Schwerpunkt Gesellschaftspolitik im Regierungsprogramm
Propaganda,
Lügensender, Fake News. Der Ton der FPÖ gegenüber dem ORF ist in der
Regierung rau geblieben. Vizekanzler Heinz-Christian Strache spricht von
„Zwangsgebühren“ und ruft via Facebook zur Unterstützung des von der
Christlichen Partei initiierten Anti-GIS-Volksbegehrens auf. Die
Gebührenfinanzierung ist bei den Freiheitlichen Feindbild und
Druckmittel. So empörte sich Infrastrukturminister Norbert Hofer im
Februar auf Facebook: „Der ORF schafft es tatsächlich, in der ZIB1 über
den Transitgipfel zu berichten, ohne den Verkehrsminister zu erwähnen.
Ob ich für Zwangsgebühren bin? Nein!“ Für Kommunikationswissenschafter
Fritz Hausjell ist es „ungehörig, in einer Demokratie Druck auf Medien
aufzubauen“. PolitikerInnen dürften Unzufriedenheit mit Berichten
äußern. „Die Grenze wird überschritten, wenn das mit Forderungen
verknüpft wird, wie der Zustimmung zum Budget im Stiftungsrat.“ Die
Redaktion entscheide, wie eine Geschichte aussieht, nicht die Politik.
Objekt der Begierde
Im Regierungsprogramm bekennt sich Türkis-Blau zum
öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sender sollen nicht veräußert werden.
Geplant ist ein neues ORF-Gesetz samt Weiterentwicklung von Struktur und
Gremien. Bei Schwarz-Blau 1 war das so: Enquete, neues ORF-Gesetz, neue
Generaldirektorin. ORF-Publikumsrat und Stiftungsrat konstituieren sich
im Mai 2017 neu. Im Stiftungsrat mit 35 Mitgliedern hat die Regierung
dann eine Zweidrittelmehrheit und könnte den bis 2021 bestellten
Generaldirektor Alexander Wrabetz absetzen. Im Juni soll es eine
Medienenquete geben. Willi Mernyi vertritt den ÖGB (noch) in beiden
Gremien. „Meine Funktion im Stiftungsrat wird aber umgefärbt.“ Im
Publikumsrat leitet er den Programmausschuss. Eine Errungenschaft sei
es, „Arbeitswelt-Aspekte“ im Programm verankert zu haben. Mit
Programmschwerpunkten, wie zum Gedenkjahr 1938, habe der ORF seine
gesellschaftspolitische Rolle wahrgenommen. „Wo waren die Privaten?“,
fragt der Gewerkschafter. Mernyi hält es für zentral, kritische
ORF-JournalistInnen gegen politische Intervention zu verteidigen.
Dem stimmt Hans-Henning Scharsach zu. In seinem Buch „Stille
Machtergreifung“ beschäftigt er sich auch mit der Medienpolitik der
Freiheitlichen. Für ihn haben die verbalen Attacken der FPÖ auf den ORF
System, beispielsweise die anhaltende Empörung nach einem Fehler des ORF
Tirol. In einem Beitrag wurde die Entgegnung des FPÖ-Obmanns Markus
Abwerzger auf antisemitische Aussagen eines älteren Passanten
weggeschnitten. Eine Entschuldigung und die Neuausstrahlung des
ungeschnittenen Beitrags halfen nicht. In der ORF-Debatte rief Kanzler
Sebastian Kurz (ÖVP) zur „Ent-Emotionalisierung“ auf. Scharsach glaubt,
dass die Freiheitlichen im neuen Stiftungsrat die GIS-Gebühren kappen
möchten. Die FPÖ setze auf Social-Media-Kanäle und parteinahe Medien, wo
Botschaften ohne kritische Nachfragen gestreut werden. „Wird der ORF
aus dem Budget gezahlt, wäre das ein starkes Druckmittel für die
Regierung“, sagt Scharsach. Gewerkschafter Mernyi fasst das so zusammen:
„Mit Gebühren ist der ORF dem Publikum verpflichtet, beim Budget der
Regierung.“
Gebühr vs. Budget
Zur Finanzierung heißt es im
Regierungsprogramm für alle Mediengattungen: „Ganz ohne öffentliche
Teilfi-nanzierung wird es nicht möglich sein, österreichische Identität
in den Medien auf Dauer zu sichern.“ Gebühren sind die
Haupteinnahmequelle des ORF. 2018 sind 635 Millionen Euro budgetiert.
Das Entgelt fließt in vier TV-Kanäle, zwölf Radioprogramme, Teletext und
Internet. Die GIS-Rechnung beträgt je nach Bundesland zwischen 20,93
und 26,73 Euro. Konsumentenschützerin Daniela Zimmer vertritt die
Arbeiterkammer im Publikums- und Stiftungsrat. Sie kritisiert, dass es
für KonsumentInnen nicht ersichtlich ist, dass mit 17,21 Euro nur ein
Teil ihrer Gebühren an den ORF geht. Der Gesamtbetrag inkludiert einen
Kunstförderungsbeitrag und – mit Ausnahme von Oberösterreich und
Vorarlberg – eine Länderabgabe. „Das Mindeste wäre es, das
aufzuschlüsseln oder die Länderabgabe zu entkoppeln“, so Zimmer.
Eine Alternative zur GIS könnte eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland
und der Schweiz sein. Jeder zahlt, egal, ob er ein Rundfunkempfangsgerät
hat oder nicht. Das findet Publizistikprofessor Hausjell fair: „In
Österreich ist befreit, wer ORF-Angebote nur streamt. Mit der Zeit
entfernen sich zu große Gruppen von der solidarischen Finanzierung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“ Es bräuchte außerdem keine
GIS-Überprüfungen mehr. Doch Medienminister Blümel hat sich in einer
Aussendung dagegen ausgesprochen: Die Regierung wolle die Steuer- und
Abgabenquote senken.
Österreich-Fokus
Die Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft vielerorts.
In Deutschland protestiert die AfD gegen „Zwangsgebühren“. In der
Schweiz lehnten 71,06 Prozent eine Initiative zur Abschaffung der Radio-
und Fernsehgebühren ab. Die Schweizerische Radio- und
Fernsehgesellschaft (SRG) möchte aber 100 Millionen Franken einsparen,
Gebühren senken und mehr Schweizer Programm senden. Die türkis-blaue
Regierung in Österreich will den öffentlich-rechtlichen Auftrag im
Gesetz neu festschreiben. Ein Fokus liegt auf österreichischen Inhalten.
Für AK-Konsumentenschützerin Zimmer ist ein Mix aus regional, national
und international wichtig. „Das Programm sollte in einer globalisierten
Welt über den Tellerrand blicken.“ Österreichische Inhalte würden nicht
automatisch die Negierung von Minderheiten bedeuten: „Diese können auch
jene von Minderheiten sein. Sie sind im ORF-Gesetz durch den
Pluralitätsanspruch geschützt.“
Minderheitenprogramme sieht auch Hans-Henning Scharsach nicht in Gefahr. Er befürchtet nur, dass der Ton gegenüber Randgruppen in anderen Bereichen rauer werden könnte. Der ORF fahre einen „vernünftigen Mittelweg“ mit Information und Unterhaltung. Im Regierungsprogramm ist die Rede von „nachhaltiger Identitätssicherung“. Scharsach hofft, dass die Vielfalt erhalten bleibt: „Wenn der Großteil des Publikums lieber englische Musik hört und es kommt zu viel Schlager, ist das nicht meine Auffassung vom ORF.“ Die Vielfalt Österreichs in Musik, Film und Kultur müsse fernab von Klischees gezeigt werden.
Schuhlöffel für die Privaten
Der ORF und die Privaten sollen enger zusammenarbeiten, fordert die
Regierung. So soll es eine gemeinsame digitale Vermarktungsplattform
geben, um österreichische Public-Value-Inhalte einem möglichst großen
Publikum zu präsentieren. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum
„Schuhlöffel für die Privaten“ werden soll, wie Blümel es ausgedrückt
hat, kann Willi Mernyi nicht goutieren. „Ich habe kein Verständnis, dass
mit Gebührenentgelt Boulevard-Gratiszeitungen querfinanziert werden,
die zur Gebührenabschaffung aufrufen.“
„Die Digitalisierung ist im Vormarsch“, heißt es im Regierungsprogramm.
Mernyi sieht hier Nachholbedarf im ORF. „Die Gebührenzahler finanzieren
eine Sendung, können sich diese online aber nur sieben Tage anschauen.
Wieso? Die private Konkurrenz will das nicht“, so Mernyi. Weiters
kritisiert er, dass Radio, Online und TV unzureichend verknüpft sind.
„Wenn Sie einen Artikel auf ORF.at lesen, finden Sie nur Links zu
anderen Artikeln, aber nicht zur TVthek.“ Der ORF müsse sich als Einheit
präsentieren.
Behäbigkeit
Konsumentenschützerin Zimmer kritisiert die Dauer von
Genehmigungsverfahren, die der ORF bei neuen Vorhaben durchlaufen muss.
„Mit Konkurrenz von Netflix & Co muss der ORF schneller reagieren
können.“ Nicht kundInnengerecht sei die Verpflichtung, „nur
Sendungsbegleitendes online stellen zu dürfen, was vertiefende
Information ausschließt“. Auch eine hohe Medienkompetenz sei zentral für
den VerbraucherInnenschutz. Das im letzten Jahr gestartete
Ö1-Medienmagazin „Doublecheck“ wertet Zimmer als großen Erfolg.
Schlussendlich geht es darum, dem Publikum zu vermitteln, was der ORF
für die Demokratie leistet und dem Bürger, der Bürgerin nützt. Fritz
Hausjell bringt das auf den Punkt: „Es geht um die Wahrnehmung Ihrer
Interessen, Ihrer Sichtweisen und darum, dass sie medial nicht unter die
Räder geraten.“
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