahrscheinlich, sagt Timmermann: Ein blutiges Steak fänden die meisten Konsumenten ohnehin ekelig.